Wiederaufnahme der farbigen Fassadengestaltung
Erst um die Jahrhundertwende wurde auch in Deutschland
die „Farblosigkeit der Städte“ allgemein kritisiert: für Reno-
vierungen kamen vorzugsweise Farben wie „schmutzig-
weiß“ und „schmutziggelb“ zur Anwendung, dazu lagerte
sich auf dem imitierten Rustikawerk Ruß und Kohlenstaub
besonders stark ab636); auch der später so beliebte rauhbe-
hauene Stein mit seiner „möglichst ruppigen Oberfläche“
wurde schnell schmutzig. Den vorherrschenden „Kehrricht-
haufenton“ empfanden zeitgenössische Kritiker als „durch-
aus passend zu der allgemeinen Abstumpfung und Verkom-
menheit des Farbensinnes.“637)
Aus Gründen der Materialgerechtigkeit verzichtete man in
zunehmendem Maße auf stark plastische Herausbildung
der Formen; um die Fassaden nicht noch eintöniger er-
scheinen zu lassen, griff man wieder auf farbliche Wir-
kungseffekte zurück, für die Vorbilder in Amsterdam und
London gefunden wurden.638)
Ein für diese Zeit typisch scheinendes Zitat lautet: „Wenn
ein Straßenzug noch so öde und dumpf in seiner Erschei-
nung und noch so häßlich ist, die Farbe wird ihm doch ein
Stückchen Lebensfreude geben.“639)
Farbe war das einfachste Mittel, verschiedene Formen
nach ihrer Wertigkeit einander unterzuordnen; auch der für
die Gesamtwirkung gewünschte Ausdruck (z. B. düster =
beeindruckend, hell = freundlich) konnte leicht hervorgeho-
ben werden.640)
Bauglieder gleicher Gattung wie Pfeiler, Lisenen usw. ge-
staltete man gerne in gleicher Farbe; damit war nicht nur
die Gleichartigkeit betont, sondern auch die Fassade ge-
gliedert. Größere Flächen konnten vor- oder zurückdrän-
gend, kräftigend oder abschwächend, trennend oder verbin-
dend behandelt werden.641)
Meist erhielt das tragende (besser: das scheinbar tragende)
Gerüst einen hellen Anstrich in weiß, gelb, hellrot oder an-
deren lichtreflektierenden Farben, die bei verschiedenen
Lichtstimmungen — so etwa in der Dämmerung — vor den
übrigen Bauteilen optisch hervortreten.
Die schwer lastenden Mauerflächen schwächte man in ih-
rer Wirkung ab, sie wurden durch dunkle Färbung sozusa-
gen abstrahiert. Aus diesen Überlegungen ging man dazu
über, tragende Eisenpfeiler hell zu streichen; mit den ur-
sprünglich für Metall-Bauteile bevorzugten dunklen An-
strichen waren sie optisch wesentlich schwächer er-
schienen.642)
Anders als die Putzflächen wurden die an Fassaden ver-
wendeten Holzteile schon aus Gründen der Konservierung
immer reichlich mit Farbe versehen643); als willkommener
Nebeneffekt milderte eine farbige Behandlung der hölzer-
nen Bauteile die flächige Wirkung größerer Putzfelder.644)
Farbtechnik
Von der gemalten Ornamentik führte der Weg allmählich
wieder zur Gestaltung auch größerer Flächen durch
Farbe;645) farbige Behandlung der Putzarchitektur konnte
durch Anstrich erfolgen, dabei unterstützte die Rauheit des
Putzes die Haftfestigkeit, der Farbton erschien weicher. Die
zweite Möglichkeit War der Zusatz von Farbe in die Mörtel-
masse, also der Auftrag von gefärbtem Mörtel.
1887 wurde in Deutschland der „Polychromzement“ auf
den Markt gebracht, ein mit Erdfarben vermischter Port-
landzement, der mit Sand vermischt werden mußte. Der
stumpfe Ton des Zementes übertönte jedoch alle Farbzu-
sätze; wirklich brauchbare Ergebnisse ließen sich erst mit
dem 1893 entwickelten „Terranova-Putz“ erzielen. Diesem
Fertigmörtel brauchte nur noch Wasser zugesetzt werden;
erhältlich war er in den Farben gelb, hell- und dunkelrot, sil-
bergrau, gelblich, grüngrau und rötlich; alle Färbungen er-
zielte man durch Beimengen von Steinmehlen.646)
Natürlich war die Verarbeitung von gefärbtem Mörtel
schwieriger als die Anstreichtechnik: Flecken, Ansatzstel-
len und andere Unregelmäßigkeiten konnten hier durch An-
strich nicht verdeckt werden, größeres handwerkliches Ge-
schick war unerläßlich.647)
Aber auch ohne Zuhilfenahme von Anstrichmitteln ließ sich
durch die verschiedenartigen Putzbehandlungen eine lange
Skala von Schattierungen erreichen,648) eine Hauptursache
für die Beliebtheit der verschieden rauhen Putzarten: auf
einfach Weise wurden kalte und warme Farbtöne gegen-
übergestellt.649)
Dülfers Fassaden-Farbgebung
Außer mit den Linien auch mit Farbe Effekte erzielen zu
wollen galt, wie bereits gesagt, gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts noch als trivial, und nur wenige Architekten
wagten es (von Schönbrunner-Gelb in Österreich und von
Verblendklinkern abgesehen) ihre Fassaden farbig zu deko-
rieren.
