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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 59 - 89 (1. März 1923 - 31. März 1923)
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https://doi.org/10.11588/diglit.15611#0508
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rritisi-ien, NsNe NsrvositSt uv.d G-spenst-r'sehe:-; sind n?cht gerade
Zeichen der inneren Stärke, von der Herr Sevsring gestern in seiner
an Widersprüchen so reichen Rede sprach.

Man hat auf der Linken so ost von einer Katastrophenpokitik.
die von rechts her betriebcn würde, gesprochen. Es ist bei dem Ee-
rede geblieben. Katastrophenpolitik in. grohem Mahe aber schsmt
es zu sein, wenn in einem Augenblick, wo innere Ruhe uns alles sein
sollte die politischen L-idenschaften gewaltsam aufgepeitscht werden
und die einheitliche Frontstellung geschwächt wird durch Hineintragsn
von Gegensätzen, die heute auf alls Fälle vermieden werden
mützten, Gegensätzen zwtschsn Kanzler und preutzischem Innen-
minilter, zwischen dem Reich und Preutzen, zwischen den Parteien
rechts und links, zwischen dem Polksempfinden im Norden und im
Süden — wahrlich, wir machenHerrnPoincars die
Sache doch wesentlich bequemer, als es noch vor
jurzem scheinen konnte. And wenn man !n Paris erlsichtert
aufatmet, so wird man an der Tatsache nicht vorbeigehen können.
datz zu diesem Aufatmen in Paris Ler preutzische
Minister des Innern sein wesentlich Teil bcige-
tragen hat. R.

Ser sieMmzlrr in Stuttgart.

Eme Rede Cunos Lber die Hrltung üer Reichsregierung.

Stuttgart, 24. März.

Zu Ehren des Reichskanzlers fand, wie schon kurz gemeldet, auf
Einladung der Staatsregierung und der Stadt Stuttgart ein g e -
selliges Zusammensein statt. Nach der Begrugungsansprache
Dr. Hiebers nahm der Reichskanzler das Wsrt zu einer A n -
sprache, in der er betonte. datz er, wis in Bayern, so auch -n
Württemberg, die Einstellung auf das grotze Ziel der Befrsiung
unseres Vol'kes und Vaterlandes von fremdem Joch gefunden habe.
Das habe ihn nicht überrascht und gebe der Reichsregierung
neue Kraft und Entschlossenheit. den eingeschlage-
nen Weg weiter zu gehen. Man müsse stch in dem unbe-
fetzten Geb-et zu demselben Opfermut und derselben Vaterlands-
liebe bekennen, die an der Front hsrrsche. Der Rsichskanzler er-
inncrte sodann an das, was gefchehen ist, um das abzuwenden, was
fich nun an der Ruhr abspielt. Cr erwähnte das Angebot zn
der Konferenz in London, durch das Frankreich sofort zu Eeld ge-
kommen wäre. Ferner erwähnte er die Ankündigung eines neuen
Vorschlages an die Pariser Konferenz und das Anerüieten eines
Zusammenwirkens m!t der französtschen Industrie. Die Antwort auf
alle Angobote war jedoch, fuhr der Kanzler fort, nicht nur ein Nein,
sondern der rechtswidrige Einbruch. Jedenfalls konnte unsererseits
nicht mehr geschehen. um die Franzosen Lavon abzuhalten, als ge-
schehen ist. Natürlich kann einem Volke nicht mehr zugemutet wer-
dsn, als'mit d-r Aüfrechterhaltung der Souveränität und Freiheit
vereinbar ist. Der oassive Widerstand ist unüberwind-
lich, wsnn die Boraus setzungen über seine Weiter-
führung fo wie heute gesichert bleiben. Wer die
innere Front stört und unbesonnen handelt, von welcher Seite es
immer komMen mag. vergeht sich am Vaterlands. Der Reichskanz-
lsr sagie dann. dätz man ihn vielleicht fragsn werde, ob bald
«in glückliches Ende kommen werde. Die Antwort sei
sehr einfach. Wenn wir den bisheriqen Weg verlaflen und uns
ANterwerfen werden, so sei es um Deutschland, das Leutsche Volk
nnd seine Frsiheit geschehen. Ein Angebot, das die Souveränität
des Reiches, die Unantastbarkeit der Lands am Rhsin und an der
Ruhr, die Unabhängigkeit und Freiheit dss deutschen Volkes zum
Opfer bringe, werde das Kabinett nicht machen. Vcrhandlungen
mützten pon der vorbehaltlosen Räumung der Ruhr ausgehsn. Was
uns aber von der Eegenseite entgegenklinge, sei nicht so, als ob
man darauf rechnsn könne.

