Lebensdaten, Werk und Zeitgenossen
Personalia, Ausbildung und frühe Arbeiten bis etwa 1893
Herkunft und Ausbildung
Martin Dülfer wurde am 1. Januar 1859 in Breslau als drittes
Kind von insgesamt elf Geschwistern geboren. Sein Vater,
der Verlagsbuchhändler Carl Dülfer (1823 — 1902), war in
zweiter Ehe mit Marie Heym (1834 — 1914) verheiratet; aus
erster Ehe hatte er eine Tochter mitgebracht.1)
Die Familie war relativ wohlhabend und brauchte an der Er-
ziehung der Kinder nicht zu sparen; nach der am Breslauer
Realgymnasium abgelegten Reifeprüfung besuchte Dülfer
die „Gewerbeschule älterer Ordnung“ in Schweidnitz.2)
Eigenen Aussagen zufolge schwankte er lange zwischen
Malerei und Architektur; er war in München vorübergehend
Schüler des älteren Herterich, um Akt und Aquarell zu stu-
dieren. Außerdem verkehrte er bei Piloty und war später mit
Lenbach und Stuck befreundet.3)
Ein Grund für diese Unschlüssigkeit könnten die umstritte-
nen Inhalte des Architekturstudiums dieser Zeit gewesen
sein: „Man eignet sich den äußeren Apparat dessen, was
man gemeinhin Architektur nennt, an und hantiert damit:
Säulenordnungen, romanische und gotische Formen, grie-
chische und deutsche Renaissance-Ornamente.... Der Ar-
chitekturschüler [bemerkt] nichts von Kunst... Dafür erfüllt
er die Anforderungen, die in Deutschland an die sogenann-
ten gebildeten Stände gestellt werden, er hat „akademi-
sches Studium“, ist satisfaktionsfähig und kann Rat vierter
Klasse werden. Die Erfüllung der Standesforderungen ver-
deckt völlig die Kluft, die zwischen dem gähnt, was er als
Architekt sein sollte und was er wirklich ist.“4) Diese von
Muthesius einige Jahre später verfaßte Formulierung kann
uneingeschränkt auch für die Zeit um 1880 gelten.
Dülfer studierte von 1877 bis 1879 in Hannover, ab Herbst
1879 bis 18805) am Stuttgarter Polytechnikum. In Hannover
war Conrad Wilhelm Hase sein Lehrer6), in Stuttgart dürfte
er (wie sein späterer Lehrer Thiersch und auch Cornelius
Gurlitt) vermutlich bei Christian Friedrich Leins studiert ha-
ben.7) Im Anschluß daran leistete er seine Militärpflicht in
Ulm ab.8)
Seine praktische Ausbildung wurde ihm vor allem im Berli-
ner Architekturbüro von Kayser & Großheim zuteil, das da-
mals zu den größten Ateliers Deutschlands zählte; zur glei-
chen Zeit arbeiteten wohl Flöris Korb (Budapest) und Vi-
scher von Gaasbeek (später München bzw. Basel) dort.
