erzählen von frühem niederländischen Einfluß"). Der feste runde
Fuß des Tabernakels hat noch den säulenhaften Charakter der gro-
ßen Chorgewölbestütze, an die es sich lehnt D. Das Kapitell wulstet
mächtig unter dem achteckigen, mit derben Figuren besetzten Schrein.
Acht schmal zusammengehaltene Pfeiler bilden den Kern des Auf-
satzes, der außen eine strukturelle Verkleidung trägt. Aus sechs un-
bekümmert Stück an Stück Vorgesetzten, figürlich geschmückten Bal-
dachinen bauen sich sechs kräftige Pfeiler in die Höhe, die in Fia-
len endigen. Oberhalb dieser wächst der Kern aus der Verkleidung,
endigt — nach einer zweiten Kreuzungszone, die in Geraden in einer
Ebene abklingend das Motiv der unteren wiederholt — in breitem
Helm mit mächtiger Kreuzblume. Diese erste Kreuzungszone, mit
der die Verkleidung endigt, ist unerhört geistvoll gebildet: aus
jedem Pfeiler laufen nach zwei Seiten kräftig profilierte Stege nach
innen, treffen sich an der Wand des Kerns, und ihnen antworten
zwei unmittelbar über ihnen am Kern entspringende, die, nach oben
geschwungen, denselben Weg zurücklaufen und in ausladenden
Kreuzblumen endigen. Die Spitzen, in welche die Bogen außen zu-
sammenlaufen, sind verdeckt durch die Fialen, ihre Kreuzungs-
punkte innen aber sind sichtbar! Die eingeschnürte Taille, die Zone
der heftigsten Spannung, liegt bloß vor unsern Augen! Ein Werk
aus der Jugendzeit des Tabernakels, so spricht dies organisch fest-
gefügte Gebilde uns an. Später werden die hier strukturell beding-
ten Formen verdeckt, verschliffen, oft schlaff und spielerisch. Das
Haller Sakramentshaus blieb, wie ohne Vorstufe, so ohne Nach-
folge.
Das Ulmer Sakramentshaus und sein Kreis.
Die Blüte der Tabernakelbildung in Schwaben setzt ein in den
sechziger Jahren mit dem Ulmer Sakramentshaus ^). Am Anfang
steht wieder ein eigenmächtiges Werk, für das wir vereinzelt An-
klänge im allgemeinen Formgut von Zeit und Fandschaft finden
können, dessen einmalig Schöpferisches aber einmalig bleibt. Das
Ulmer Sakramentshaus genießt die größte Vorliebe neben dem des
Adam Kraft. Das Werk ist das höchste Deutschlands, breit ange-
legt, mit zwei ausladenden Treppen, die das Ganze wandartig schräg
vor der Ecke ausbreiten. Die Kranzzone über dem Schrein macht
erst völlig deutlich, wie bewußt das Werk für die Stelle ersonnen
ist, an der es steht, diese gleichsam zugige Ecke, wo dem vom We-
6) Mina Voegeiens (Die Gruppenaltäre von SchwäbiscUHall und ihre
Beziehung zur niederländischen Kunst. Münchener Jahrbuch XIII S. 157 ff.)
Ansicht, daß das Sakramentshaus vom Ende des Jahrhunderts stamme, die
Figuren vom alten herübergenommen wären, ist unbedingt hinfällig. Die
Formen zeigen, daß wir es unmittelbar mit dem in der Urkunde von 1438
erwähnten Sakramentshaus zu tun haben.
7) Früher besaß das Sakramentshaus Treppen und Gitter, wie viele
andere auch, z. B. das in Friedberg i./Hessen.
8) Pfleiderer, das Münster zu Ulm. Baum, Ulmer Plastik um 1500.
Abb. b. Voege. Niklas Hagenower.
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Fuß des Tabernakels hat noch den säulenhaften Charakter der gro-
ßen Chorgewölbestütze, an die es sich lehnt D. Das Kapitell wulstet
mächtig unter dem achteckigen, mit derben Figuren besetzten Schrein.
Acht schmal zusammengehaltene Pfeiler bilden den Kern des Auf-
satzes, der außen eine strukturelle Verkleidung trägt. Aus sechs un-
bekümmert Stück an Stück Vorgesetzten, figürlich geschmückten Bal-
dachinen bauen sich sechs kräftige Pfeiler in die Höhe, die in Fia-
len endigen. Oberhalb dieser wächst der Kern aus der Verkleidung,
endigt — nach einer zweiten Kreuzungszone, die in Geraden in einer
Ebene abklingend das Motiv der unteren wiederholt — in breitem
Helm mit mächtiger Kreuzblume. Diese erste Kreuzungszone, mit
der die Verkleidung endigt, ist unerhört geistvoll gebildet: aus
jedem Pfeiler laufen nach zwei Seiten kräftig profilierte Stege nach
innen, treffen sich an der Wand des Kerns, und ihnen antworten
zwei unmittelbar über ihnen am Kern entspringende, die, nach oben
geschwungen, denselben Weg zurücklaufen und in ausladenden
Kreuzblumen endigen. Die Spitzen, in welche die Bogen außen zu-
sammenlaufen, sind verdeckt durch die Fialen, ihre Kreuzungs-
punkte innen aber sind sichtbar! Die eingeschnürte Taille, die Zone
der heftigsten Spannung, liegt bloß vor unsern Augen! Ein Werk
aus der Jugendzeit des Tabernakels, so spricht dies organisch fest-
gefügte Gebilde uns an. Später werden die hier strukturell beding-
ten Formen verdeckt, verschliffen, oft schlaff und spielerisch. Das
Haller Sakramentshaus blieb, wie ohne Vorstufe, so ohne Nach-
folge.
Das Ulmer Sakramentshaus und sein Kreis.
Die Blüte der Tabernakelbildung in Schwaben setzt ein in den
sechziger Jahren mit dem Ulmer Sakramentshaus ^). Am Anfang
steht wieder ein eigenmächtiges Werk, für das wir vereinzelt An-
klänge im allgemeinen Formgut von Zeit und Fandschaft finden
können, dessen einmalig Schöpferisches aber einmalig bleibt. Das
Ulmer Sakramentshaus genießt die größte Vorliebe neben dem des
Adam Kraft. Das Werk ist das höchste Deutschlands, breit ange-
legt, mit zwei ausladenden Treppen, die das Ganze wandartig schräg
vor der Ecke ausbreiten. Die Kranzzone über dem Schrein macht
erst völlig deutlich, wie bewußt das Werk für die Stelle ersonnen
ist, an der es steht, diese gleichsam zugige Ecke, wo dem vom We-
6) Mina Voegeiens (Die Gruppenaltäre von SchwäbiscUHall und ihre
Beziehung zur niederländischen Kunst. Münchener Jahrbuch XIII S. 157 ff.)
Ansicht, daß das Sakramentshaus vom Ende des Jahrhunderts stamme, die
Figuren vom alten herübergenommen wären, ist unbedingt hinfällig. Die
Formen zeigen, daß wir es unmittelbar mit dem in der Urkunde von 1438
erwähnten Sakramentshaus zu tun haben.
7) Früher besaß das Sakramentshaus Treppen und Gitter, wie viele
andere auch, z. B. das in Friedberg i./Hessen.
8) Pfleiderer, das Münster zu Ulm. Baum, Ulmer Plastik um 1500.
Abb. b. Voege. Niklas Hagenower.
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