Der Reichskanzler Letonte zum Schlutz, datz, wenn eine Ver-
tzändigung zustande komme, diefe niemals leicht zu ertragen sein
werde. Mit einem begeistert aufgeNommenen Hoch auf DeuMland
fchlotz dcr Känzler seine HLnfig von stürmifchen Beffallskundgebun-
gen unterbrochene Rede.

EWerufung des AusVZrLigen AusWffes.

BeMn, 24. März. (Eig. Drahtm.) Der Abgeordnete Dr. SLr e s e-
m an n hat den Auswärtigen Ausschutz fllr kommenden Montag ein-

beruken. Es soll eine Aussprache Lber dre politische Lage statt-
finden Der Reichskanzler hät Len Wunsch gedutzert, an die,er Aus-
vrachc teilzunehmen. Weil -r am heutigen Tage oerhindert war
ist die ursprünglich auf heuie nächmittag anberaumte Sitzung auf
Montag verschoben worden.

Sr. Secker in Samdnrg.

Neue Richtlinien fiir Au'genhandelskontrolle.

Hamburg, 24. März

Aufdem parlamentarischen Abend der Deutschen
Volkspartei im Hotel „Atlantic" sprach der Reichswirtschatts-
minister Dr. Becker über die Regierungspolitik und über die durch

die Ruhrbesetzung geschaffene politijchs Lage. ^

Vecker sagie, die Regierung Cüno habe von Ansang an rhr
Haüptäugenmerk darauf gerichtet, die Erundlagefür den
Wiederausbau zu legen. Der Redner schilderte die Lage der
Bevölkerung im Ruhrgebiet unter Ler französisch-belgischeit Besetzung
und betonte, daß der Widerstand auf der ganzen Linie ungebrochen
sei. Sodann wandte er sich den wirtschaftlichen Folgen des Ein-
Lruchs zu. Trotz anfänglicher Bedenken sei bisher alles Lber Er-
warien gut gegangLN- Man sei über die Wirtschaftsnöte besser hin-
weggekommen, als es die grötzten Optimisten angenommen hätten.
Frankrcich Lagegen habe in den.zweieinhalb Monaten der Besetznng
nicht mehr als 100 000 Tonnen Kohle und Koks Lekommen, soviel,
wie es vorher in zwei Tagen erhalten habe. Dasdeutsche un -
besetzte Gebiet verfüge heute über mehr Kohlen
als es Lrauche. Schwer sei av.ch der Schaden fllr die Neutralen
durch die Ruhrbesetzung. Die Zukunft Deutfchlands sei nicht- leicht
zu Lberfehen. Nur der feste Wtlle, auszuhalten, gebe die Eewähr
für den Sieg, ohne den Deutfchland verloren fei. Sodann ltetz stch
Ler Minister noch über >den Abbau der Autzenhatidels-
kontrolle aus und legte feinen Plan hierfür dar. — Nach der
mit lebhaftem Veifall aufgenommenen Ministerrede nahm die Ver-
sammlung eine Entfchlietzung an, in dcr dcr Regierung
Luno volles Vertrauen ausgLsprochen wird neben dem
Wunsche, datz sie stch der Eswa-lt Fränkreichs nicht bengen werde.

Die vom Reichswirtschaftsminister ausgegebsnen R t ch t l i n i e n
für den Abbau der Autzenhandelslontrolle, die allerdings noch n ich t
endgültig beschlossen sind, lauten ungefähr wie solgt:

1. Es ist grundsätzlich zu prüfen, ob die Exportabgabe
auch in dem jetzigen Umfange vom Export noch getragen werden
kann.

