LEONARDO DA VINCI
ALS ARCHITEKT
geb. 1452, gest. 2. Mai 1519.
EONARDO da Vinci eröffnet vielfach eine neue
Periode der Kunst. Er war auch in das Wesen
der Architektur tiefer gedrungen als viele berühmte
Baumeister1), und seine Architektur-Studien sind,
wenn auch sehr fragmentarisch, oft von einzigem
Werte. Da ich früher2) schon die meisten derselben geordnet
und zum Teil abgebildet habe, will ich hier nur deren Charaktere
Eckplätzen von gleicher Form, eine Vorstufe der Idealschlösser
Du Cerceaus7), und Bl. 961, Studien zu einer Idealburg.
Im Bande B sieht man einen eigentümlichen quadratischen
Treppenturm mit fünf vollständig getrennten Treppen, eine um
einen inneren quadratischen Schacht, und vier andere, die an jeder
Seite der Aussenmauer dieser Treppe beginnen. Er liegt, wie
im Donjon von Chambord, in der Mitte vier quadratischer Eck-
hervorheben. Einige neue Illustrationen hier, andere aus meiner
ersten Arbeit, im Gesamtüberblick wiederholt, erläutern den Stoff.3)
Ich teile das jetzt in Betracht kommende Material in
Gebäudegattungen, Gebäudeteile, Details und Ornament, Kon-
struktion und Technisches, Ästhetisches und Methoden der Kunst.
Pro FAN BAU 1. Studien zu Städteanlagen. Wir
sehen hier eine Stadt mit einem doppelten Strassensystem4):
einem höheren und einem tiefer gelegenen; Stadtanlagen mit einem
Kanal- und Strassensystem5); davon zwei auf schifförmigen Inseln.
Vorschriften für das Reinhalten der Kanäle '
begleiten sie.
2. Studien für königliche Schlös-
ser Franz I. Das Grundriss-Schema eines
im Codice Atlantico Bl. 227 befindlichen an
der Strasse von Amboise gedachten Schlosses
habe ich an anderer Stelle wiedergegeben.6)
Auf Bl. 987, offenbar im Zusammenhänge mit
diesem, drei weitere Studien. Es sind Vor-
stufen eines königlichen „Idealschlosses“, das
bauten und scheint für Verteidigungszwecke gedacht. Leonardo
bemerkt, dass der Turm rund oder quadratisch sein könne. Auf
Bl. 48 ist dieser Gedanke modifiziert auf einen Rundturm adap-
tiert. Bl. 57, 60, 68 und 69 zeigen Varianten dieser Gedanken.
3. Paläste. Zu erwähnen sind: die Fassade (Fig. 4) mit
grosser Pilasterordnung, wie in Berninis Fassaden.8) Ferner eine
Palastecke B (Fig. 1), die, wenn auch zum Palastschema daneben
gehörend, nach den drei Säulen der Ecke zu urteilen, offenbar
vom Palaste Raffaels im Borgo nuovo zu Rom eingegeben ist.9)
4. Villenbau. Fig. 3 zeigt10) eine Abstufung der Massen,
die toscanische Villen damals nicht hatten. Man
findet auch zwei originelle Gartenpavillons mit
einer Fontäne in der Mitte, als Loggien gebildet,
um gleichzeitig die Pumpwerke zu verbergen.11)
5. Häuser. Hier ist die Textstelle 74412)
über bewegliche Häuser, wohl für den Hof
ITanzI. berechnet, zu erwähnen. Cod. Atl. Bl.951
zeigt einen kleinen quadratischen Pavillon mit
pyramidalem Dach zum Auseinandernehmen.
6. Stallungen. Sehr interessant ist
Fis. 1. GLIEDERÜNGS-MOTIVE FÜR PALASTFASSADEN.
