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Klein, Dieter; Dülfer, Martin; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Dülfer, Martin [Ill.]
Martin Dülfer: Wegbereiter der deutschen Jugendstilarchitektur — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 8: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.63235#0026

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Als wichtigster Vertreter dieser Richtung ist Gabriel v. Seidl
zu nennen. Er fing bereits in den siebziger Jahren an, die
Formen seiner Bauten aus der Situation und aus dem
Grundriß heraus zu entwickeln: das zu einer Zeit, in der die
anderen deutschen Städte noch lange historisch-akade-
misch weiterbauten.358)
Nach einiger Zeit wurde man aber auch dieses „behagli-
chen“ Stiles überdrüssig und betonte „von der Kunstge-
schichte nicht genehmigte Motive“359); diesbezüglich wur-
den Fischer und Dülfer besonders hervorgehoben: sie stell-
ten „das persönliche Element in ihren Bauten über die er-
erbten heimatlichen Formen“.360)
Einer der ersten, die sich gegen die „Münchner Tradition“
aufgelehnt hatten und eine eigenwillige, überkommene Sti-
le zwar zurückdrängende, aber trotzdem historisierende
Formensprache fanden, war Dülfer.361)
Seine erfolgreiche, von vielen anderen Münchner Architek-
ten nach vollzogene Entwicklung ging vom Neubarock zu ei-
nem „modernisierten Louis Seize“362), der zu einem anfangs
noch klassizistisch beeinflußten, floralen Jugendstil über-
leitete. Damit überflügelte er die sich „gegen eine Weiterbil-
dung der Formen wehrende“363) Art eines Gabriel v. Seidl,
der weitgehend isoliert in der Architekturbewegung der
Neunziger Jahre stand und sich sagen lassen mußte, daß
das Interesse an seinen Bauten nur noch rein historischer
Natur sei: „Wenn man vergißt, daß die Welt 400 Jahre älter
geworden ist, hat man von Seidls Bauten den rechten Ge-
nuß... “ ,364)


Abb. 9 München: Bernheimer-Haus, Lenbachplatz Nr. 3

Dülfers eklektizistische Bauten
Den konstruktiven Aufbau seiner Fassadensysteme pflegte
Dülfer durch Simse, manchmal auch durch Ornamentbän-
der anzudeuten; eine gewisse „Gelagertheit“ versuchte er
bei vielen seiner Wohnhaus-Gruppen mittels niedriger Ver-
bindungsbauten herzustellen, die aber immer den starken
Vertikal-Akzenten untergeordnet blieben. Fast immer be-
diente er sich des Giebelmotives, das bei in einer Straßen-
flucht eingebauten Häusern die einzige Möglichkeit bot, die
Fassadenfläche durch die Art ihrer Kontur wenigstens
nach oben charakteristisch auszubilden und Teile zusam-
menzufassen bzw. abzusondern.365)
Dezente Schattenwirkung, die durch vorkragende Stock-
werke, Simse, Streifenrustika oder vortretende Erker, Risali-
te und Balkone erzeugt wurde, unterstrich die horizontale
Wirkung von Ruhen und Lasten, oder auch die vertikale
Richtung des Strebens und Stützens366); teilweise sind die
Schatten mit Farbwirkung gleichzusetzen.367)
In der Regel konzentrierte sich bei Dülfer der dekorative
Fassadenschmuck auf die oberen Stockwerke zwischen ei-
ner ruhig gehaltenen Sockelpartie, die meist mit einer sims-
artigen Verdachung abgeschlossen war, und dem Haupt-
sims, das durch konsolartige Gebilde der Friese gerne bis
in den Bereich der Fenster des obersten Geschosses gezo-
gen wurde (Abb. 12, 13,14, 17).368)
Der Dekor war ökonomisch durchdacht: Stuckformen „von
jener bescheiden ausladenen Profilierung, welche die
Münchner Tradition im richtigen Verhältnis für den Stil des
Materials bevorzugt“, sparsames Flachornament, das
meist nur in wenigen Varianten entworfen wurde und des-

halb nur weniger Modelle bedurfte; bei entsprechend vor-
handenen Mitteln griff Dülfer gerne zum künstlerisch an-
spruchsvolleren, allerdings auch kostenintensiveren An-
tragstuck.369)
Auffallend sparsam ging er mit figuralem Schmuck um; er
bevorzugte florale, geometrische oder abstrakte Schmuck-
formen. Dazu kam die dekorative Wirkung der in verschie-
denen Putztechniken gestalteten Flächen: sie wirkten
durch die vielen kleinen Schatten, die der rauhe Bewurf er-
zeugte, unruhig und belebt, zudem setzten sie sich als
rhythmische Gliederung von den glattgeputzten Wandteilen
ab.370)
Barocke Phase
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Dülfer zu Beginn
seiner Karriere fast ausschließlich als Fassadenarchitekt
tätig war. Für einen Anfänger äußerst ungewöhnlich: wurde
doch damals gerade die Kunst der Fassadengestaltung als
eine Leistung gewertet, nach deren Lösung sich „die Reife
des Geschmackes, die Feinheit des technischen und künst-
lerischen Verstehens“ der erfahrensten Architekten beurtei-
len ließ.371)
Als erster repräsentativer Neubarockbau Münchens muß
das Bernheimer-Haus (1887—89) gelten372); schon bei die-
ser seiner ersten nachweisbaren Fassade ist eine nicht so-
fort auffallende Asymmetrie zu finden, die eventuell vom
Vorentwurf Thierschs’ beeinflußt war: der linke Seitenrisalit
ist nur aus der Über-Eck-Ansicht als solcher erkennbar373),
ein Motiv, das für einen originalen Barockbau undenkbar

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