2. Die Abwicklung des Exportgeschäfts mutz durch Entgegen-
kommen und befonders bsschleunigte Vehandlung der Aus-
fuhranträge einschlietzlich der Preisprüfung bei den Autzen-
handelskontrollsteuen so erleichtert werden, datz die beson-
vere Lage der Eeschästsabschlüsse jeweils weitgehend berücksichtigt
werden kann.

3. Zuverlässige Firmen, die laufend an der Aussuhr beteiligt
find^ sollen Aussuhrbewilligungen grundfätzlich auch ohne vor-
herige Preisprüfung und auch dann erhalten, wenn noch nicht
alle Unterlagen beigebracht sind. Bei den Waren, deren Jnlands-
preis den Weltmarktpreis bereits erreicht oder überschritten hat,
kann bis auf weiteres von dem Erundsatz der Preisprüfung —
datz nicht unter dem Jnlandspreis exportiert werden darf — und
unter besonderen Vorausfetzungen abgewichen werden. Jn diefsm
Zufammenhang mutz auch die Frags der Einfuhr einer rin-
gehenden Prüfnng unterzogen wsrden.

4. Die Autzenhandelsausschüfle solleu für jedes Warengebiet
erneut prüfen, ob unter den veränderten Verhältnissen die Bei-
behaltung der Lieferwerkbefcheinigung sich noch als erforderlich
erweist.

5. ExportäVschlufle durfen nicht etwa durch engherzige Aus-
legung der Vorfchriften üver dre Valutafakturiernng verhindert
werden.

6. Die jetzigen Fertigerzeugnifle, bei denen seit einiger Zeit
erne Anpaffung der Jnlandsgestehungskpsten an die Weltmarkt-
preise beobachtet worden ist ober bei denen eine Preisprüfung
sich als undurchführbar erweisen kann, follen auf die Ausfuhrfrei-
liste gesetzt werden, vorausgesetzt, datz der Jnlandsbedarf gesichert
erfcheint oder ein solcher nicht vorhanden ist.

Der schwingende Klang.

Eine Stratzburger Novelle oon Erica Erupe-LZrcher (Hamburg).
lSchluß., lNaKLruck verboten.)

Läonje war ftill, verschloflen und schweigsam geworden. Dcr
frühsre zutraulich-gcmütliche Ton, Ler zwischen Näter, Sohn und
Tochter. gewllltet, wllr erstorben. Mit stiller Erbitterung verfolgte
fie, wie im ganzen Leben der Stadt, in der Kunst, in höheren Ee-
nüssen, im Theaterwesen, die Franzofen es nur verstanden hatten,
niederzureitzsn — es absr nicht vermochten, auch nür annähernd
Eleichwertiaes an die Stelle zu setzen. Unter dem Gefüh! einer
rmmer mehr ury sich greifenden inneren Leere lebte sie Lahin. Wie
man ihrem Herzen den Esltebten geraubt, um ihr kein Glück dafür
wieder bieten zu können, — so war auch ihrem Leben alles Höhere
geraubt, ohne datz sie eine Entschädigung zu frnden vermochte.

Mit vollem Bewutztsein horchte fie jetzt in ihrer Vereinsamung
auf die Melodie, die ihr im Jnnern klang: wie ibr der g-lieöt-
Mann, wie deutsche Kunst und deutsches Wifsen, wie oas Dsutschium
Lberhaupt, ihrsm Leben viel mehr geworden und gewesen war, als
sie selhst es bisher gewiitzt'

Da formte sich 'Las Weh in -ihr Lber ihre innere Leere zu einem
Entfchlutz. Längst schon, bald nach seiner Ausweisung, hatte ste in
feinsr ftüheren Wohnung nach seinem Derbleib geforscht. Die ganze
Einrichtung, der kostbars Besitz hatte zurück bleiben müflen mit der
schwachen Hoffnung, datz nach Ünterzeichnung des Friedens der Besttz
von Privatpsrsonen geachtet und feinen -Jnhabern zurückgcgeben
würde. Von der Familie des Hausbssitzers, dre vorläufig . die
Wohnungseinrichtung unter ihren Schutz genommen, erfuhr LLonie
den jetzigen Aufenthaltsort von Helmuth Rieth.