Leonardo im Kopfe trug. Er ist einer der moralischen Schöpfer
von Chambord. Einen anderen Gedanken zeigte der Grundriss
eines von Kanälen umgebenen und durchzogenen königlichen
Schlosses mit Plätzen für Ballspiel, Turnieren und Seegefechten,
sich an eine Stadt anschliessend, Cod. Atlant. Bl. 719. Dann,
Bl. 809, das Fragment eines quadratischen oder rechteckigen
Schlosses mit zwei grossen runden Ecktürmen und daneben einen
grossen ähnlichen Turm, als Kuppelbau bekrönt, eine Spiraltreppe nach
dem System von Blois und Chambord bildend. Ferner eine grosse
Schloss- oder Stadtanlage mit centralem achteckigen Platz und vier
die Anordnung für mustergültige reinliche Stallungen.13) Ferner
eine über die zweigeschossigen Stallungen Lorenzos il Magnifico.
Cod. Atl. Bl. 290 und Cod. Trivulz. Bl. 39 a für 256 Pferde
(nicht 128, wie Leonardo sich verschreibt), berechnet.
IClRCHENBAU Dies Gebiet zeigt die zahlreichsten und
zusammenhängendsten Studien und lässt am besten Leonardos
Methode für Beherrschung architektonischer Stilprobleme erkennen.
Wir besitzen allgemeine Ideen und Studien nach vorhan-
denen Denkmälern, den Traktat über Kuppelbauten bei Central- und
1) Die bekannten Fälle, wo man ihn als Architekt wirken oder als
solcher bezeichnet sieht, sind: 1487 die Anfertigung eines Modells für die Kuppel
des Mailänder Doms; 1492, Innendekorationen im Kastell zu Mailand; 1492,
das Badehaus der Herzogin Beatrice von Mailand; 1502, das ihm von Cesare
Borgia verliehene Patent seines architetto e ingegnere generale in der
Romagna; 1510, 21. Oktober, seine Teilnahme an der Architektenkonferenz
zur Beratung von Verbesserungsvorschlägen für den Bau der Mailänder Domkuppel.
Vasari ediz. Milanesi. Prospetto Cronologico Bd. 4, S. 87.
2) Die Abschnitte XII und XIII des Werkes von J. P. Richter, „The Literary
Works of Leonardo da Vinci,“ London, 1883, Bd. II. S. 25—104 und Bl. 77—T°6.
3) Siehe Bd. XI, im Gesamtüberblick die Figuren 13—27.
4) The Literary Works: Bd. II, S. 27, Bl. 77—79.
5) Cod. Atlant. Bl. 82 u. 719. Eine andere Disposition durch den Ticino
gespeist. Bd. B. fol. 38 r. Die hier aus dem Codice Atlantico der Ambrosiana
in Mailand angeführten Blattnummern sind die der Prachtausgabe, welche die
R. Accademia dei Lincei mit Unterstützung des Königs und der Regierung durch
Dr. Giovanni Piumati herstellen liess. Mailand. Ulrico Hoepli, 1894—1904.
6) Siehe die Baukunst der Renaissance in Frankreich Bd. I, S. 48. Siehe
ferner Cod. Atl. Bl. 227 und The Literary Works etc. Bd. II, Bl. 81.
7) Cod. Atl. Bl. 1175- Ein Palast- oder Hausgrundriss von ähnlicher
Idee auf Bl. 1178. Auf Bl. 1179 ist der Mittelraum als griechisches Kreuz, mit
kurzen Armen gebildet, deren Verlängerung Zimmer bilden. Die Eckräume sind
quadratisch. Es sind Idealgrundrisse, entstanden durch methodische Abwechselung
der Räume.
8) Cod. Atl. Bl. 719 und Literary Works II, Bl. 102.
9) Siehe die Skizze Palladios in meinem Raffaello studiato come Archi-
tetto, Fig. 70. In: The Literary Works ist sie nach einer von J. P. Richter mit-
geteilten unrichtigen Pause dargestellt. In Faksimile gegeben bei Th. Sabachnikoff
und Gio. Piumati, im Codice sul volo degli Uccelli. Paris, Rouveyre 1893.
10) Siehe Cod. Atlantico Bl. 489. Auf Bl. 234 eine Villa mit drei Flügeln
und Zinnen in der Art des Belvedere Innocenz’ VIII. in Rom.
11) Cod. Atl. Bl. 181 und in: The Literary Works, Bl. 82.
12) The Literary Works etc., Bd. II, S. 28—29.
13) Ebenda, Bl. 78, Fig. 1. Bd. II, S. 69.
Architektur der Renaissance in Toscana, Leonardo da Vinci.
