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Klein, Dieter; Dülfer, Martin; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Dülfer, Martin [Ill.]
Martin Dülfer: Wegbereiter der deutschen Jugendstilarchitektur — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 8: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.63235#0056

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Verwendung von Werkstein und Beton für Fassaden
Grundlagen der Werksteinarchitektur
Im Gegensatz zu den Römern waren die Griechen wenig ge-
neigt, die Eigenart des Werksteins in ihrer Architektur zu
betonen; auch wenn sie „edle“ Materialien wie zum Bei-
spiel Marmor verwendeten, wurden alle Fugen und Flächen
so gleichmäßig bearbeitet, daß der einzelne Quader in der
Wandfläche optisch aufging. Rauheres Material (beispiels-
weise Poros) wurde mit Marmorstuck überzogen; der Reiz
des Bruchsteinmauerwerks war als Kunstmittel unbekannt
und verschwand als etwas „Unfertiges“ unter glatten Putz-
schichten.706)
Die ältesten Versuche, Steinstruktur zur Geltung zu brin-
gen, finden sich in der etruskischen und römischen Rusti-
ka, wobei anzunehmen ist, daß die Römer ihre Rusti-
ka—meist Bossenquader mit Saumschlag707) —weniger
aus künstlerischen Rücksichten als aus praktischen Erwä-
gungen anwandten: erforderte doch diese Arbeitsweise we-
niger Sorgfalt als eine bündige Verlegung. Von den künstle-
risch bearbeiten Ziergliedern abgesehen, pflegte man in der
Romanik und der Gotik Werkstein-Mauerflächen weitge-
hend mit Putz zu verdecken.708) Erst seit der Renaissance
wurde die Rustika ein beliebtes Mittel der formalen Gestal-
tung und des künstlerischen Ausdrucks; Bauten mit Wehr-
charakter betonte man gerne durch Verwendung von
Buckelquadern709), während für andere Zwecke die ver-
schiedenen Rustika-Formen wie Diamant-, Spiegel- oder
Polsterquader geschaffen wurden. Nach Stockwerken war
die Quaderung unterschiedlich bearbeitet: das Sockelge-
schoß meist kräftig, mit unregelmässigen Bossen, die an-
deren Geschosse nach oben hin regelmäßiger und feiner
werdend.710)
Die nachfolgenden Epochen des Barock und des Rokoko
verwendeten Werkstein als sichtbare Rustika ebenso wie
als einfaches Baumaterial, das mitunter verputzt wurde, um
gleichmäßige Malflächen zu schaffen.711) Wie wenig mate-
rialgerecht die Verarbeitung sein konnte, zeigt die Belebung
der Rustikaflächen durch tropfenartige Gebilde, die beson-
ders im süddeutschen Raum seit der Spätrenaissance ger-
ne für Brunnenbauten verwendet wurden.712)
Erst im Klassizismus begann man wieder den Werkstein al-
len anderen Baumaterialien bzw. allen anderen Fassaden-
techniken vorzuziehen. In der Folge wurden auch viele ver-
putzte romanische und gotische Kirchen „steinsichtig“ ge-
macht; die Farbfeindlichkeit jener Epoche sei hier nur im
Zusammenhang mit der wiederentdeckten Wertschätzung
der Materialwirkung edler Steinsorten (wie z.B. Carrara-
Marmor) erwähnt.713)
Nach der Gründerzeit, die vielfach Steinformen in Putz
nachahmte, erlebte der Werksteinbau um 1900 eine neuer-
liche Blütezeit: angeregt durch das Streben nach Material-
gerechtigkeit beschäftigten sich die europäischen Archi-
tekten mit Richardsons Formensprache und entdeckten
den Reiz unbehauenen Quaderwerks neu.714)
Zudem war man nicht mehr, wie in den vorangegangenen
Epochen, auf das Vorkommen geeigneten Steinmaterials in
näherer Umgebung des Bauplatzes oder auf günstige Tran-
sportmöglichkeiten wie schiffbare Flüsse angewiesen;
man konnte — wenn auch mit einigem finanziellen Auf-