Drüben, jsnfeits des Rheins. in einer der schmucken, mittel-
grotzsn Städtchen des Thüringer Landes lebte er ntit seiner Mutter.

Dann ging sie Schritt um Schritt in ihrem Entfchlutz voran.
Denjentgen ihrer jungen Landsleute suchte sie auf, der das altrenom-
mierte Teppichzefchäft befatz. Denn was sis damals währcnd der
Parade des Ecnerals Petain als Brocken aus seiner Unterhaliung
mit dem Freunde aufgefangen, machte ihr Mut, weil sis in ihm einen
Eletchgesinnten zu finden hoffte.

Ihre Hoffnungen nnd Wünsche wurdsn übertroffen. Der junge
TharleS Lang stand gcrade im Degriff, nach Deutfchland auszuwan-
dern! Ear zu ungemütlich fiihlte er sich in den neuen Verhältnüsen
feiner Hsimat. Za, er wollte in der kommenden Woche Stratzbnrg
verlaflen, und mit ihm ein Freund, der hisr glücklich vor dem
völligsn Umschwung aller Verhaltnifle seine Universitätsstudien be-
«ndet hatte. Denn jetzt, nachdsm man alle deutschen Profsjforen
verjagt, fatzen ausschlieglich französisch« Dozenten.an Ler Üniversttät.

Dcm Monsieur Denger schmeckts sett ciniger Zeit das Esscn
gar nicht Ntchr, ssit feine Tochtsr ihm ihren Entschlntz mitgeteilt
hatte, nach Deutschland hinüber zu gshen! Sie wolle drüLen öleibeN,
um. stch einen Wirkungskreis zu schaffen, denn im Elsatz gefiels cs ihr
endgültig nicht mehr.

Er fühlte es, dieses Mal war ihr Wille unbeugsam. Ntchts
würde vermögen, an ihrem Entschlusse zu rütteln. Uuch der Tavier
hielt stch bei der Sache kleinlaut zürück, zuckte nur die Achfeln, als
der Väter ihn nach ssiner Meinung fragte, und msinte schlietzlich:
„W-nn's Löonie meint, datz cs ihr drüben in Dcutschland besicr
gefällt —! Man kann ihr's fast nicht verdenke, — so, wie es bier
bei uns geworde isch!" —

Der Vater machte Einmendungen, wie sie denn.ihre Ausreise
he.Berkstell.iLen wolle? Da hatte ste hsreits all-es vorbersitet: der

Charles Lang hesorgte alle Formalitäten, er wutzte Bescheid, welche
Schritte zu unternehmen waren, denn er hatte schon andern Be-
kannten über den Rhein hinüber geholfen. Ja, der Charles Lang
würde auch ihr raten und helfen, bis man glücklich drüben am
badffchen Rheinufer satz, und jeder einzelne seinen Weg weiter suchen
konnte.

Sie selbst Lranchte stch ntcht einmal einen Pfad zu fuchen. Dcnn
Charles hatte fchon einer belännten Familie, die vor ihnen aus-
gewandert war, von ihrem Kommen geschrieben. Und die Hände
der Landsleute streckten sich ihr entgegen, um ihr einen Wirkungs-
kreis mit zu suchen und ihr zu helfen-.

Als Lsonie den Jhren dtofen Plan auseinandersstzte, sah der
Vaier ste schars und prüfsnd an: „Wirst nun auch den inonsisnv 1e
pi-okssseav wieder sehe, dem du fo gut gewsse bist, steint"

Da stieg eine langsame Röte in ihr Eeficht. Dami meints sie
tapfer und mutig: „Auffuchen werds ich ihn und feine Mutter ganz
gewitz. Denn ich mutz ihm fagen, wie fehr ich mich schäme — — ÜLer
uns alle hier! Jch mutz es ihnen sagen. Denn das drückt mir das
Herz schon lange."

Als sie an dissem ALend Eute Nacht geboten hatte, und in ihr
Zimmer ging, blieb der Vater, auf die Tischplatte gestützt, wis ein
plötzlich gealterter Mann ftehen und sagte halblaut und stockend zn
Lavier: „Dte Deutfchen haben doch mehr Eindruck hier hinterlafleu,
als man es damals geglaubt hat! Und der prokssseur hat ihr auch
tiefer im Hsrze gefefle, als ich Lamals gedenkt hab. Warum nur?
Sie könnt doch hier ganz scharmante Partien machen!"