Aber auch in seiner Heimatstadt Breslau, wo er wenig spä-
ter im Büro von Brost und Grosser arbeitete, wirkte Berliner
Einfluß auf ihn: Karl Grosser war vor der Gründung seines
Unternehmens ebenfalls bei Kayser & Großheim beschäf-
tigt gewesen.9)
Nach etwa vierjähriger Berufserfahrung beendete Dülfer in
München bei Friedrich Thiersch, dem von allen Architektur-
studenten hochgeschätzten Lehrer10), im Wintersemester
1885/86 seine Studien.11)
Wieweit neben Thiersch auch Heinrich v. Schmidt und Carl
Hocheder, die beide seit den frühen achtziger Jahren an der
Technischen Hochschule lehrten, Anteil an Dülfers Ausbil-
dung hatten, läßt sich nicht mehr feststellen, da außer dem
Anmeldebogen von 1885 keinerlei Unterlagen vorhanden
sind. Aus dem Kreis der Studienkollegen sind die mit Dülfer
etwa gleichaltrigen, später ebenfalls bekannt gewordenen
Architekten Paul Pfann, Theodor Fischer und Hans Grässel
zu nennen, die alle bei Thiersch studierten.12)
Einige Exkursionen dieser Studenten sind in der Thiersch-
biographie von 1924 erwähnt; in diesem Zusammenhang
wird ein „Augsburger Album“ von Fischer und Pfann sowie
ein „Salzburg-Album“ mit „besonders schönen Darstellun-
gen von Martin Dülfers Hand“ hervorgehoben.13) Mit 28 Jah-
ren wurde er selbständiger Architekt14), im Münchner
Adressbuch taucht der Name Dülfer aber erst 1890 auf; als
Wohnadresse ist Ottostraße 16/111 angegeben, also das
Rückgebäude des Bernheimer-Hauses.
Zwei Jahre später macht er sich als freier Architekt
selbständig15); es ist bemerkenswert, daß er gleich zu An-
fang seiner Karriere ein so begehrtes Spezialgebiet wie die
Fassadenarchitektur für sich erobern konnte.
1893 heiratete er die 1865 in Breslau geborene Käte Wei-
gand und zog in die Max-Joseph-Straße 1.16)
Allgemein war über Dülfers Privatleben bisher nur wenig zu
erfahren; während seiner Studienzeit ist er Mitglied einer
schlagenden Studentenverbindung gewesen, später trat er
einer Freimaurerloge bei.17)
Im Gegensatz zu seinen avantgardistischen Werken
scheint seine politische Einstellung eher konservativ gewe-
sen zu sein. In der Festschrift der Dresdner Technischen
Universität von 1978 wird Dülfer als „in seinen gesell-
schaftspolitischen Anschauungen zutiefst monarchistisch
und nationalistisch gesinnt“ bezeichnet; dort wird auch
darauf hingewiesen, daß er Mitglied des nationalistischen
„Alldeutschen Verbandes“ gewesen ist.18)
Gesellschaftskritische Tendenzen wie bei manchen ande-
ren Architekten jener Zeit sind bei Dülfer nur selten zu ent-
decken. Alleine die Anlage der Dienstbotenzimmer beweist,
wie wenig er sich über die Mindestansprüche dieses Perso-
nenkreises Gedanken machte: die meist sehr schmalen, oft
ungenügend befensterten Mägdekammern befanden sich
— auch bei großen Wohnungen — fast immer neben der
Toilette.
In seiner eigenen Villa in Krailling war eine Dienstboten-
kammer im zweiten Stock unterhalb der Dachschräge ein-
gebaut und nur durch ein kleines Bullauge belichtet — ob-
wohl im nicht ausgebauten Teil des Dachgeschosses Platz
genug für eine menschenwürdige Unterbringung der
Dienstmädchen gewesen wäre.
Über Dülfers Charakter kann heute nach den vorhandenen
Informationen niemand auch nur eine annähernd gerechte
Schilderung wagen: zu groß sind die Widersprüche der
noch lebenden Zeitgenossen über seine Person, zu gering
die Nachrichten vor allem über die Münchner Jahre.
Von einem Teil seiner Schüler wird er als humorvoll und kor-
rekt charakterisiert, auch als Ästhet, der sich ausmalte, wie
seine festlich gestalteten Räume von elegantem Publikum
belebt wirken, der in seinen Theaterfoyers eigens Nischen
zum Sekttrinken einplante, daneben aber durchaus natur-
verbunden blieb und Zeit seines Lebens besonderes Inter-
esse an Botanik zeigte.
Er war angeblich ein Genießer, ein ausgesprochener
„Nachtvogel“; stolz bekannte er sich zu seiner unehelichen
Tochter, die um 1905 in St. Louis geboren wurde.
