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sten her sich Nähernden die abschließende Wand des Seitenschiffs,
das zur äußeren Kapelle sich öffnet, und der Hauptchor zugleich
sich darbieten. Da trifft der Blick dies wunderbare Gebilde, trifft
schräg auf die Seitenwand des mittleren Vorsprungs, gleitet an ihr
zurück und bleibt in der zurückspringenden Ecke hängen. Eine
kunstvolle Anordnung: die drei nach den drei Seiten frontal ge-
richteten Vorsprünge — für Baldachine sind sie zu spitz nach außen
gezogen, zu richtungsbetont — sie verhindern gerade, daß der Blick
auf ihrem Rücken sich hält, leiten ihn ab in die Winkel und heben
so jede Frontalität des an sich schon diagonal gerichteten Taberna-
kels auf. Diese drei erkerartigen Vorsprünge geben keinen Blick in
das Innere frei: das Bogenwerk der drei sich schneidenden Esels-
rückenbogen, die die Seitenwände bilden, hat wandartigen Charak-
ter. Hier, um 1470, ist noch nicht die Endstufe der Auslösung er-
reicht. Bei aller Originalität verleugnet sich nicht der Zeitstil der
Tabernakelbildung der sechziger Jahre: Noch setzt jeder Vorsprung
für sich an über seiner Wandfläche, kehrt an der Ecke wieder zu
ihr zurück, noch bewegen sich die gekreuzten Eselsrückenbogen in
der Ebene zwischen Stegen — eine eigentliche Kranzbildung ist so
nicht entstanden. Die dritte Figurenzone endlich bildet noch frühe
Tabernakelformen: schwach gehöhlte Rückwand, angesetzter Bal-
dachin und Sockel. Der oberste Kranz dagegen mit seiner Einschnü-
rung ist weitgehend gelockert und zusammengefaßt.
Meister und Entstehung des Sakramentshauses sind uns nicht
sicher überliefert. Fest steht lediglich, daß es 1462 einem Meister
von Weingarten in Auftrag gegeben und 1471 vollendet wurde. Die
letzten Untersuchungen Voeges weisen die Plastik verschiedenen
Meistern^), das eigentlich Geniale der Schöpfung jedoch dem Niklas
Hagenower zu^°). Ein unverschmolzenes Nebeneinander von
durchschnittlichen Einfällen und genialen neuen Formen gibt Voeges
Vermutung einige Wahrscheinlichkeit. Der neue Meister kannte nie-
derländische Formen. Die Kleeblattbogen unter dem Kranz mit ihrer
Füllung wie aus Spitzengehängen und die Kleeblattbogen an den
Baldachinen der unmittelbar über dem Kranz sitzenden Figuren-
tabernakel sind zwingende Zeugen Ist dies mit der Hagenower
Hypothese in Einklang zu bringen?
Voege weist Hagenower außerdem das Sakramentshaus in
ChuU") zu. Was Voege als das Besondere seines Meisters heraus-
stellt, die Verschlingung nämlich von Eselsrückenbogen an der ober-

9) Voege, Niklas Hagenower, S. 20 ff.
10) Daß der ursprüngliche Entwurf und seine Fassung, die Zeichnung
im Victoria und Albert Museum, London, die noch nicht die Treppe, die
Zone unter dem Kranz, die Dreiheit der Nasen zeigt, sondern ein gleiA?
mäßig nach allen drei Seiten sich ausbreitendes Tabernakel, von jenem
Aieister von Weingarten stamme, wie die geläufige Ansicht geht, bezweifelt
auch Voege nicht.
11) Vgl. auch Gerstenberg, Das Ulmer Münster, S. 28.
12) Voege, a.a.O. Abb. 3.

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