Dülfer wird als einer der ersten genannt, die noch vor dem
Jugendstil bei ihren großstädtischen Mietshäusern Mut zur
Farbe bewiesen: „... er wußte seinen hocheleganten Miets-
häusern... ein farbiges Bild voll aparter Einzelheiten und
von dezenter, geistvoller Gesamtwirkung zu geben; indem
er den Mut hatte, in koloristischer Hinsicht auf ganz neuen
Wegen zu wandeln, gab er uns Bauten, die für die betreffen-
den Straßen von belebendem Reiz sind und zeigen, daß
auch die bunte Fassade ein... sehr edles Kunstwerk sein
kann.“650) Schon seine frühen historistischen Fassaden wa-
ren durch farbige Gestaltung gegliedert, als Beispiel seien
der „Kaiserhof“ in Augsburg und die Häuser in der Münch-
ner Liebigstraße genannt, von denen die Farbgebung über-
liefert ist. Der „Kaiserhof“ zeigte ockerfarbigen Dekor auf
violetter Grundfarbe, das Ornament war in Antragstuck (?)
auf der Spritzbewurffläche aufgebracht; in der Liebigstraße
hoben sich gelbgefärbte, glatte Putzglieder von rauhgeputz-
ten und deshalb dunkler wirkenden, gelben Wandflächen
ab, die Ornamentteile hatte man grau gehalten (Abb. 10,
12).651)
Von der Farbigkeit des Kaimsaales ist nur bekannt, daß
sich nach Verwitterung seiner Farben der Hauptfries kaum
noch von der Wandfläche abhob652); die Schwarz-Weiß-
Fotos aus der Bauzeit lassen auf eine kräftige Farbgebung
mit starken Kontrasten schließen (Abb. 87).
Im Späthistorismus wurden die Farben allgemein lebhafter,
nicht nur dekorative Teile wie Friese und Reliefbilder waren
verschiedenfarbig getönt653), auch Vergoldung taucht noch
vor der Jahrhundertwende in größerem Maße an Fassaden
auf: bei Dülfer wohl erstmals an der Häusergruppe Kaul-
bachstraße 22 — 26 (Abb. 17). Dort hatte man das Erdge-
50
Erst um die Jahrhundertwende wurde auch in Deutschland
die „Farblosigkeit der Städte“ allgemein kritisiert: für Reno-
vierungen kamen vorzugsweise Farben wie „schmutzig-
weiß“ und „schmutziggelb“ zur Anwendung, dazu lagerte
sich auf dem imitierten Rustikawerk Ruß und Kohlenstaub
besonders stark ab636); auch der später so beliebte rauhbe-
hauene Stein mit seiner „möglichst ruppigen Oberfläche“
wurde schnell schmutzig. Den vorherrschenden „Kehrricht-
haufenton“ empfanden zeitgenössische Kritiker als „durch-
aus passend zu der allgemeinen Abstumpfung und Verkom-
menheit des Farbensinnes.“637)
Aus Gründen der Materialgerechtigkeit verzichtete man in
zunehmendem Maße auf stark plastische Herausbildung
der Formen; um die Fassaden nicht noch eintöniger er-
scheinen zu lassen, griff man wieder auf farbliche Wir-
kungseffekte zurück, für die Vorbilder in Amsterdam und
London gefunden wurden.638)
Ein für diese Zeit typisch scheinendes Zitat lautet: „Wenn
ein Straßenzug noch so öde und dumpf in seiner Erschei-
nung und noch so häßlich ist, die Farbe wird ihm doch ein
Stückchen Lebensfreude geben.“639)
Farbe war das einfachste Mittel, verschiedene Formen
nach ihrer Wertigkeit einander unterzuordnen; auch der für
die Gesamtwirkung gewünschte Ausdruck (z. B. düster =
beeindruckend, hell = freundlich) konnte leicht hervorgeho-
ben werden.640)
Bauglieder gleicher Gattung wie Pfeiler, Lisenen usw. ge-
staltete man gerne in gleicher Farbe; damit war nicht nur
die Gleichartigkeit betont, sondern auch die Fassade ge-
gliedert. Größere Flächen konnten vor- oder zurückdrän-
gend, kräftigend oder abschwächend, trennend oder verbin-
dend behandelt werden.641)
Meist erhielt das tragende (besser: das scheinbar tragende)
Gerüst einen hellen Anstrich in weiß, gelb, hellrot oder an-
deren lichtreflektierenden Farben, die bei verschiedenen
Lichtstimmungen — so etwa in der Dämmerung — vor den
übrigen Bauteilen optisch hervortreten.
