Zeit und Geld
Das Artemision und die lydischen Financiers
89
«Die Lyder haben ganz ähnliche Sitten
wie die Griechen ... Sie waren nach
unserem Wissen die ersten, die Gold- und
Silbermünzen prägten und in Gebrauch
hatten. Sie waren auch die ersten Kauf-
leute.»
Herodot I 94; Übersetzung J. Feix
Die Erfindung der Münzen, eines hand-
lichen, genormten Metallstückes, das als
Zahlungsmittel dient, wird mit den Ly-
dern in Verbindung gebracht. Miinzen
müssen auch fiir die Entwicklung der
Wirtschaft im Kleinasien der archaischen
Zeit eine große Rolle gespielt haben, und
nicht von ungefahr erwähnt Herodot in
diesem Zusammenhang auch die kauf-
männischen Ambitionen der Lyder, denn
erst mit der Erfindung des Geldes ist eine
Wirtschaft im heutigen Sinne überhaupt
möglich geworden (vgl. S. 59). Die
Münzen sind aus einer Goldlegierung
hergestellt, die «weißes Gold» oder Elek-
tron genannt wurde. Der Name Elektron
(davon unser Wort Elektrizität) wurde
ursprünglich allein für Bernstein verwen-
det. Als aber die Goldlegierung in Ver-
wendung kam, wurde diese Bezeichnung
auch auf das Metall übertragen. In der
Gewinnung des Materials hatte Lydien
gewissermaßen ein Monopol, da im Sand
des Flusses Paktolos, der durch Sardes
floß, große Mengen Gold vorhanden
waren.
Münzen trugen im Gegensatz zu ande-
ren Goldobjekten den Stempel, das Zei-
chen dessen, der sie prägte. Mit der Er-
findung der Münzen ist, abgesehen von
der Festsetzung verbindlicher Gewichts-
einheiten und ihrer Teile, der vorher ge-
übte Tausch von Objekten auf eine ab-
straktere Ebene gehoben worden. Das
Abb. 115 Münze mit der Darstellung eines
Eberkopfes und Legende, von der nörd-
lichen Kultbasis, gefunden 1987; andere
Münzen derselben Fundstelle zeigen als
Embleme Pferde- und Löwenkopf, Löwen-
pranke sowie ein windradförmiges Emblem.
Die allereinfachste Form einer Münze be-
steht aus einer bestimmten Menge an Elek-
tron, die flüssig auf eine Unterlage (aus
Stein oder Ton) getropft wurde und dann bei
Erkalten einen Metallklumpen bildete.
Artemision wurde im Laufe der Jahrhun-
derte zu einer großen Bank, die als die
größte Asiens bezeichnet wurde. Inwie-
weit die frühen Elektronmünzen einen
Bezug zu einem sich entwickelnden
Bankwesen hatten, ist nicht geklärt. Das
Artemision war auch ein bedeutender
Asylplatz, Personen und ihrer Habe
wurde Schutz vor ihren Feinden gewährt.
Das Deponieren von Wertgegenständen
duch die Asylsuchenden hat wohl seiner-
seits die Entwicklung eines Bankwesens
gefördert. Das Artemision wurde zu
einem reichen Unternehmen, das auch
große Ländereien im Hinterland besaß,
wie Inschriften, die im Tal des Flusses
Kayster gefunden wurden, beweisen.
Goldmünzen und Ausgrabung
Hogarth fand in der Zentralbasis 87 Elek-
tronmünzen, davon den größten Teil in
dem Bereich, den er Tempel A nannte,
19 Stück aber in einem Tonkrug am Fun-
damentrand seines sog. Tempel B (vgl. o.
S. 33). Unter diesen waren Münzen ohne
Prägezeichen, einige tragen eine Löwen-
tatze oder einen Löwenkopf, außerdem
finden sich ein Pferdekopf, ein Falken-
kopf und ein Greifenkopf.
Hogarth, der ja den Tempel A als das
älteste Bauwerk in der Zentralbasis be-
zeichnet hatte, hatte dessen Zerstörung
mit einem Einfall der Kimmerer in Ver-
bindung gebracht. Auf dieser Annahme
basierte die Datierung der von ihm gefirn-
denen Elektronmünzen in die Zeit vor
660 v. Chr.
Dies blieb in der Folge nicht unbestrit-
ten: Dasselbe Ereignis des Kimmererein-
falls wurde einmal zwischen 652 und 626
v. Chr. angenommen und zuletzt zwi-
schen 650 und 639 v. Chr. vermutet.
Andere Forscher wiederum erkannten,
daß die Verbindung zwischen Kimmerer-
einfall und Zerstörung des Tempels A
nicht zwingend ist. Eine der Münzen
■ trägt eine Legende, die «Valvel» gelesen
und auf Alyattes, den Vater des Kroisos
bezogen wurde; sie ist aber erst in die
Kroisoszeit zu datieren.
