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Die Geschichte von Ephesos und Ionien
gehört zu den glanzvollsten der Antike.
Ephesos verdankt bis in die Neuzeit sei-
nen ruhmreichen Namen den Briefen des
Apostels Paulus, der Göttin Artemis und
der hl. Maria. Auf den antiken Traditio-
nen aufbauend, konnte die Stadt ihre Fas-
zination auch fiir die Welt des 20. Jhs.
erhalten. Ihre städtebauliche Geschichte
wird im folgenden nur in groben Zügen
skizziert, um die Stellung des Artemi-
sions innerhalb des urbanen Gefüges
deutlich werden zu lassen. Die histori-
sche und künstlerische Entwicklung der
Stadt Ephesos ist Gegenstand eines weite-
ren Sonderheftes der ANTIKEN WELT,
das zur Zeit von Friedmund Hueber vor-
bereitet wird und in Kürze erscheint.

Das neuentdeckte prähistorische
Ephesos

Vor einigen Jahren wußte man noch sehr
wenig über das vorgeschichtliche Ephe-
sos, heute kennt man es schon wesent-
lich besser. Neben den weiter unten be-
sprochenen Fundstellen der mykenischen
Epoche gab es bereits im späten Neolithi-
kum und Chalkolithikum eine Siedlung
in der Ebene östlich der hellenistischen
Stadt. Auf einem Hügel östlich von Sel-
guk liegt eine prähistorische Burg mit
Rundtürmen und einer Wasserleitung.
Das Delta, in welches der antike Fluß
Kayster mündete, bot sowohl fruchtbares
Land als auch günstige Verteidigungs-
möglichkeiten.

Von Androklos zu Kroisos

Die Geburtsstunde des uns aus der Antike
bekannten Ephesos schlug erst, als die
Ionier unter dem Athener Androklos sich
in Ephesos festsetzten und - wie litera-
rische Quellen berichten - einen Athena-
und Apollontempel gründeten. Archäo-

Abb. 2 Blick auf die wiederaufgestellte
Artemision-Säule von Osten. Am Boden er-
kennt man vor allem Überreste des spätklas-
sischen Tempels.

Ephesos zwischen Orient und Okzident

Die Geschichte des Artemisions und der Stadt durch die Epochen

logisch ist aber eher der bei Strabon er-
wähnte Demeterkult nachweisbar. Die-
ser Zeitpunkt wird mit der Einwanderung
der Ionier um 1000 v. Chr. in Zusam-
menhang gebracht. Die frühesten Sied-
lungsspuren, die Hinweise auf die An-
wesenheit von Griechen an der Stelle des
späteren Ephesos geben, lassen sich aber
nicht vor dem 8. Jh. v. Chr. nachweisen.
Im Zentrum des Artemisions gibt es
allerdings ein keramisches Kontinuum
von der mykenischen (14. Jh. v. Chr.) bis
in die mittelgeometrische Zeit (8. Jh.
v. Chr.). Dies könnte bedeuten, daß im
Heiligtum selbst der Kult seit der myke-
nischen Zeit nie ganz unterbrochen war
und die «dunklen Jahrhunderte» gar nicht
so dunkel waren wie bisher angenom-
men.

Das Zeitalter des Heraklit

Eine der bedeutendsten Epochen von
Ephesos stellt die Zeit der ionischen
Naturphilosophie von der Mitte des 7. bis
in das frühe 5. Jh. v. Chr. dar. Die Mehr-
zahl der Philosophen kam zwar aus
Milet, wie etwa Thales, Anaximander
und Anaximenes, aber einen der interes-
santesten Denker brachte Ephesos mit
Heraklit hervor, der im Altertum auch
«der Dunkle» genannt wurde. Er gilt als
der Erfinder der Dialektik, die von ihm
überlieferten Lehrsätze belegen ein leb-
haftes Interesse an den Veränderungen
der natürlichen Umwelt in bezug auf die
menschliche Existenz. Seine berühmteste
Sentenz lautet, daß alle Dinge in stän-
digem Wandel begriffen sind («Pänta
rhei - Alles fließt»),

Ephesos lag an der kleinasiatischen
Westküste, im Herzen Ioniens, und fokus-
sierte die Entwicklungen des Nordens
und Südens. Daher ist auch das ge-
meinsame Heiligtum aller Ionier - das
Panionion - südlich von Ephesos auf der
Halbinsel Mykale angesiedelt worden.
Rund um Ephesos entstanden in dieser
Zeit andere bedeutende Heiligtümer, wie
die beiden des Apollon in Klaros und
Didyma oder das der Hera auf Samos,
der Ephesos gegenüber gelegenen ost-
griechischen Insel. Die Eroberung von
Ephesos durch die Lyder unter König

Kroisos hat letztlich das kultische und
kulturelle Leben der Stadt belebt - der
Bau des archaischen Artemistempels fällt
in diese Zeit. Auch nach der Zerstörung
des Lyderreiches durch die Perser im
Jahr 547 v. Chr. ging die Entwicklung
der ephesischen Kultur bruchlos weiter.

Der Rationalismus des Hippodamos
und die erste Stadt

Im 6. Jh. v. Chr. wurde, ausgehend von
der Orientierung des Artemisions, ein
rechtwinkliges Straßenraster angelegt,
das die in der Küstenebene um das Arte-
misheiligtum entstandene Stadt topogra-
phisch gliederte. Als Erfinder solcher
Stadtanlagen mit orthogonal zueinander
verlaufenden Straßensystemen wird der
•Milesier Hippodamos angesehen.

Eine solche Stadtplanung, die im Hei-
ligtum der Artemis nicht nur für den reli-
giösen Bezirk selbst, sondern auch für die
profane Stadt ein rationales Konzept
lieferte, gehört zu den wesentlichen
Neuerungen, welche die ionische Wis-
senschaft in die Siedlungsgeschichte von
Ephesos eingebracht hat. Hierbei muß
betont werden, daß sich dieser hohe,
während der archaischen Epoche er-
reichte kulturelle Standard unter achaeme-
nidischer Oberherrschaft entwickelt hatte.
Erst der griechische Aufstand von 494
v. Chr. und der daraufhin eingeleitete
Rachefeldzug der Perser gegen Ionien
bedeutete das Ende dieser lokalen Blüte-
zeit.

Das Ephesos der Mythen

Ephesos war jedoch nie eine rein grie-
chische Siedlung. Noch Pausanias er-
innert sichim2.Jh.n.Chr.,daß Ephesos
einst von unterschiedlichen Bevölke-
rungsgruppen, wie etwa Lydern, Lele-
gern und Griechen, besiedelt war. Einige
in Mythen überlieferte Flurnamen in
Ephesos, wie etwa Koressos und Smyrna,
deuten auf einen nichtgriechischen Ur-
sprung der Siedlung hin. Bei Koressos
könnte es sich um den Ayasoluk-Hügel
handeln, der in die Bronzezeit zurückrei-
chende Siedlungsspuren aufweist.
 
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