ALS ARCHITEKT
geb. 1452, gest. 2. Mai 1519.
EONARDO da Vinci eröffnet vielfach eine neue
Periode der Kunst. Er war auch in das Wesen
der Architektur tiefer gedrungen als viele berühmte
Baumeister1), und seine Architektur-Studien sind,
wenn auch sehr fragmentarisch, oft von einzigem
Werte. Da ich früher2) schon die meisten derselben geordnet
und zum Teil abgebildet habe, will ich hier nur deren Charaktere
Eckplätzen von gleicher Form, eine Vorstufe der Idealschlösser
Du Cerceaus7), und Bl. 961, Studien zu einer Idealburg.
Im Bande B sieht man einen eigentümlichen quadratischen
Treppenturm mit fünf vollständig getrennten Treppen, eine um
einen inneren quadratischen Schacht, und vier andere, die an jeder
Seite der Aussenmauer dieser Treppe beginnen. Er liegt, wie
im Donjon von Chambord, in der Mitte vier quadratischer Eck-
hervorheben. Einige neue Illustrationen hier, andere aus meiner
ersten Arbeit, im Gesamtüberblick wiederholt, erläutern den Stoff.3)
Ich teile das jetzt in Betracht kommende Material in
Gebäudegattungen, Gebäudeteile, Details und Ornament, Kon-
struktion und Technisches, Ästhetisches und Methoden der Kunst.
Pro FAN BAU 1. Studien zu Städteanlagen. Wir
sehen hier eine Stadt mit einem doppelten Strassensystem4):
einem höheren und einem tiefer gelegenen; Stadtanlagen mit einem
Kanal- und Strassensystem5); davon zwei auf schifförmigen Inseln.
Vorschriften für das Reinhalten der Kanäle '
begleiten sie.
2. Studien für königliche Schlös-
ser Franz I. Das Grundriss-Schema eines
im Codice Atlantico Bl. 227 befindlichen an
der Strasse von Amboise gedachten Schlosses
habe ich an anderer Stelle wiedergegeben.6)
Auf Bl. 987, offenbar im Zusammenhänge mit
diesem, drei weitere Studien. Es sind Vor-
stufen eines königlichen „Idealschlosses“, das
bauten und scheint für Verteidigungszwecke gedacht. Leonardo
bemerkt, dass der Turm rund oder quadratisch sein könne. Auf
Bl. 48 ist dieser Gedanke modifiziert auf einen Rundturm adap-
tiert. Bl. 57, 60, 68 und 69 zeigen Varianten dieser Gedanken.
3. Paläste. Zu erwähnen sind: die Fassade (Fig. 4) mit
grosser Pilasterordnung, wie in Berninis Fassaden.8) Ferner eine
Palastecke B (Fig. 1), die, wenn auch zum Palastschema daneben
gehörend, nach den drei Säulen der Ecke zu urteilen, offenbar
vom Palaste Raffaels im Borgo nuovo zu Rom eingegeben ist.9)
4. Villenbau. Fig. 3 zeigt10) eine Abstufung der Massen,
die toscanische Villen damals nicht hatten. Man
findet auch zwei originelle Gartenpavillons mit
einer Fontäne in der Mitte, als Loggien gebildet,
um gleichzeitig die Pumpwerke zu verbergen.11)
5. Häuser. Hier ist die Textstelle 74412)
über bewegliche Häuser, wohl für den Hof
ITanzI. berechnet, zu erwähnen. Cod. Atl. Bl.951
zeigt einen kleinen quadratischen Pavillon mit
pyramidalem Dach zum Auseinandernehmen.
6. Stallungen. Sehr interessant ist
Fis. 1. GLIEDERÜNGS-MOTIVE FÜR PALASTFASSADEN.