Was bleibt, ist die Tatsache, daß sich
im Artemision frühe Münzprägung und
archäologische Evidenz verbinden las-
sen. Hogarth hatte allerdings seine Mün-
zen als Bestandteil eines sog. Gründungs-
depots interpretiert. Die Diskussion er-
Das Artemision und die lydischen Financiers
89
«Die Lyder haben ganz ähnliche Sitten
wie die Griechen ... Sie waren nach
unserem Wissen die ersten, die Gold- und
Silbermünzen prägten und in Gebrauch
hatten. Sie waren auch die ersten Kauf-
leute.»
Herodot I 94; Übersetzung J. Feix
Die Erfindung der Münzen, eines hand-
lichen, genormten Metallstückes, das als
Zahlungsmittel dient, wird mit den Ly-
dern in Verbindung gebracht. Miinzen
müssen auch fiir die Entwicklung der
Wirtschaft im Kleinasien der archaischen
Zeit eine große Rolle gespielt haben, und
nicht von ungefahr erwähnt Herodot in
diesem Zusammenhang auch die kauf-
männischen Ambitionen der Lyder, denn
erst mit der Erfindung des Geldes ist eine
Wirtschaft im heutigen Sinne überhaupt
möglich geworden (vgl. S. 59). Die
Münzen sind aus einer Goldlegierung
hergestellt, die «weißes Gold» oder Elek-
tron genannt wurde. Der Name Elektron
(davon unser Wort Elektrizität) wurde
ursprünglich allein für Bernstein verwen-
det. Als aber die Goldlegierung in Ver-
wendung kam, wurde diese Bezeichnung
auch auf das Metall übertragen. In der
Gewinnung des Materials hatte Lydien
gewissermaßen ein Monopol, da im Sand
des Flusses Paktolos, der durch Sardes
floß, große Mengen Gold vorhanden
waren.
Münzen trugen im Gegensatz zu ande-
ren Goldobjekten den Stempel, das Zei-
chen dessen, der sie prägte. Mit der Er-
findung der Münzen ist, abgesehen von
der Festsetzung verbindlicher Gewichts-
einheiten und ihrer Teile, der vorher ge-
übte Tausch von Objekten auf eine ab-
straktere Ebene gehoben worden. Das
Abb. 115 Münze mit der Darstellung eines
Eberkopfes und Legende, von der nörd-
lichen Kultbasis, gefunden 1987; andere
Münzen derselben Fundstelle zeigen als
Embleme Pferde- und Löwenkopf, Löwen-
pranke sowie ein windradförmiges Emblem.
Die allereinfachste Form einer Münze be-
steht aus einer bestimmten Menge an Elek-
tron, die flüssig auf eine Unterlage (aus
Stein oder Ton) getropft wurde und dann bei
Erkalten einen Metallklumpen bildete.
Artemision wurde im Laufe der Jahrhun-
derte zu einer großen Bank, die als die
größte Asiens bezeichnet wurde. Inwie-
weit die frühen Elektronmünzen einen
Bezug zu einem sich entwickelnden
Bankwesen hatten, ist nicht geklärt. Das
Artemision war auch ein bedeutender
Asylplatz, Personen und ihrer Habe
wurde Schutz vor ihren Feinden gewährt.
Das Deponieren von Wertgegenständen
duch die Asylsuchenden hat wohl seiner-
seits die Entwicklung eines Bankwesens
gefördert. Das Artemision wurde zu
einem reichen Unternehmen, das auch
große Ländereien im Hinterland besaß,
wie Inschriften, die im Tal des Flusses
Kayster gefunden wurden, beweisen.
Goldmünzen und Ausgrabung
Hogarth fand in der Zentralbasis 87 Elek-
tronmünzen, davon den größten Teil in
dem Bereich, den er Tempel A nannte,
19 Stück aber in einem Tonkrug am Fun-
damentrand seines sog. Tempel B (vgl. o.
S. 33). Unter diesen waren Münzen ohne
Prägezeichen, einige tragen eine Löwen-
tatze oder einen Löwenkopf, außerdem
finden sich ein Pferdekopf, ein Falken-
kopf und ein Greifenkopf.
Hogarth, der ja den Tempel A als das
älteste Bauwerk in der Zentralbasis be-
zeichnet hatte, hatte dessen Zerstörung
mit einem Einfall der Kimmerer in Ver-
bindung gebracht. Auf dieser Annahme
basierte die Datierung der von ihm gefirn-
denen Elektronmünzen in die Zeit vor
660 v. Chr.
Dies blieb in der Folge nicht unbestrit-
ten: Dasselbe Ereignis des Kimmererein-
falls wurde einmal zwischen 652 und 626
v. Chr. angenommen und zuletzt zwi-
schen 650 und 639 v. Chr. vermutet.
Andere Forscher wiederum erkannten,
daß die Verbindung zwischen Kimmerer-
einfall und Zerstörung des Tempels A
nicht zwingend ist. Eine der Münzen
■ trägt eine Legende, die «Valvel» gelesen
und auf Alyattes, den Vater des Kroisos
bezogen wurde; sie ist aber erst in die
Kroisoszeit zu datieren.
Was bleibt, ist die Tatsache, daß sich
im Artemision frühe Münzprägung und
archäologische Evidenz verbinden las-
sen. Hogarth hatte allerdings seine Mün-
zen als Bestandteil eines sog. Gründungs-
depots interpretiert. Die Diskussion er-