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Klein, Dieter; Dülfer, Martin; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Dülfer, Martin [Ill.]
Martin Dülfer: Wegbereiter der deutschen Jugendstilarchitektur — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 8: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.63235#0050

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Ohne Zweifel ist auf Oberflächenbeschaffenheit begründe-
te Farbschattierung materialgerecht602); ein Teil der ästheti-
schen Wirkung ist wohl auch dem Eindruck der Homogeni-
tät zuzuschreiben, den eine ohne Fugen und ohne Werk-
steindetails ausgebildete Putzfassade bietet. Dazu brachte
die Schraffur (wenn Kammputz verwendet wurde) eine ge-
wisse Richtungstendenz in die Massen, indem entweder
die breitgelagerte Fläche oder die vertikale „strebende“
Richtung betont wurde.603)
Als durchaus materialgerecht empfand man jedoch den
sandsteinartigen Eindruck, den eine in Naturton belassene
Putzfassade bietet; bei einzelnen Bauwerken wurde dieser
Eindruck durch Beimengung von Marmorstaub (z. B. an der
Hauptfassade des Meraner Theaters) verstärkt.
Interpretation der optischen Wirkung
Über die Wirksamkeit nebeneinander verwendeter glatter
und rauher Putzsorten gab es völlig konträre Interpretatio-
nen: den einen erschien die optische Wirkung des Rauhput-
zes weicher, Vergleiche mit gemasertem Holz oder gemu-
stertem Tuch wurden angestellt. Analog dazu mußte glatter
Putz härter und steinartiger empfunden werden und für be-
lastete Teile wie Mauersockel prädestiniert erscheinen
(wenn nicht Beton oderWerkstein vorgezogen wurde), eben-
so für durchlaufende Mauerpfeiler, Erker, Fensterrahmun-
gen sowie für Bogen- und Gesimsprofile.604)
Die andere Seite vertrat dagegen den Standpunkt, daß eine
rauhe Oberfläche kräftig und schwer wirke und eben des-
halb für schwer belastete Teile (Sockel, Mauerpfeiler) zu ver-
wenden sei.
Logischerweise gingen auch die Meinungen über glattver-
putzte Flächen auseinander: erschienen sie den einen
durch den „natürlichen Lichteffekt“ als besonders steinar-
tig, so wollten sie die anderen nur auf „getragene und leich-
ter wirkende“ Bauteile beschränkt wissen.605) Tatsächlich
dürfte aber der Eindruck, den die verschieden behandelten
Putzflächen auf den Beschauer machen, von den jeweiligen
Intentionen des Künstlers abhängen (vgl. auch S. 50).
Formen und Gliederungen der Putzfassaden, Putz als form-
bildendes Element
Waren in der Epoche des Historismus die aus der
Werksteinarchitektur überkommenen Profile auf die Putz-
technik übertragen worden, so trachtete man im Jugendstil
die Formen aus der Eigenart der Putztechnik zu entwickeln.
Putz wurde in zunehmendem Maße zum ausschlaggeben-
den Moment für die Formenbildung; das ging soweit, daß
sogar Haustein in Formen verarbeitet wurde, die sich aus
dem modernen Putzstil entwickelt hatten.606)
Sobald von geometrisch-kristallinen Grundformen zugun-
sten einer freigekrümmten Form bei der Gestaltung eines
Bauteils abgegangen wurde, interpretierte man das als Ab-
sicht, den betreffenden Körper nach Grundsätzen orga-
nisch gewachsener Formen ausbilden zu wollen. Die Auf-
fassung einer „organisch gewachsenen“ Form entstand
aus der Vorstellung des ganzen Gebildes (hier: der ganzen
Fassade) als einheitliche, gleichartige Masse. Dazu wurde
der innige Anschluß an die Konstruktion gefordert, die man
durch die Form des Putzüberzuges zumindest noch ahnen
wollte.607)

Ornamentik an Putzfassaden
Das Putzornament des Jugendstils war als nicht wegzuden-
kender Bestandteil mit der Putzhaut verbunden: „Das Orna-
ment gibt dem Architekten... die Möglichkeit, den Grund-
charakter durch eine Reihe von Nuancen zu beleben...,
Härten zu beseitigen und auf kleineren Flächen Wirkungen
zu erzielen, die ohne Ornament nur mit großer Raumver-
schwendung möglich sind.“608)
In der Münchner Putzgestaltung bildete der ornamentale
Fries meist den Hauptteil des Stockwerks- und des Haupt-
gesimses; weil diese Friese bevorzugt in Höhe der Balken-
lagen angebracht waren, wurden sie oft durch die Fenster-
öffnungen angeschnitten (erstmals wohl bei Dülfers Kaim-
saal, Abb. 87).
Die für die Friese verwendeten Fertigstuckteile waren in
der Regel so gestaltet, daß nur wenige Gußmodelle benö-
tigt wurden und die Fassadengestaltung nicht allzu teuer
kam.609)
Als oberer Fassadenabschluß wurde gerne die ägyptisie-
rende Hohlkehle gewählt610) und oftmals mit vegetabilem
Dekor versehen (z.B. in der Schellingstraße bei Nr. 26, Abb.
29).
Für Dülfer typisch war über größere Flächen verteiltes Ran-
kenwerk mit frei angetragenen, symbolisierenden Stuck-
masken611); diese Art der Dekoration sollte für die Münch-
ner Fassadengestaltung der Jahrhundertwende bestim-
mend werden (Abb. 20, 21). Zunächst aber wurden solche
bewegten Linienformen von den meisten Architekten (bzw.
Innenarchitekten) vorwiegend noch für Inneneinrichtungen
und Kunstgewerbe verwendet.612)
An Fertigstuckteilen bevorzugte Dülfer unter anderem ein
Rosettenmuster, das „ungestielte, farbige Rundblümchen
in wechselnder Reihenfolge“ zeigte und gewissermaßen ei-
nen Blütenteppich versinnbildlichte613), ferner in längliche
Rechtecke eingepaßte Akanthusblätter, diamantartige geo-
metrische Ornamente, große Rosetten auf Schlußsteinen,
Klötzchenfriese und anderes (Abb. 17, 18, 23).
Dülfers Dekor war bis ins letzte Detail von ihm selbst ent-
worfen; er bediente sich nicht der in Musterbüchern ange-
botenen Stuckteile, die in sämtlichen Stilrichtungen erhält-
lich waren. Diesen Massenwaren war es zuzuschreiben,
daß ornamentaler Schmuck bald generell abgelehnt wurde;
die „unternehmerhafte, falsch verstandene Moderne“614)
schlich sich vor allem in die Fassadengestaltung ein. So
kam es, daß diese in der Folgezeit mit „Scheinkunst“
gleichgesetzt und dementsprechend geringschätzig be-
trachtet wurde, obwohl doch gerade die Fassadenbaukunst
eine der Aufgaben war, an deren Lösung sich seit jeher mit
großer Sicherheit Können wie auch technisches und künst-
lerisches Verständnis eines Architekten beurteilen ließ.615)
Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, daß die Grundge-
danken des Nützlichkeitsprinzips, die ursprünglich für das
neue Stilstreben maßgeblich waren, nicht nur bei der Fas-
sadengestaltung zwischendurch völlig vergessen schie-
nen616): Naturstein wurde in von der Putzarchitektur abge-
leitete Formen gebracht, auch verarbeitete man die ver-
schiedensten Holzarten in „teigigen Umrißlinien“, die viel
eher Ton oder ähnlichen Materialien entsprochen hätten.

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