Der Favier zuckte schweigend die Achfeln. Ei dachte an die
Antwort von Leonie, die sie ihm damals bsi der Trennung von dcm
Gelieöten auf seine Frage gegeben: „Weil er mich fo aus dem
Alltag hinausgeführt hat!"

«-

Es war «in Sonntag, als Lsonie nach einiger Zeit in dem
ihüringischen Städtchen eintraf, den ste als den Wohusttz von Hel-
muth Risth und seinsr Muiter kannte. Sis hatte es nrcht üüer fich
vermocht, ihnen vorhsr zu schrsiben, nm ihnen mitzuteilen, Latz sie
thre Heimat freiwillig verlassen habs. Ach, viel zu schwer wogsn
ihr diese wenigen Worte, um sie in ein Schriststück bannen zu können!

Es war einsach, sich in der fremden Stadt zu der Stratze hindurch-
zufragen. Das freundliche Städtchen kannte kaum Entfernungen.
ÜmnitteNar auf einem Platze an einer Kirche lag das Hans.
Kräftig«, halbhohe Kastanien umsäumten den Platz und truqen ihre
weitzen Vlütenkerzen dicht gesteckt auf den zartgrunenden Zweigen,
In den Gärten rings fchien der Goldregen wie in fchweren doldenen
Tropfen von den Büschen zu sinken. Und Rotdornbüsche trugen in
einer grotzen Eruppe ihre Taufende von winzigen Röschen, wie in
einem Märchengarten.

Sie stand vor dem Haus und betrachtste das Namenfchild. Da
setzten ü-üer ihr Elockentone ein. Sehr tief und so aufeinander ab-
gestimmt. wie es in den früheren Jahrhunderten üblich war. Nun
erst betrachtete sie auch das Kirchlein. Nicht eben grotz war :s. aber
schön nnd sbenmähig.

Im niichsten Augenblick hörte ste in der NLHe etn Gartentor
klinken! Sie wandte sich ahnend um. Helmuth Rieth verlieh mit
seiner Mutter üas Haus. Unschwer erriet man das Ziel der beiden.
Wieder trat Leonie einige Schritte zurück, hinter das überhängende
(Sebüfch des Rachbargartens, das sich in dichten, duftenden Flieder-
dolden weit über den Gehweg reckte.

Und wieder nmsingen ihre Blicks die beiden, wie sie in ihrem
gleichmähig-ruhigen Schritte den kleinen Platz überquerten, um in
die Kirche zu gehen. Aber ihr Herz war diefes Mal inNsrlich voll
Dank, weil jie nach all der inneren Zerriflenheit Äie Klarheit gegen-

Aesaßmgskosten aod Ernährungsnoi

MärZ-
nist^

Eine Denkschrift der Regiernng LLer die RheinlandbefetzuNg.^^
Reichstagsdebatte über die ErnShrungslage. — Erklarung v.

Von unserer Berliner Redaktkoa.

Berlin, 24

Zn der heutigen Reichstagssitzung Lrachte, Reichsschatz?lsti^i
Dr. Albe rt die vom Reichstag gewünschte Denk > ch r > > >

die Kosten der RheinlandbeIetznng ein und stE

fest, dah die Befetzungskosten bis Ende 1922 allein eme »u. al
4,5 MiIliarden Eoldmark betragen (Hort, hort!). uu
ohne die Kosten für die Besetzung des sogenannten Sani ^
qebietes und ohne die Kosten 'fur die massenhaften au
KontrolIkommisfionen. Der Minister stellt w-

Summe viel produktiver zugunsten unserer Glaublger ^t
gunsten des Wiederaufbaus von Nordzranlreich hatte ve
werden können. Zum Vergleich hebt er hervor, daß in denm
vier Jahren vor dem Kriege die ge s a m t e n ä u >
dungen des deutschen Reiches für Heer und Manne stch »

