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64

Religion aus der Erde

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len des Opfertieres, die nicht verzehrt,
sondern den Göttern dargebracht wurden
(Abb. 74). Außerdem wurden Knochen
von gebratenen Tierteilen gefunden.
Dabei sind die Knochenenden ange-
brannt, weil sich das Fleisch beim Braten
von den Enden zur Mitte hin zusammen-
zieht. Schließlich fanden sich Knochen,
die gleichmäßig erhalten sind, also von
gekochtem Fleisch stammen müssen. Es
läßt sich nachweisen, daß die Tier-
knochen der jüngeren Schichten eher von
gekochtem als von gebratenem Fleisch
stammen. Darüber hinaus gibt es Tier-
knochen, die Spuren von Hundezähnen
aufweisen. Dies hat seine Ursache darin,
daß die Knochenreste nach dem Op-
ferschmaus an Ort und Stelle liegengelas-
sen wurden.

Tierdarstellungen als Weihgeschenke

Nicht nur als Fleischopfer, sondern auch
als Weihgeschenke spielen Tiere im Arte-
mision eine große Rolle. Sie werden -
mit einer einzigen Ausnahme bei der
Elfenbeinfigur eines Widders (Abb. 27)
- nicht als Opfertiere, sondern als Wie-
dergabe des freilebenden Tieres gestal-
tet. Die Darstellungen dieser Lebewesen
sind aus buntem Glas, Terrakotta,
Bronze, Fayence oder Gold gefertigt.
Zwischen Knochen und Weihungen aus
edlem Material besteht sowohl ein strati-
graphischer als auch sachlicher Zusam-
menhang. Sie wurden nämlich gemein-

sam deponiert. Hinzu kommen diejeni-
gen Überreste, die durch eine Form- oder
Bedeutungsgebung zu einem <künstlichen
Produkt> wurden. Diese sind Bären-
zähne, die als Amulette verwendet wur-
den, sowie Elfenbein und Knochen, aus
dem menschliche Statuetten oder Tiere
geschnitzt wurden. (Abb. 26—28; 101,
102-106).

Für die Ausgräber ist es dennoch frap-
pierend zu sehen, wie diese wertvollen
Weihungen, vor allem jene aus Gold
(Abb. 75), unbeschadet an Ort und Stelle
nach der Zeremonie liegenbleiben konn-
ten. Denn im Gegensatz zu anderen Gra-
bungsplätzen wurden im Artemision die
Weihungen in der Regel in jener Position
bei der Ausgrabung angetroffen, in wel-
cher sie durch die Opfernden hinterlegt
worden waren.

Daß bei der Auswahl der dargestellten
Tiere die Frage ihrer Genießbarkeit keine
Rolle spielte, zeigt das Beispiel der Bie-
nen. Darstellungen von Bienen aus Ephe-
sos sind einmal durch frühe Münzen be-
kannt, die Beziehung der Biene zur Göt-
tin Artemis läßt sich bis hinein in die
Darstellungen der Göttin in römischer
Zeit verfolgen. Diese Vorstellungen wei-
sen auf die anatolisch-hethitische Göttin
Kubaba (Kybele) hin. Die Tradition ihrer
Verehrung spiegelt sich auch im Mythos
des Vegetationsgottes Telepinus, der
nach hethitischen Inschriften etwa fol-
gendermaßen lautet: Nachdem sich der
Vegetationsgott Telepinus in einer Höhle
versteckt hatte, stirbt die Natur ab. Die

Götter setzen ihre heiligen Tiere ein, um
Telepinus zu suchen. Die Biene, von der
großen Göttin ausgesandt, findet ihn und
sticht ihn ins Bein. Mit Telepinus erwacht
auch die Natur wieder zu neuem Leben.
Ein Nachleben dieser Geschichte ist für
Ephesos mit der Legende der Sieben-
schläfer gegeben.

Die oben bereits erwähnten Bären-
zähne weisen auf die Vorstellung von der
bärengestaltigen Artemis hin, wie sie be-
sonders auf dem griechischen Festland
und der Peloponnes verbreitet war. Sie
bezeugen, daß in Ephesos nicht nur die
kleinasiatische Vorstellung der Göttin
Anhänger hatte, sondern auch die grie-
chische. Bär und Biene wurden jedenfalls
mit weiblicher Gottheit assoziiert.

Auch Löwe und Leopard sind mit frü-
hen kleinasiatischen Göttinnen verbun-
den; so ist der Löwe bis in die römische
Zeit hinein das Tier der nordsyrisch-
kleinasiatischen Göttin Kubaba-Kybele.
Der Bär gilt als heiliges Tier der Artemis,
als das sie erscheinen und dessen Eigen-
schaften sie sich aneignen kann, und der
Löwe wird mit Kybele, die bei den Kul-
ten im Artemision eine wichtige Rolle
spielt, assoziiert. Beide Tiere sind auch
durch die Knochenfunde belegt. Schwie-
rig ist es aber, Bären und Löwen als Op-
fertiere zu verstehen. Die gefundenen
Kalottenteile und Tatzen der erwachse-
nen Löwen lassen darauf schließen, daß
sie nicht nur zu lebendig ins Artemision
gekommenen Tieren gehören, sondern
gelegentlich von Fellen stammen, wie sie
auch von Priestern und Clan-Ältesten ge-
tragen wurden (Abb. 56).

Menschenopfer für Artemis

Zuletzt soll noch eine Interpretation der
im Artemision gefundenen Menschen-
knochen gegeben werden. Sie kommen
zwar nicht sehr häufig vor, es läßt sich
aber in einem Fall sogar nachweisen, daß
ein Femur (Hüftknochen) Hackspuren
aufwies. Dabei ist an ein durch den lydi-
schen Dichter Hipponax überliefertes
Sündenbockopfer, Pharmakos genannt,
zu denken, bei dem ein Mann auf Kosten
der Gemeinschaft ein Jahr ernährt und
dann getötet wurde. Wahrscheinlich war
der Ort dieses Rituals das Artemision,
welches ja außerhalb der Stadt lag.

Abb. 75 Weihgeschenke aus Gold in Fund-
lage: eine Statuette und Löwenkopffibeln
von der östlichen Kultbasis (Basis B) in der
Zentralbasis (vgl. Abb. 86, 99, 100).
 
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