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Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Contr.]
Denkmalinventarisation in Bayern: Anfänge und Perspektiven — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 9: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1981

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Breuer, Tilmann: Baudenkmalkunde. Versuch einer Systematik
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https://doi.org/10.11588/diglit.63237#0008
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Tilmann Breuer
Baudenkmalkunde.
Versuch einer Systematik

Ehe eine Baudenkmalkunde als wissenschaftliches Fach
dargestellt und strukturiert werden kann, ist der Denkmal-
begriff in seiner Allgemeinheit wiederherzustellen und sind
illegitime Verwaschenheiten abzuklären. Es erzeugt Unbe-
hagen, wenn immer von der Erweiterung des Denkmalbe-
griffes geredet wird, welche die Denkmälerzahl anwachsen
lasse und damit so mißliche gesellschaftliche und politi-
sche Probleme schaffe. Der Denkmalbegriff ist immer all-
gemein gedacht worden und zu denken. Mit Recht wendet
sich die Denkmalkritik gegen die Einschränkungen des
Denkmalbegriffes: Taten und Tugenden seien dauernder
als Denkmäler von Erz und Stein sagt Perikies, und mit sei-
ner Geschichte des Peloponnesischen Krieges will Thuky-
dides ein K.Trjfj.äre e^alet, ein Denkmal also für alle Ewig-
keit begründen. Denkmal ist somit jeder materielle und im-
materielle Gegenstandszusammenhang, welcher Anden-
ken an eine in der Vergangenheit erbrachte Leistung moti-
viert. Es braucht somit nicht mehr daran zu erinnert werden,
daß ein Chorlied des Sophokles, in der Erinnerung aufer-
weckt, als Denkmal ebenso lebendig ragt wie die zer-
bröckelnden Säulen des Parthenon als Teile einer gefährde-
ten Umwelt.
Die Denkmalwelt, als Pantheon Andenken an Leistung er-
zeugend, ist andererseits nicht unbedingt identisch mit ei-
nem allgemeinen „Kulturerbe der Menschheit” oder gar nur
mit „Baulicher Umwelt”. Dies beides mit dem Denkmalbe-
griff identifiziert wäre in der Tat nicht nur erschreckende Er-
weiterung, sondern Auflösung. Daß unter dem Kulturerbe-
Patrimonium die Denkmale der Natur mitverstanden wer-
den können, ist dabei nicht einmal so gravierend, denn die
Unterscheidung von Natur und Kultur kann durchaus nicht
als allgemeingültig angesehen werden. Ganz zu Recht wird
das neuentdeckte Eiland zum Denkmal menschlicher Welt-
fahrerleistung. Vielmehr ist es die Tendenz zur Nivellierung,
die einen Begriff wie Kulturerbe vom Denkmalbegriff ab-
setzt, denn Denkmale gibt es nur innerhalb eines Wertre-
liefs. Wäre daneben Denkmalwelt mit baulicher Umwelt
identisch, ließe sich Denkmalschutz mit baulichem Um-
weltschutz identifizieren. Umwelt ist aber jeweils die Pro-
jektion eigenen Lebensgefühles in die Gegenstände der
Umgebung mit dem Ziel, aktiv und passiv anzupassen. An-
passung ist aber nun ganz und gar nicht die Forderung,
welche das Denkmal als Zeugnis von Leistung stellt, son-
dern Auseinandersetzung. Angepaßte Denkmale wären ein
Widerspruch; Denkmale fordern durch Fremdheit. Die Aus-
einandersetzung mit dem Denkmal kann zur Zuordnung, ja,
zur schmerzhaften Unterordnung führen; bequem ist sie
nie. Denkmalschutz wäre pervertiert, wenn er zur Verhinde-
rung von Leistung führte. Insoweit darf also von einer Er-
weiterung des Denkmalbegriffes gar nicht die Rede sein.
Denkmal erzeugt Andenken, Gedenken. Dieses Andenken
und Gedenken ist wesentlich unterschieden von der —
ebenso legitimen — Freude des Vollbringens. Damit ist zu-

gleich aber auch gesagt, daß Denkmal jeweils aus der Ver-
gangenheit in die Gegenwart hereinragt; seine oft er-
schreckende Fremdheit kann somit kaum verwunderlich
sein. Denkmal und Geschichtsdenkmal sind eins; die
Scheu, sich zu Lebzeiten ein Denkmal setzen zu lassen, na-
heliegend und tief begründet; Gedenken und Vergessen
läßt sich nicht manipulieren oder oktroyieren.
Dennoch ist Denkmal immer nur als unmittelbare Gegen-
wart aktuell. Es muß zur Sprache gebracht werden oder ver-
stehbar Sprache sein. Zwischen der Fremdheit der Vergan-
genheit und dem Selbstverständnis einer Gegenwart muß
eine Vermittlung oder noch wenigstens eine Vermittelbar-
keit, ein Verstehen möglich sein. Verstehbarkeit aber wird
intensiviert, wenn der Inhalt einer Leistung anschaulich zur
Form gebracht ist. Das Kunstdenkmal ist somit nicht dem
Geschichtsdenkmal entgegenzusetzen; das Geschichts-
denkmal erreicht vielmehr erst als Kunstdenkmal imma-
nent Qualität. Dabei kann nach dem vorhergesagten nicht
mehr mißverstanden werden, daß Vergegenwärtigung
durch Kunst die Fremdheit des aus der Geschichte in die
Gegenwart ragenden Denkmals mildere. Im Gegenteil: Die
Fremdheit wird anschaulich. Daß solche Überlegungen ein
elitärer Kunstbegriff zugrundeliegt, soll nicht verschleiert
werden; aber ebensowenig darf unterstellt werden, daß hier
Kunst als Verschleierung durch Schönheit mißverstanden
wird.
Wenn aber das Denkmal in seiner Fremdheit aus der Ge-
schichte in die Gegenwart hineinragt, dann ist das Verste-
hen seiner Botschaft selbst dann nicht selbstverständlich,
wenn es sich als Kunstdenkmal qualifiziert; dies ist die
Kehrseite der Aufhebung des Gegensatzes von Kunst und
Geschichte im Denkmal. Zum materiellen oder immateriel-
len Substrat des Andenkens muß die authentische Tradi-
tion hinzutreten, welche die Distanz der Fremdheit ausmißt
und überbrückt. Jedes KTfj/id re esalet ist der Minderung
durch die Geschichte ausgesetzt; die Wege der Über-
lieferung werden nicht ohne Verluste begangen. Dennoch
hat das Denkmal Anspruch auf authentische Rekonstruk-
tion seiner Aussage als Grundlage seiner Aktualität. Nach
dem Vorgesagten dürfte hierbei hinreichend deutlich sein,
daß von immaterieller Rekonstruktion die Rede ist, welche
der materiellen entgegengesetzt ist. Materielle Rekonstruk-
tion bedeutet, insoweit sie über die Bezeichnung eines Or-
tes von Bedeutung hinausgeht, geradezu Verlust an au-
thentischer Tradition. Sie mindert nicht nur die hier gefor-
derte immaterielle Rekonstruktion, sie verhindert sie. Erst
durch die authentische Tradition wird das materielle oder
immaterielle Substrat des Andenkens schließlich zum ak-
tuellen Denkmal. Das Wissen um diese Tradition erzeugt
erst das aktuelle Denkmal in seinem eigentlichen Sinn und
in seiner aktuellen Gegenwart. Denkmalkunde schafft also
ihren Gegenstand.

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