3,75 Milliarden Goldmark belaufen haben, fte sjil

noch immer um A Milliarden Eoldmark geringer als die rew A,e
die Befetzung der Rheinlande. Nach dem Friedensvertrag. w>- s.jir,
Zahl der Besatzungsarmee in den Rheinlanden nicht gros^ .. iis
als die Zahl der deutschen Truppen. die vor dem gM
den Rheinlanden untergebracht waren, also nicht höher ais - ,gei
Kövf« die sich auf 28 Orte verteilen würden. Jm Septenio«
befanden sich aber in den Rheinlanden fchon 145 000 ^ aai
alliierter Soldaten, die sich nicht auf 28 Orte, psß

220 Orts verteilten. Offiziell wurde allerdings angegebe
die französtsche Besatzungsarmee nur 90 000 nnd die Lelgüoif.^,.
19 000 Mann zähle, in Wirklichkeit war si« jedoch bedeutend
Dieser Stärke entfpricht denn auch die grotze Höhe der Disnstlsi^
und Lieferungen in Naturalien. Der Minister erinne
an die Betriebe, an die vielen Flugplätze, an die Exerzierpln?^.
die eine ungeahnte Vermehrung durch die Franzosen ersahrsn
Aus den vorhandenen 32 deutschen Schietz- und Truppenübungo-ä
sind durch die Schaffung von 54 neuen Plätzen nicht w-n'!b. xie
86 geworden, aus den vorhandenen 7 Flugplätzen hat man d»
erzwungene Schaffunz vön 19 weiteren, für di« allerv sse
Ackergelände Lenutzt wurde, deren 26 gemacht. DorV
sind im ganzen befetzten Eebiet Lis in die kleinsten

zftt

örtch en hinein eingerichtet worden; in 61 Orten des alten
Gebietes sind nicht weniger als 250 Fabrikanlagen aller
schlagnahmt worden.

Der Minister schildert Larauf

die grotzen wirtschaftlichen Schädigunge«, f,!«

die sich aus der Besetzung ergeben. und er befpricht im rrwiAser'ieit
Einquartierungslasten. Außer den vorhandenei^ ^ ^
sind zahlreiche neue zebaut worden, nnd überdies stnd im ^ ,in
insgesamt 15 000 Wohnungen mit insgesamt 37 000 Zi^Äfizi^t
außerdem noch 10000 Z.immer für die Ünterbringung von L'llgs 'st
und Mannschaften verlangt und heschlagnahmt worden. sst
nicht verwunderlich, wenn man sich vor Augen hält, -datz pgfls
Angehörigen der Besatzungstruppen auf deutsche'^.^K
unterhalten werden müflen. So hatte in der Lelgischen
unverheirateter Offizier für fich zur Verfügung: 5 herE.nist's,,.'
Zimmer mit Küche für sich felbst, für seine Mutter, seins
z-wei unverheiratete Schwestern, für eine verheiratete Sch'w^l ^
fllr zwei Kinder der verheirateten Schwester. (Bewegung u o ".
rüstung.) Der Mtnister verweist darauf ruf die UnmeNv
Beamten und franzöfischen Delegierten, L -leS/.s
das Rheinl-and fystematisch ub^rzogen wurde.

samte Personal belisf sich schon im Jabre 1920 auf 1300^e>l'^, s
und hat stch tnzwischen veroielfacht. Für die französische^„,-lk -?
dieser Art sind allein im Iahre 1922 1,9 Milliarden EoldW
zahlt worden. - -

Die Besetzuug Ler Rheiulaude ist elne «inzige ununterbi''

Kette von Bertragsverletzungen.

Ein ehemals Llühendes Land ist durch die Franzofen Ä-izii^!'
Heerlager grötzten Stiles gemacht worden, und diefer
Militarismus wird durchgeführt auf Kosten einer n .

