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Klein, Dieter; Dülfer, Martin; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Dülfer, Martin [Ill.]
Martin Dülfer: Wegbereiter der deutschen Jugendstilarchitektur — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 8: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.63235#0051

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Abb. 37 München: Verlagsgebäude, Nyphenburger Straße Nr. 86

Farbgestaltung der Putzfassaden
Durch die Begeisterung für die im 18. Jahrhundert wieder-
entdeckte, aber falsch verstandene Antike war das unbe-
schwerte Verhältnis zur Farbe gestört. Darüber machte sich
schon Goethe Gedanken; in seinem „Didaktischen Theil zur
Farbenlehre“ sagte er: „Gebildete Menschen haben einige
Abneigung vor Farben: es kann dieses theils aus Schwäche
des Organs, theils aus Unsicherheit des Geschmacks ge-
schehen, die sich gerne in das völlige Nichts flüchtet. ..“617)
Dieses Zitat darf als Beweis für eine gewisse Dekadenz-
stimmung unter „gebildeten Leuten“ gewertet werden, die
sich „ihre Gipsästhetik von den Ruinenresten vergangener
Kunstperioden holten, nachdem Jahrhunderte und Jahrtau-
sende durch ihre zerstörende Wirkung sie bleich und farb-
los gemacht“ hatten.618)
Die verfeinerte Kultur der oberen Volksschichten versuchte
sich durch gewählte Einfachheit und Farbenarmut vom
volkstümlichen, farbenfrohen Wesen in Baukunst wie in
Kunstgewerbe und Tracht abzusondern619): „Die durch Jahr-
hunderte gepflegte Tradition der Farbe versank in dem Be-
griff ,Vornehmheit'“620). Neigung zur Farbe „in ihrer höch-
sten Energie“ gestattete man lediglich „Naturmenschen,
rohe(n) Völker(n) und Kinder(n)“; die „gebildeten“ Menschen
begannen dagegen lebhafte Farben zu vermeiden.621)
In der Folgezeit gingen viele farbig gestaltete Bauten aus
den verschiedensten Gründen unter: „Zeit, Elemente und
menschlicher Unverstand haben die meisten farbigen Ge-
bäude vernichtet, sie wurden auch Opfer des neuen Zeit-
geschmackes, ... der Askese predigte.“622)
Dazu kam, daß die meisten kunsthistorischen Abhandlun-
gen über die beherrschende Stellung der Farbe in Architek-
tur und Plastik der Antike und des Mittelalters meist mit
kurzen, bestenfalls entschuldigenden Bemerkungen hin-
weggingen.623)

Um die Jahrhundertwende schließlich scheinen die Deut-
schen ihrer Farbfeindlichkeit wegen geradezu berüchtigt
gewesen zu sein: .wir ahnen es in Deutschland gar
nicht, mit welcher Geringschätzung bei unseren Nachbarn
in Holland, Belgien, Frankreich und England von unserer
koloristischen Befähigung gesprochen wird“, schrieb 1905
Alfred Lichtwark.624)
Friedrich Thiersch vertrat um die gleiche Zeit die Meinung,
daß die „modernen“ Menschen so „verwöhnt und verzär-
telt“ seien, daß sie keine positiven Farben mehr vertragen
könnten625): „Farbe ist nicht fein... Farbe ist perlgrau oder
weiß. Blau ist ordinär, Rot aufdringlich, Grün ist kraß! Die
Farblosigkeit dient als Kennzeichen europäischer Bil-
dung...“626)
Dabei waren die alten deutschen Bauten bis ins 19. Jahr-
hundert meist farbig behandelt627): mittelalterliche Kirchen
und Rathäuser präsentierten sich innen und außen farbig
bemalt, wobei weder auf Hausteinverwendung noch auf
Fassadenstruktur Rücksicht genommen wurde.628) Als typi-
sche Beispiele seien hier das Ulmer Rathaus, das Fugger-
höfchen in Augsburg mit Malereien von Burgkmaier und
aus späterer Zeit die Asamschen Fassaden stellvertretend
genannt.
Die doktrinären Anschauungen, die am Beginn des 19.
Jahrhunderts in Deutschland herrschten, wirkten so nach-
haltig, daß bis zum Ende des Jahrhunderts nur relativ weni-
ge Architekten es wagten, ihre Fassaden farbig zu gestal-
ten.629) Bereits um die Jahrhundertmitte zeigten sich aber
Anzeichen für einen allmählichen Wandel des Zeitge-
schmacks: die Neue Pinakothek war ein großangelegter
Versuch, in München die aus den Städten weitgehend ver-
schwundene Tradition der Fassadenmalerei wieder zu bele-
ben; in ähnlichem Sinne plädierte auch Semper seit 1834 in
einigen seiner Schriften für die Wiedereinführung polychro-
mer Fassaden, er hielt die Farbgebung für ebenso wichtig
für das Gesamtkunstwerk wie den Skulpturenschmuck630);
zunächst aber blieben diese und andere gleichlaufende Be-
mühungen noch ohne Widerhall.
Auf längere Sicht jedoch sollten Beiträge wie z. B. Sempers
1834 erschienene „Vorläufige Bemerkungen über die viel-
farbige Architektur und Plastik bei den Alten“ ein vorerst
noch ungewohntes, neues Bild einer „farbigen“ Antike
durchsetzen631), das für die zeitgenössische Architektur von
unübersehbarer Bedeutung war: der Farbgebung wurde ih-
re alte Bdeutung — zumindest von einigen — wieder zuer-
kannt.632)
Dazu kam das wachsende Interesse an der Plein-Air-Malerei
der Impressionisten und damit die Bevorzugung hellerer
Farbtöne, die bis dahin bei eklektizistischen Bauten eher
vermieden worden waren.633)
Hinzuzufügen ist, daß vorwiegend in Oberbayern, in der
Schweiz und im westlichen Österreich die Gebäude auch
weiterhin farbig dekoriert wurden — als „Bauernmalerei“
von den „Gebildeten“ gebrandmarkt634), denen jegliches
Verständnis für Volkskunst fehlte, die zu jeder Zeit nur mit
lebhafter Farbigkeit vorstellbar war.
Eine diesbezüglich etwas tolerantere Auffassung herrschte
während der kurzen Epoche des „Romantischen Historis-
mus“635), der während seiner Zeit (etwa von 1830 — 60) die
Fassaden mitunter auch farbig gestaltete.

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