Die schwer lastenden Mauerflächen schwächte man in ih-
rer Wirkung ab, sie wurden durch dunkle Färbung sozusa-
gen abstrahiert. Aus diesen Überlegungen ging man dazu
über, tragende Eisenpfeiler hell zu streichen; mit den ur-
sprünglich für Metall-Bauteile bevorzugten dunklen An-
strichen waren sie optisch wesentlich schwächer er-
schienen.642)
Anders als die Putzflächen wurden die an Fassaden ver-
wendeten Holzteile schon aus Gründen der Konservierung
immer reichlich mit Farbe versehen643); als willkommener
Nebeneffekt milderte eine farbige Behandlung der hölzer-
nen Bauteile die flächige Wirkung größerer Putzfelder.644)
Farbtechnik
Von der gemalten Ornamentik führte der Weg allmählich
wieder zur Gestaltung auch größerer Flächen durch
Farbe;645) farbige Behandlung der Putzarchitektur konnte
durch Anstrich erfolgen, dabei unterstützte die Rauheit des
Putzes die Haftfestigkeit, der Farbton erschien weicher. Die
zweite Möglichkeit War der Zusatz von Farbe in die Mörtel-
masse, also der Auftrag von gefärbtem Mörtel.
1887 wurde in Deutschland der „Polychromzement“ auf
den Markt gebracht, ein mit Erdfarben vermischter Port-
landzement, der mit Sand vermischt werden mußte. Der
stumpfe Ton des Zementes übertönte jedoch alle Farbzu-
sätze; wirklich brauchbare Ergebnisse ließen sich erst mit
dem 1893 entwickelten „Terranova-Putz“ erzielen. Diesem
Fertigmörtel brauchte nur noch Wasser zugesetzt werden;
erhältlich war er in den Farben gelb, hell- und dunkelrot, sil-
bergrau, gelblich, grüngrau und rötlich; alle Färbungen er-
zielte man durch Beimengen von Steinmehlen.646)
Natürlich war die Verarbeitung von gefärbtem Mörtel
schwieriger als die Anstreichtechnik: Flecken, Ansatzstel-
len und andere Unregelmäßigkeiten konnten hier durch An-
strich nicht verdeckt werden, größeres handwerkliches Ge-
schick war unerläßlich.647)
Aber auch ohne Zuhilfenahme von Anstrichmitteln ließ sich
durch die verschiedenartigen Putzbehandlungen eine lange
Skala von Schattierungen erreichen,648) eine Hauptursache
für die Beliebtheit der verschieden rauhen Putzarten: auf
einfach Weise wurden kalte und warme Farbtöne gegen-
übergestellt.649)
Dülfers Fassaden-Farbgebung
Außer mit den Linien auch mit Farbe Effekte erzielen zu
wollen galt, wie bereits gesagt, gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts noch als trivial, und nur wenige Architekten
wagten es (von Schönbrunner-Gelb in Österreich und von
Verblendklinkern abgesehen) ihre Fassaden farbig zu deko-
rieren.
Dülfer wird als einer der ersten genannt, die noch vor dem
Jugendstil bei ihren großstädtischen Mietshäusern Mut zur
Farbe bewiesen: „... er wußte seinen hocheleganten Miets-
häusern... ein farbiges Bild voll aparter Einzelheiten und
von dezenter, geistvoller Gesamtwirkung zu geben; indem
er den Mut hatte, in koloristischer Hinsicht auf ganz neuen
Wegen zu wandeln, gab er uns Bauten, die für die betreffen-
den Straßen von belebendem Reiz sind und zeigen, daß
auch die bunte Fassade ein... sehr edles Kunstwerk sein
kann.“650) Schon seine frühen historistischen Fassaden wa-
ren durch farbige Gestaltung gegliedert, als Beispiel seien
der „Kaiserhof“ in Augsburg und die Häuser in der Münch-
ner Liebigstraße genannt, von denen die Farbgebung über-
liefert ist. Der „Kaiserhof“ zeigte ockerfarbigen Dekor auf
violetter Grundfarbe, das Ornament war in Antragstuck (?)
auf der Spritzbewurffläche aufgebracht; in der Liebigstraße
hoben sich gelbgefärbte, glatte Putzglieder von rauhgeputz-
ten und deshalb dunkler wirkenden, gelben Wandflächen
ab, die Ornamentteile hatte man grau gehalten (Abb. 10,
12).651)
Von der Farbigkeit des Kaimsaales ist nur bekannt, daß
sich nach Verwitterung seiner Farben der Hauptfries kaum
noch von der Wandfläche abhob652); die Schwarz-Weiß-
Fotos aus der Bauzeit lassen auf eine kräftige Farbgebung
mit starken Kontrasten schließen (Abb. 87).
Im Späthistorismus wurden die Farben allgemein lebhafter,
nicht nur dekorative Teile wie Friese und Reliefbilder waren
verschiedenfarbig getönt653), auch Vergoldung taucht noch
vor der Jahrhundertwende in größerem Maße an Fassaden
auf: bei Dülfer wohl erstmals an der Häusergruppe Kaul-
bachstraße 22 — 26 (Abb. 17). Dort hatte man das Erdge-
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