NACHTRAG ZUR MONOGRAPHIE ALBERTIS1)
UND
DESSEN VERHÄLTNIS ZU BERNARDO ROSSELLINO
IE wichtigsten Gründe nötigen, den Monographien dieser beiden
Meister Ergänzungen und Berichtigungen anzugliedern. Schon
lange bildete das Verhältnis beider Meister zueinander in ihrem
Wirken in Rom zur Zeit Nikolaus’ V. für Architekten wie für Kunst-
historiker ein quälendes Problem. In neuerer Zeit hat man den Palazzo RuCellai
ebenfalls in dasselbe hineingezogen. In der Hoffnung, diese Fragen zu lösen,
sind die Verfasser dieser Monographien mit einer noch nie dagewesenen Ent-
schlossenheit nicht nur für Rossellino eingetreten, sondern H. von Stegmann
hat die Monographie Albertis auch noch mit Vorurteilen unternommen, die ihn
zu den befremdendsten Schlüssen führten. Letzteres musste seinen Sohn um so
mehr beeinflussen, als er nicht Architekt ist und ihm hierdurch die Beurteilung
mancher Punkte erschwert wurde.
Es ist jetzt um so nötiger, die Rechte Albertis wieder zur Geltung zu
bringen, als die Schlüsse seiner Gegner in schreiendem Widerspruch zu allem,
was die Geschichte bisher geglaubt hat, stehen. Hiergegen wäre nichts einzu-
wenden, wenn die neue Auffassung auf solidem Fundamente aufgebaut wäre.
Man wird sehen, wie wenig dies der Fall ist.
Drei Gründe haben Herrn von Stegmann irregeführt. Vor allem sind es
Vorurteile, wie sie bei Meistern, die aus der Praxis hervorgegangen, häufig sind.
Schon mehrere Jahre, ehe er die Monographie Albertis schrieb, sagte er mir, er
halte den Ruhm Albertis für sehr übertrieben. Infolge meines auf sein Verlangen
erfolgten Austritts vermochte er später, trotz aller Anstrengung, nicht die nötige
Zeit zu finden, um die Thätigkeit eines so bedeutenden Mannes mit deren extra-
schwierigen Problemen in richtiger Weise zu untersuchen.2)
Infolge dieses Zeitmangels haben sich bei ihm über die Elemente des
Problems eine Reihe irrtümlicher Gedanken ausgebildet.
1. Die Nachrichten Vasaris, meint er, geben ein schmeichelhaftes Bild
seiner Thätigkeit. — Es ist dies nicht richtig. Vasari lässt sich nicht vom Schrift-
steller in Alberti blenden. Er hebt mit Nachdruck die Notwendigkeit der Ver-
bindung von Theorie und Praxis hervor; nach der Länge seiner Besprechung
kleinerer Mängel an der Loggia der Rucellai sowie derer des Kuppelbaues an
der Annunziata fühlt man bei ihm wie bei H. von Stegmann etwas vom Wohl-
behagen, das oft Praktiker in solchen Fällen zeigen.
Verglichen mit den Biographien anderer bedeutenden Meister ist die
Albertis bei Vasari statt schmeichelhaft auffallend kalt.
2. Ausserdem, schreibt H. v. Stegmann, enthält die Biographie Vasaris
viel Unwahres zu Gunsten Albertis. Wir werden sehen, dass in den Haupt-
punkten sämtliche seiner Angaben richtig sind, seine Würdigung aber der Ver-
dienste Albertis eine ungenügende ist.
3. Die zahlreichen berichtigenden Nachrichten und Notizen Milanesis. —
Von diesen angeblich berichtigenden Notizen des von mir hochverehrten und
geliebten G. Milanesi ist nicht eine einzige, die, ins richtige Licht gestellt, die
Autorschaft der Alberti zugeschriebenen Hauptwerke ins Wanken bringen könnte.
Dasselbe gilt von den Forschungen meiner Freunde E. Müntz, Charles Yriarte
und C. von Fabriczy. Das wertvolle Buch Yriartes5) über Rimini, welches H. von
Stegmann ignoriert hat, wirft im Gegenteil neues, kostbares Licht über die Art,
wie die Werke Albertis ausgeführt wurden;
4. findet er, dass selbst neuere Schriften Alberti als Architekten viel
überschätzen und dass es den neuesten Forschungen ■— welche gemeint sind,
weiss ich nicht — vorbehalten blieb, seinen Ruhm und den Umfang seiner Thätig-
keit als Architekt einzuschränken.