- - . qiS
gisv


üoer jenen Siunden gsfunden hatte, als sie einst vor

Futze des Stratzburger Münsters diese beiden gelieüten „-l,

rhren Blicken entfchwinden sah. Sie folgte ihnen in lAAB'N
fernung, da sie beide nichts von ihr ahnten. Die Zielb^ hiN«
mit der Mutter und Sohn sogle-ich das Trepplein zur ^

stiegen, ließ vermuten, daß sie sich immer thren Platz
gewähtll Stufs um Stufe stisg auch Löonis hinauf, i"

Entschlutz, hier obsn sich mit ihnen wieder zu finden! . ,c4,-el
Etnms abgesondert, in einem Kirchenstuhl von altmodim^iri
art, sah sie dann Leide sttzen. Die Sonne fiel durch zwe'^ v ,,ji

alte Elasgemälde. welche den Altarranm abschlossen. !

brauste durch die K-irche. Die Gemeinde begann den EesaE

stand noch zwisihen dsn schlichten grauen Tänken der übriE^
auf Lenen heute keinc weiteren Kirchenbefuchcr fatzen. S>
zauderte, itn Schmanken eines übervollen Hcrzeus. ovk

Da wandte Helmuth Ricth Len Kopf. Sah er zum d>^ ^it
Vielleicht auch zu der Schar blond-köpfiger kleiner MädchVN'^qd
dem Organisten um den greisen Kantor im Kreis stanve"
ihren hellen, fchwingenden Stimmen den Choral trugetz- H<ll->,^,
Es ging wie ein Schlag durch Helmuth Rieth. Sein^g
wurde starr. Wenn es ein dämmerrger Wintertag gv „2ne
dann hätte er geglaubt, die Sehnfucht uud still niederger'-i"?g.
fagung zaubere ihm Las Dild der Geliebten dort vor "

Jetzt aber im gedämpften Sonnenlicht des FrühliNZ^
es nach den ersten Sekunüen kein Zaudern mehr für ih"-„

Er erhob sich leise nnd fchritt auf Len Futzspitzen ihr Ädx
ihm entgegen. Sie vermochte fich nicht zu rühren-
Dasein, ihr bisheriges Leben, ihre Zukunft schien sich idi- "
upreflen in diesen wenigen S-skunden, in die inhultschw

LeLens!

is: -nqsblis' ,

.Lsonie?-Du?" fragte er nur leise in den

den Eesang hinein. Jhm standen keine Worts mehr Z^flert-
„Ia, ich üins, Helmuth! Ich habe meine Heimat ,^in .'d?
nach Deutschland ausgewandert. Freiwillig! — W?i^ ^
mit Lir gegangen war, und -drüben in meiner Heimat ll- ? ^ 'is -jt
Er sah ihr statt einer Antwort in die Augen. Dä"'/'.inst ?

»

leuchtende'Freube: nnd sie fragte sich erschüttert, wie
die Liebe dieses Mannes aufgeben können? tzjL

il>"

Waltste nicht ein gnädiges Geschick über ihr, das ibl.
keit gab, in dieser Stund« wieder gut zu machsn, n>n>- „

verschuldet hatt«? a

Da bemerkte er, w:e seine Mutter ihn zu suchen ^ t-»
gewohnt, thn in der Kirche neben sich zu wiflen. 2^^ ^ „

auf den leersn Platz neben sich. ^ fsft,

Und Lsonies Hand, die er noch in der. seinen bi t A<>ri?,
schlietzend, sagte er leise: „Komm zu meiner Mutter! «

in einigen Worten sagen, d-atz ich dich hier wieder gs>»

Komm! Denn du gehörst nun w-ahrhaft zu uns!" . .

Dis Orgel brauste lust in einem herrlichen 2obPiai„L vo' ji'."
alt« Kirche. Auch die hellen Kinderstimmen schwangen > d-
Empore. zu einer Lobpreisunq jauchzend herab. -z. nno . zgi «»-
Klängen neigte das jnnge Mädchen das Haupt über o>
blinden Ereisin, die sich ihr sntgegenstreckten. tzje

GLtige, weiche Frauenhände, — Mutterhände, . pas^i^i
seit Iahren, ach, so schmerzlich vermitzt, strichen ihc un
über ihr Esstcht. Wie zum Cegen, ein heiliges Gruge
des Wiederfindens, — des VerLundensems! nielieblM °

In der jungen Seele schwangen die Worte des lO>.hi>l k
weich über allen Schmerz und alle tastend« Pein der ^ wa->
ihres Lebens hinkiangen: ,^Komm! Dsnn nun gehoü
zu uns!"
 
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