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Instytut Historii Sztuki <Posen> [Editor]
Artium Quaestiones — 26.2015

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Rozprawy
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Boesten-Stengel, Albert: Danzig am Mittelmeer: die Bronzeskulptur des Neptunbrunnens - Ikonographie, Bilderfindung und Bedeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.42380#0047
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DANZIG AM MITTELMEER. DIE BRONZESKULPTUR DES NEPTUNBRUNNENS

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Vergil nimmt die Quos ego- Episode zum Anlaß, an die Eloquenz
eines idealen Herrschers zu erinnern, der die Gemüter der Aufgebrach-
ten alleine schon durch seine Worte befriedet: „ille regit dictis animos
et pectora mulcet”22. In humanistischer Deutung verkörperte Neptun
Eloquenz und Vernunft23. Entsprechend kommentierte Giorgio Vasari in
dem ersten seiner Ragionamenti von 1557, einem fiktiven Dialog von
Fürst und Maler, daß sein Gemälde des Neptun im Palazzo Vecchio als
Allegorie des Fürsten zu verstehen sei24. Es ist Vergils Vision der idealen
Herrscherfigur, der sich der Rhetorengestus bei Montorsolis Neptun in
Messina und seine fast lässige Variante bei dem Bologneser Giganten
verdanken (Abb. 2). Gegenüber der antiken Ikonographie stellt der Rhe-
torengestus in der Darstellung dieser Gottheit wohl eine Innovation dar,
doch kannte bereits die Antike Neptunfiguren als Herrschaftssymbol.
Erst die Renaissance scheint sich darauf verlegt zu haben, den Gestus
des Dreizackschwingens nicht als beständige, charakteristische Aktions-
art der Gottheit, sondern als Illustration einer bestimmten literarischen
Episode zu verstehen. Betrachten wir die Situation des Dichters Vergil,
drängt sich eine umgekehrte Perspektive auf: Wenn der Gott durch den
Gestus charakterisiert ist, konnte der Dichter sich herausgefordert
sehen, eine dem durch die Bildwerke verbürgten Charakter gemäße Epi-
sode mit Worten auszumalen.
Unter den bildlichen Neptun- oder Poseidon-Exemplaren der Antike
ist die eine, alle Aspekte der Danziger Figur vereinende Vorlage nicht
nachzuweisen. Wir stoßen vielmehr auf zwei deutlich getrennte Prototy-
pen: Der eine zeigt den Gott in Ruhe, der andere in Bewegung. Dabei ist
die Relativität von Ruhe und Bewegung im Medium der bildenden Kunst
zu bedenken. Das für sich genommen unbewegte, zeitlich fixierte Bild-
werk unterhält eine spezifisch semiotische Beziehung zu zeitlichen
Abläufen und narrativen Ordnungen. Wie ist die vorgestellte Dynamik
mit der tatsächlichen Statik des Bildwerks vermittelt?

22 Vergil, Aeneis I, 153.
23 Vgl. R. Preimesberger, Visual Ideas of Papal Authority: The Case of Bologna, (in:)
Iconography, propaganda, and legitimation, Hg. A. Ellenius, Oxford 1998, S. 183-186.
24 G. Vasari, op. cit., Bd. 8, S. 28, „Tutto questo intessuto dell’elemento dell’Acqua,
Signor principe mio, è accaduto al duca signore nostro, il quale venuto in aspettamento dal
cielo in questo mare del governo delle torbide onde, e fatte tranquille e quiete, per la diffi-
culté di fermare gli animi di questi populi tanto volubili e varj per i venti delle passioni
degli animi loro, i quali sono dalli interessi proprj oppressi (...).” Die ragionamefiti, für den
Druck vorbereitet bereits 1567, erschienen erstmals 1588 bei Filippo Giunti in Florenz. Sie
wurden 1619 erneut aufgelegt als Trattato della Pittura.
 
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