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Personalia, Ausbildung und frühe Arbeiten bis etwa 1893
Herkunft und Ausbildung
Martin Dülfer wurde am 1. Januar 1859 in Breslau als drittes
Kind von insgesamt elf Geschwistern geboren. Sein Vater,
der Verlagsbuchhändler Carl Dülfer (1823 — 1902), war in
zweiter Ehe mit Marie Heym (1834 — 1914) verheiratet; aus
erster Ehe hatte er eine Tochter mitgebracht.1)
Die Familie war relativ wohlhabend und brauchte an der Er-
ziehung der Kinder nicht zu sparen; nach der am Breslauer
Realgymnasium abgelegten Reifeprüfung besuchte Dülfer
die „Gewerbeschule älterer Ordnung“ in Schweidnitz.2)
Eigenen Aussagen zufolge schwankte er lange zwischen
Malerei und Architektur; er war in München vorübergehend
Schüler des älteren Herterich, um Akt und Aquarell zu stu-
dieren. Außerdem verkehrte er bei Piloty und war später mit
Lenbach und Stuck befreundet.3)
Ein Grund für diese Unschlüssigkeit könnten die umstritte-
nen Inhalte des Architekturstudiums dieser Zeit gewesen
sein: „Man eignet sich den äußeren Apparat dessen, was
man gemeinhin Architektur nennt, an und hantiert damit:
Säulenordnungen, romanische und gotische Formen, grie-
chische und deutsche Renaissance-Ornamente.... Der Ar-
chitekturschüler [bemerkt] nichts von Kunst... Dafür erfüllt
er die Anforderungen, die in Deutschland an die sogenann-
ten gebildeten Stände gestellt werden, er hat „akademi-
sches Studium“, ist satisfaktionsfähig und kann Rat vierter
Klasse werden. Die Erfüllung der Standesforderungen ver-
deckt völlig die Kluft, die zwischen dem gähnt, was er als
Architekt sein sollte und was er wirklich ist.“4) Diese von
Muthesius einige Jahre später verfaßte Formulierung kann
uneingeschränkt auch für die Zeit um 1880 gelten.
Dülfer studierte von 1877 bis 1879 in Hannover, ab Herbst
1879 bis 18805) am Stuttgarter Polytechnikum. In Hannover
war Conrad Wilhelm Hase sein Lehrer6), in Stuttgart dürfte
er (wie sein späterer Lehrer Thiersch und auch Cornelius
Gurlitt) vermutlich bei Christian Friedrich Leins studiert ha-
ben.7) Im Anschluß daran leistete er seine Militärpflicht in
Ulm ab.8)
Seine praktische Ausbildung wurde ihm vor allem im Berli-
ner Architekturbüro von Kayser & Großheim zuteil, das da-
mals zu den größten Ateliers Deutschlands zählte; zur glei-
chen Zeit arbeiteten wohl Flöris Korb (Budapest) und Vi-
scher von Gaasbeek (später München bzw. Basel) dort.