Die Berichtigung dieser drei Punkte wird wohl jeder Leser am Schlüsse
dieses Nachtrages selbst vornehmen können. Ich bin auch überzeugt, dass, wenn
H. von Stegmann, statt wie es uns allen öfter ergangen ist, sich durch neue
aber unklare Dokumente blenden zu lassen, Zeit gehabt hätte, deren Sinn und
Tragweite zu prüfen, so wäre sein Urteil anders ausgefallen. Ich habe mehrere
Male gesehen, dass er von seinem ersten Eindruck zurückkam, als er sich zu
überzeugen Gelegenheit bekam, dass seine erste Information eine nicht hinreichende
gewesen war.
5. H. von Stegmann hält den Umstand, dass wenige Nachrichten von
Künstlern der Renaissance über Alberti vorhanden sind, als ungünstig für diesen.
Er vergisst, dass sie sich ebenso selten über andere Meister geäussert haben.
6. Es habe Alberti für die Gebäude, die man ihm zuschreibt, meistens
nur Ratschläge und Skizzen geliefert. Die Feststellung der Entwürfe der Modelle
und Bauzeichnungen sei das Werk der ausführenden Meister gewesen, die man
somit als die wirklichen Architekten dieser Gebäude ansehen müsse. Wo er in
seinen Werken etwas Gutes findet, glaubt er es letzteren zuschreiben zu müssen.
Fünfmal bezeichnet er das Wirken Albertis als das eines Dilettanten!
Der Leser wird sehen, wie wenig dies alles mit dem Nachstehenden im
Einklang steht.
Die Ansichten, die H. von Stegmann über den Wert der antik-römischen
Architektur ausspricht, machen ihn ebenfalls ungerecht. Er vergisst hierbei, dass
Phasen, wo das Leben von der freien Richtung der Kunst kommt, mit anderen
abwechseln, wo das Streben nach der Vollkommenheit, deren bis jetzt unüber-
troffene Lehrerin die klassische Antike bleibt, allein zum Fortschritt führen kann.
Wer die von mir hervorgehobenen Eigenschaften Albertis prüfen will,
wird sich dann wohl fragen, wie man auf die Idee kommen konnte, Alberti sei
nur ein Dilettant gewesen, es habe ihm jede künstlerische Individualität gefehlt,
und dieser Meister sei nur Theoretiker und der Vater der akademischen Lange-
weile geworden.
Ich gehe nun zur Erörterung der einzelnen Fragen und zu den Nach-
trägen über.
Albertis ausführende Architekten h. von Stegmann hebt
hervor, dass Alberti sich nirgends in seinen Werken als ausführenden Architekten
nennt. Er vergisst, dass gerade bei Alberti dies gar nichts sagen will, da er die
befremdende Idee aufstellt, der Architekt solle nicht selbst, die Ausführung
seiner Entwürfe unternehmen.*) Es verlange seine Würde, dass er sich darauf
beschränke, gewissenhafte Ratschläge und vortreffliche Zeich-
nungen zu geben.5)
1) Dieser Nachtrag ist von H. von Geymüller 1906 verfasst.
2) Die Monographien Albertis und Bernardo Rossellinos entstanden in der Zeit, wo
auf Verlangen von FI. von Stegmann ich meine Teilnahme am Toscanawerke aufgeben musste.
Ich konnte folglich nicht auf die Ansichten H. von Stegmanns und seines Sohnes einwirken
und darf jede Verantwortung für dieselben ablehnen.
3) Yriarte, Charles. Rimini. Un Condottiere au XV siede. Etüde sur les lettres et
les Arts ä la cour des Malatesta. Paris 1882. Die Vorurteile einiger gegen die Arbeiten
Yriartes sind übertrieben. Sein feiner Künstlerblick verdient stets Beachtung.
4) Wenn auch Vasari sich im Namen desjenigen, der die Bauten Albertis in Florenz
ausführte, geirrt hat, so sind die Worte dennoch beachtenswert. Er schreibt: Fu excutore
Architektur der Renaissance in Toscana, Alberti-Nachtrag.
de’ disegni e modelli di Leon Batista Salvestro Fancelli fiorentino architetto e scultore ragione-
vole; il quäle condusse secondo il voler de detto Leon Battista, tutte l’opere ehe fece fare
in Firenze con guidizio e diligenza straordinaria. Vasari wusste somit, dass Alberti keines
seiner Werke in Florenz selbst ausgeführt habe. Vasari II, 546.
5) Mancini 354: L’uomo savio cerca di conservare la propria dignitä, e basta ehe
dia coscienziosi consigli e ottimi disegni a chi li domanda. Che se talora t’incaricherai di
sorvegliare e condurre a termine il lavoro, difficilmente eviterai di vedere imputati soltanto a
te i diffetti e gli errori commessi per imperizia e negligenza altrui. La sorveglianza occorre
affidarla ad assistenti solerti, circospetti, severi, ehe attendano all’ esecuzione dell’ opera con
diligenza industria ed assiduitä. (De re aedificatoria lib. IX, cap. 9.)
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