wand — mit der Eisenbahn jedes gewünschte Material
auch in größerem Umfang heranschaffen.
In München blieb lange Zeit bis hinauf zu den höfischen
Bauten die Putzarchitektur üblich, weil außer Tuff und
Nagelfluh keine nennenswerten Vorkommen an verwend-
baren Gesteinsarten vorhanden waren. Der Transport von
Kalkstein auf der reißenden Isar gestaltete sich ausgespro-
chen schwierig, und so stand die bayrische Hauptstadt im
Gegensatz zu vielen Provinzstädten, wo (wie in Nürnberg
oder Würzburg) zumindest die Sockel sowie die Tür- und
Fensterrahmungen aus Stein hergestellt wurden und wo je-
der Maurermeister zugleich Steinmetzmeister war.715)
Materialeigenschaften der verschiedenen Gesteinsarten
Vor der Jugendstilzeit waren die Werksteinfassaden meist
aus einer Gesteinssorte gefertigt; Kontraste ergaben sich
vorwiegend durch unterschiedliche Behandlung der Ober-
flächen (glatt, künstlich gerauht oder Naturbruch), sowie
durch Bänderung oder Rustizierung.716)
Um die Jahrhundertwende kamen verschiedene Gesteine
nebeneinander zur Anwendung; für große Massen und für
Sockel bevorzugte man Granit, Syenit, Porphyr und ähn-
liche harte Gesteine; die oberen Geschosse wurden dage-
gen meist in feinkörnigem Material wie Sandstein oder Mar-
mor gestaltet.717)
Sehr beliebt war auch Muschelkalkstein, der infolge späte-
ren Auslaufens des Kalkes eine „regellose Buntscheckig-
keit“ erhielt718); meist wurde er in „grobschlächtiger Bear-
beitung“ für größere Flächen verwendet, wobei auf „lager-
hafte Schichtung“ dieses Materials719) großer Wert gelegt
wurde. Es erfreute sich in München bereits in den neunziger
Jahren großer Verbreitung während es in Berlin erst nach
der Jahrhundertwende „entdeckt“ wurde.720)
Von ähnlicher Wirkung ist Travertin, auch Sauerwassertuff
genannt; seine typischen Merkmale sind große Löcher und
weitverzweigte Gänge. Für eine plattenweise Verkleidung
bietet sich der verwandte Süßwassertuff an: er ist im Bruch
mühelos zu sägen, weil er erst nach der Berührung mit der
Luft erhärtet.721)
Im allgemeinen wurde aber aus Kostengründen doch dem
jeweiligen Naturstein aus der näheren Umgebung der Bau-
stelle der Vorzug gegeben, sofern er den technischen Anfor-
derungen genügte. Zudem erwies sich manches Steinmate-
rial als dauerhafter, wenn es in gewohntem Klima verblieb.
Stammte das Gestein aus verschiedenen Steinbrüchen, so
genügte es nicht, nur die Farbwerte der einzelnen Sorten
harmonisch aufeinander abzustimmen: auch die Gefahr ei-
ner gegenseitigen Zerstörung durch verschiedene chemi-
sche Vorgänge war zu beachten, ferner das verschiedenarti-
ge Altern; dunkler Muschelkalk wird bei Alterung beispiels-
weise heller, hellgrauer Kalkstein aber dunkler.722)
Farbe und Struktur konnten durch verschiedenartige Ober-
flächengestaltung optisch unterdrückt oder hervorgehoben
werden, je nachdem der Stein gespitzt, gestockt, geschlif-
fen oder poliert wurde.723)
Während der Gründerzeit übertrug man die bisher auf ganz
bestimmte Gesteinssorten beschränkten Profilierungen
auch auf andere, weniger geeignete Steinmaterialien: so et-
wa die aus Kalkstein gefertigen Bossen der italienischen
Paläste, die nun in weichem Sandstein nachgebildet wur-

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