Aber auch in seiner Heimatstadt Breslau, wo er wenig spä-
ter im Büro von Brost und Grosser arbeitete, wirkte Berliner
Einfluß auf ihn: Karl Grosser war vor der Gründung seines
Unternehmens ebenfalls bei Kayser & Großheim beschäf-
tigt gewesen.9)
Nach etwa vierjähriger Berufserfahrung beendete Dülfer in
München bei Friedrich Thiersch, dem von allen Architektur-
studenten hochgeschätzten Lehrer10), im Wintersemester
1885/86 seine Studien.11)
Wieweit neben Thiersch auch Heinrich v. Schmidt und Carl
Hocheder, die beide seit den frühen achtziger Jahren an der
Technischen Hochschule lehrten, Anteil an Dülfers Ausbil-
dung hatten, läßt sich nicht mehr feststellen, da außer dem
Anmeldebogen von 1885 keinerlei Unterlagen vorhanden
sind. Aus dem Kreis der Studienkollegen sind die mit Dülfer
etwa gleichaltrigen, später ebenfalls bekannt gewordenen
Architekten Paul Pfann, Theodor Fischer und Hans Grässel
zu nennen, die alle bei Thiersch studierten.12)
Einige Exkursionen dieser Studenten sind in der Thiersch-
biographie von 1924 erwähnt; in diesem Zusammenhang
wird ein „Augsburger Album“ von Fischer und Pfann sowie
ein „Salzburg-Album“ mit „besonders schönen Darstellun-
gen von Martin Dülfers Hand“ hervorgehoben.13) Mit 28 Jah-
ren wurde er selbständiger Architekt14), im Münchner
Adressbuch taucht der Name Dülfer aber erst 1890 auf; als
Wohnadresse ist Ottostraße 16/111 angegeben, also das
Rückgebäude des Bernheimer-Hauses.
Zwei Jahre später macht er sich als freier Architekt
selbständig15); es ist bemerkenswert, daß er gleich zu An-
fang seiner Karriere ein so begehrtes Spezialgebiet wie die
Fassadenarchitektur für sich erobern konnte.
1893 heiratete er die 1865 in Breslau geborene Käte Wei-
gand und zog in die Max-Joseph-Straße 1.16)
Allgemein war über Dülfers Privatleben bisher nur wenig zu
erfahren; während seiner Studienzeit ist er Mitglied einer
schlagenden Studentenverbindung gewesen, später trat er
einer Freimaurerloge bei.17)
Im Gegensatz zu seinen avantgardistischen Werken
scheint seine politische Einstellung eher konservativ gewe-
sen zu sein. In der Festschrift der Dresdner Technischen
Universität von 1978 wird Dülfer als „in seinen gesell-
schaftspolitischen Anschauungen zutiefst monarchistisch
und nationalistisch gesinnt“ bezeichnet; dort wird auch
darauf hingewiesen, daß er Mitglied des nationalistischen
„Alldeutschen Verbandes“ gewesen ist.18)
Gesellschaftskritische Tendenzen wie bei manchen ande-
ren Architekten jener Zeit sind bei Dülfer nur selten zu ent-
decken. Alleine die Anlage der Dienstbotenzimmer beweist,
wie wenig er sich über die Mindestansprüche dieses Perso-
nenkreises Gedanken machte: die meist sehr schmalen, oft
ungenügend befensterten Mägdekammern befanden sich
— auch bei großen Wohnungen — fast immer neben der
Toilette.
In seiner eigenen Villa in Krailling war eine Dienstboten-
kammer im zweiten Stock unterhalb der Dachschräge ein-
gebaut und nur durch ein kleines Bullauge belichtet — ob-
wohl im nicht ausgebauten Teil des Dachgeschosses Platz
genug für eine menschenwürdige Unterbringung der
Dienstmädchen gewesen wäre.
Über Dülfers Charakter kann heute nach den vorhandenen
Informationen niemand auch nur eine annähernd gerechte
Schilderung wagen: zu groß sind die Widersprüche der
noch lebenden Zeitgenossen über seine Person, zu gering
die Nachrichten vor allem über die Münchner Jahre.
Von einem Teil seiner Schüler wird er als humorvoll und kor-
rekt charakterisiert, auch als Ästhet, der sich ausmalte, wie
seine festlich gestalteten Räume von elegantem Publikum
belebt wirken, der in seinen Theaterfoyers eigens Nischen
zum Sekttrinken einplante, daneben aber durchaus natur-
verbunden blieb und Zeit seines Lebens besonderes Inter-
esse an Botanik zeigte.
Er war angeblich ein Genießer, ein ausgesprochener
„Nachtvogel“; stolz bekannte er sich zu seiner unehelichen
Tochter, die um 1905 in St. Louis geboren wurde.
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