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Bammer, Anton [Bearb.]; Muss, Ulrike <Univ.-Doz. Dr. phil> [Bearb.]
Das Artemision von Ephesos: das Weltwunder Ioniens in archaischer und klassischer Zeit — Mainz am Rhein, 1996

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https://doi.org/10.11588/diglit.30985#0070
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Kult- und Mahlgemeinschaft

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der Vasenmalerei und natürlich durch die
Opferplätze selbst kennen wir die Art und
Weise, mit der in der Antike das Fleisch
geopfert, geteilt und verzehrt wurde.
Hier zeigt sich, daß die Verteilung und
der Genuß des Fleisches nicht nur vor-
handene soziale Wertigkeiten ausdrücken,
sondern sie auch konstituieren können.
So bestimmt in der Ilias die Größe des
Fleischstückes den Erwartungshorizont
des Handelns. Der Held muß seinem ihm
zugesprochenen Fleischstück (moira) ent-
sprechend leben: Agamemnon tadelt
Odysseus und Menelaos dafür, daß sie in
der Schlacht nicht an vorderster Front
stünden, obwohl er sie als erste zum
Essen rufe, und er ehrt den Aias mit
einem Filetstück, weil er sich besonders
hervorgetan hat.

Opfern und essen

Von der ursprünglichen Eßsituation wird
der Begriff der moira dann auf andere
Lebensbereiche, wie Kriegsbeute und
Landaufteilung, übertragen und wird so
zum allgemeinen Begriff für Sitte. So wie
die Bevorzugung bei der Fleischvertei-
lung eine hervorragende gesellschaft-
liche Stellung betonen konnte, wie das
Ehrenstück für den König, so konnte das
Pochen auf gleichwertiger Verteilung des
Bratens die soziale Gleichheit der Essens-
teilnehmer ausdrücken und begründen.
Eine wesentliche Eigenschaft einer Ein-
ladung zum Essen war (und ist es noch
heute), daß alle Eingeladenen das gleiche
essen und - falls sie ihre Gleichrangig-
keit betonen wollen - auch gleich viel.
Ein wichtiges Symbol für die Gleichheit
der Essensteilnehmer war der Obolos,
ein Bratspieß. Dieser Spieß war von einer
derartigen symbolischen Aussagekraft,
daß er die Bedeutung von Geld erhielt
und damit von gleichen Werteinheiten.
Aus den <Tischgesprächen> bei Plutarch
ist überliefert, wie sehr man sich der so-
zialen Konsequenzen einer gleichmäßi-
gen oder ungleichmäßigen Verteilung des
Fleisches bei Festbanketten bewußt war.
Eine Schwierigkeit bildete allerdings die
Anatomie des Tierkörpers selbst, die
einer Teilung in gleichwertige Fleisch-
stücke Grenzen setzte.

Die österreichischen Ausgrabungen
der letzten Jahrzehnte hatten das Ziel,
den Artemisionbereich in seiner Funk-
tion als Kultplatz kennenzulernen und zu
erklären. Die neben- und übereinander
existierenden Heiligtümer zeigen, daß
sich hier ein komplexes religiöses System
verbirgt. Die Funktion der Kulte und
Rituale kann an der Form der Kultstätten

und der Fundlage der Knochen und Wei-
hegaben um sie herum untersucht wer-
den, allerdings ist dies nur für die Zeit
vor dem Ende des 6. Jhs. v. Chr. gege-
ben, da später die Essensüberreste den
Säuberungen auf dem Marmorpflaster
des Altares zum Opfer fielen.

Die Untersuchung der Tierknochen
zeigte, daß es sich in der Hauptsache um
gezähmte Tiere handelte. Unter den
Tierknochen finden sich auch nie ganze
Skelette, nur einzelne Knochen, und
diese sind meistens zerhackt.Die meisten
Tiere, die im Umfeld des Altars und bei
der nördlichen Kultbasis geschlachtet
worden sind, waren Ziegen, Schafe und
Rinder, gefolgt von Schweinen. Auffäl-
lig ist aber, daß im Bereich des Hekatom-
pedos und in der Zentralbasis Schweine
den größten Anteil an den Opfertieren
stellen. Die Menge dieser Knochen
nimmt mit der Tiefe der Sondagen zu.
Beim Hekatompedos sind Schweine von
einem Alter bis zu zwei Monaten typische
Opfertiere. In der Zentralbasis dagegen
gab es auch Schweine, die bis zu zwei
Jahre alt waren. Schweineopfer sind ein
Charakteristikum des Kultes für Deme-
ter, und Strabon (XIV 1,3) berichtet,
daß die Basiliden, die eine der alten ioni-
schen Familien waren, den Demeterkult
von Athen nach Ephesos mitgebracht
hatten.

Die riesigen Mengen an Tierknochen,
welche mit den Weihgeschenken zusam-
men gefunden werden, sind nicht nur
Ausdruck sakraler und religiöser Hand-
lungen, sondern blutige Opfer haben
auch eine soziale und wirtschaftliche Be-
deutung. Das Fleisch war nämlich eine
seltene Speise und auf spezielle festliche
Gelegenheiten beschränkt.

Die Tiere wurden niemals auf profane
Art getötet, man schlachtete sie immer im
Laufe einer sakralen Handlung - und das
Opfer wurde üblicherweise durch Prie-
ster vollzogen (Abb. 73). Daher unter-
scheidet das griechische Vokabular bis
zum 4. Jh. v. Chr. nicht zwischen dem
Wort opfern und schlachten. In der <Theo-
gonie> des Hesiod wird erzählt, wie Pro-
metheus den Menschen hilft, durch eine
List an das Opferfleisch zu kommen. Das
heißt, ein wesentlicher Aspekt des Opfers
war die Aneignung des Fleisches. In der
gesellschaftlichen Realität waren es die
Priester der großen Kulte, welche die
Kontrolle über die Aneignung und Ver-
teilung des Fleisches hatten.

Für die heiligen Tiere einer Gottheit
und für das Totemtier eines Clans besteht
angeblich Speiseverbot. Für das Artemi-
sion von Ephesos ist dies nicht beweis-
bar. Hier wurde auch Wild verzehrt, wel-
ches kein Schlachtopfer war, darunter
auch der Hirsch, ein heiliges Tier der Ar-
temis. Manche Tierteile, so die Hörner,
wurden aber der Verwendung entzogen
und hinterlegt, andere wurden nicht ver-
zehrt, sondern verbrannt, wie aus den
verkohlten Knochenresten hervorgeht.
Diese unantastbaren Teile, die den sym-
bolischen Wert des Tieres repräsentie-
ren, wurden offenbar als defizitär emp-
funden und daher mit symbolischen Er-
satzobjekten ergänzt und restituiert, etwa
durch Tierdarstellungen aus wertvollem
Material. Aus der Ethnologie weiß man,
daß gerade jene Körperteile, die das Tier
mit dem Menschen nicht teilt, wie Hör-
ner, Schnäbel und Federn, als unantast-
bar und deponierbar galten.

Die besonders stark angekohlten Kno-
chen gehörten zu den <Meria>, d. h. Tei-
 
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