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Assmann, Jan
Die Gott-Mythologien der Josephsromane — Düsseldorf, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.37076#0009
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sein Unternehmen als eine Unterweltsfahrt. Sie führte ihn in die
Mythologien der Welt, in denen es um Tod und Verwandlung,
Verfall und Erneuerung geht. An der Schwelle des 20. Jahrhun-
derts konnte sich diese gigantische Erkundung des Archaischen
als eine Reise in die Unterwelt des modernen Bewusstseins dar-
stellen.
Bei Frazer und Freud steht die Unterwelt für die mythische Welt
der Vorzeit, die zugleich Zeittiefe und Seelentiefe, das Archaische
und das Unbewusste, bedeutet. Diese bei Frazer noch verborgene,
bei Freud in seiner Konzeption der »archaischen Erbschaft« schon
explizit vorgetragene Parallele wird dann in den Josephsromanen
in einer Weise ausgeleuchtet, die noch weit über Freud hinausgeht
in Richtungen, die C. G. Jungs Archetypenlehre nahestehen und
auf die auf dieser aufbauenden Mythos-Konzepte etwa von K.
Kerenyi und Joseph CampbelL vorausweisen.
Die Unterweltsreise ins Archaische führt den Erzähler in ein
frühes Stadium menschlichen Selbst- und Weltbewusstseins.
Dessen Fremdheit gegenüber dem modernen Welt- und Men-
schenbild wird in bestmöglicher Trennschärfe herausgearbeitet.
Andererseits wird aber auch dessen Übersetzbarkeit und Nach-
vollziehbarkeit durch heutiges Empfinden und Verstehen immer
wieder angedeutet. Es geht um die Darstellung eines frühen und
insofern anderen, zugleich aber allgemein-menschlichen »Seelen-
tums«, das jeder Leser, jede Leserin mit fortschreitender Lektüre
in sich selbst wiederfinden und gewissermaßen reaktivieren kann,
so dass die nachvollziehende Unterweltsreise des Lesers einen ini-
tiatorischen Charakter annimmt.
Diese Unterweltsfahrt ins Archaische hat nichts zu tun mit
einer romantisch-nostalgischen Hinwendung zur Vergangenheit.
Im Gegenteil, es geht um einen Durchbruch zur Moderne, bei

^ Vgl. Joseph Campbell: Der Heros in tausend Gestalten. Frankfurt/M. 2011.

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