Leonardo im Kopfe trug. Er ist einer der moralischen Schöpfer
von Chambord. Einen anderen Gedanken zeigte der Grundriss
eines von Kanälen umgebenen und durchzogenen königlichen
Schlosses mit Plätzen für Ballspiel, Turnieren und Seegefechten,
sich an eine Stadt anschliessend, Cod. Atlant. Bl. 719. Dann,
Bl. 809, das Fragment eines quadratischen oder rechteckigen
Schlosses mit zwei grossen runden Ecktürmen und daneben einen
grossen ähnlichen Turm, als Kuppelbau bekrönt, eine Spiraltreppe nach
dem System von Blois und Chambord bildend. Ferner eine grosse
Schloss- oder Stadtanlage mit centralem achteckigen Platz und vier
die Anordnung für mustergültige reinliche Stallungen.13) Ferner
eine über die zweigeschossigen Stallungen Lorenzos il Magnifico.
Cod. Atl. Bl. 290 und Cod. Trivulz. Bl. 39 a für 256 Pferde
(nicht 128, wie Leonardo sich verschreibt), berechnet.
IClRCHENBAU Dies Gebiet zeigt die zahlreichsten und
zusammenhängendsten Studien und lässt am besten Leonardos
Methode für Beherrschung architektonischer Stilprobleme erkennen.
Wir besitzen allgemeine Ideen und Studien nach vorhan-
denen Denkmälern, den Traktat über Kuppelbauten bei Central- und
1) Die bekannten Fälle, wo man ihn als Architekt wirken oder als
solcher bezeichnet sieht, sind: 1487 die Anfertigung eines Modells für die Kuppel
des Mailänder Doms; 1492, Innendekorationen im Kastell zu Mailand; 1492,
das Badehaus der Herzogin Beatrice von Mailand; 1502, das ihm von Cesare
Borgia verliehene Patent seines architetto e ingegnere generale in der
Romagna; 1510, 21. Oktober, seine Teilnahme an der Architektenkonferenz
zur Beratung von Verbesserungsvorschlägen für den Bau der Mailänder Domkuppel.
Vasari ediz. Milanesi. Prospetto Cronologico Bd. 4, S. 87.
2) Die Abschnitte XII und XIII des Werkes von J. P. Richter, „The Literary
Works of Leonardo da Vinci,“ London, 1883, Bd. II. S. 25—104 und Bl. 77—T°6.
3) Siehe Bd. XI, im Gesamtüberblick die Figuren 13—27.
4) The Literary Works: Bd. II, S. 27, Bl. 77—79.
5) Cod. Atlant. Bl. 82 u. 719. Eine andere Disposition durch den Ticino
gespeist. Bd. B. fol. 38 r. Die hier aus dem Codice Atlantico der Ambrosiana
in Mailand angeführten Blattnummern sind die der Prachtausgabe, welche die
R. Accademia dei Lincei mit Unterstützung des Königs und der Regierung durch
Dr. Giovanni Piumati herstellen liess. Mailand. Ulrico Hoepli, 1894—1904.
6) Siehe die Baukunst der Renaissance in Frankreich Bd. I, S. 48. Siehe
ferner Cod. Atl. Bl. 227 und The Literary Works etc. Bd. II, Bl. 81.
7) Cod. Atl. Bl. 1175- Ein Palast- oder Hausgrundriss von ähnlicher
Idee auf Bl. 1178. Auf Bl. 1179 ist der Mittelraum als griechisches Kreuz, mit
kurzen Armen gebildet, deren Verlängerung Zimmer bilden. Die Eckräume sind
quadratisch. Es sind Idealgrundrisse, entstanden durch methodische Abwechselung
der Räume.
8) Cod. Atl. Bl. 719 und Literary Works II, Bl. 102.
9) Siehe die Skizze Palladios in meinem Raffaello studiato come Archi-
tetto, Fig. 70. In: The Literary Works ist sie nach einer von J. P. Richter mit-
geteilten unrichtigen Pause dargestellt. In Faksimile gegeben bei Th. Sabachnikoff
und Gio. Piumati, im Codice sul volo degli Uccelli. Paris, Rouveyre 1893.
10) Siehe Cod. Atlantico Bl. 489. Auf Bl. 234 eine Villa mit drei Flügeln
und Zinnen in der Art des Belvedere Innocenz’ VIII. in Rom.
11) Cod. Atl. Bl. 181 und in: The Literary Works, Bl. 82.
12) The Literary Works etc., Bd. II, S. 28—29.
13) Ebenda, Bl. 78, Fig. 1. Bd. II, S. 69.
Architektur der Renaissance in Toscana, Leonardo da Vinci.