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Assmann, Jan
Die Gott-Mythologien der Josephsromane — Düsseldorf, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.37076#0008
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Romanwerk überschreibt. Damit inszeniert Thomas Mann sein
Projekt als eine Unterweltreise, als Abstieg in eine Tiefe, die
zugleich als räumliche, zeitliche und seelische Tiefe verstan-
den wird. Der Begriff der »Tiefe« ist geradezu ein Leitmotiv der
Josephsromane, die ja mit dem Wort »tief« anfangen: »Tief ist der
Brunnen der Vergangenheit«. Dabei spielt Thomas Mann ständig
mit der chronologischen und der psychologischen Bedeutung die-
ses Wortes. »In der Wortverbindung Tiefenpsychologien, schreibt
er, »hat Tiefe< auch zeitlichen Sinn: die Urgründe der Menschen-
seele sind zugleich auch Urzeit, jene Brunnentiefe der Zeiten, wo
der Mythus zuhause ist und die Urnormen, Urformen des Lebens
gründet W Der Erzähler der Josephsromane - also nicht der Autor
Thomas Mann, sondern die textimmanente Erzählerfigur — ist ein
Unterweltfahrer, und der Akt des Erzählens selbst wird im »Vor-
spiel« als eine Unterweits- oder »Höllenfahrt« vorgestellt.
Auf dieser Unterweltsfahrt in die Zeit- und Seelentiefe der
menschlichen Weit waren Thomas Mann zwei Entdeckungsrei-
sende vorangegangen. Der eine ist Sigmund Freud, der seinem
ersten Buch, das die neue Methode der Psychoanalyse vorstellt
und anwendet, der (1900), einen Vers aus Vergils
Aeneas voranstellt, der das ganze Projekt der Erforschung des
Unbewussten als eine Unterweltsfahrt deutet: Flectere si nequeo
superos Acheronta movebo: »Kann ich den Himmel nicht beugen,
so hetz ich die Hölle in Aufruhr«^. Der andere ist James Frazer,
der seiner zwölfbändigen vergleichenden Mythologie der Alten
Welt den Titel gab: The Golden Bough. Der goldene Zweig ist
der Schlüssel, der Aeneas im VI. Gesang von Vergils Aeneis das
Tor zur Unterwelt öffnet. Indem Frazer dieses Motiv als Titel sei-
ner monumentalen Untersuchung wählte, charakterisierte er auch

2 Freud und die Zukunft (1936), GW IX, S. 478-501, Zitat S. 493.
3 VergikAeneisVII, S. 312.

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