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Der Tempel und das Meer

Das Artemision in seinem Naturraum

«Es entsteht nämlich neues Land, aber
nicht nur durch die Anschwemmung der
Flüsse, ... und nicht nur durch den
Rückzug des Meeres ... so wie zu Ephe-
sos, wo es einst den Dianatempel be-
spülte.»

Plinius, naturalis historia II201; Übersetzung
R. König und G. Winkler.

Das Artemision ist der einzige Grabungs-
platz in Ephesos, der trotz jahrzehntelan-
ger archäologischer Untersuchungen sei-
nen landwirtschaftlichen Charakter nicht
verloren hat. Wenn man am Abend zum
Artemision kommt, so fühlt man sich an
Bilder des 17. und 18. Jhs., etwa von

Abb. 16 Blick von Westen auf den vom
Grundwasser bedeckten Altarbereich im
Vordergrund. Dahinter Ruinengelände des
Heiligtums mit wiederaufgerichteter Säule
des Tempels. Im Hintergrund links das Tor
der Verfolgung beim Eingang zur Johannes-
basilika. Rechts die österreichischen Gra-
bungshäuser mit Depot.

Claude Lorrain und Jacob Philipp Hackert,
erinnert oder an Pieter Bruegels Bild
«Heimkehr der Herde». Es weiden Kühe,
Schafe, Pferde, die Gänse schnattern,
Perlhühner und Pfaue schreien, Hunde
bellen, und der Kater streunt umher.
Dennoch veränderte sich das Artemision
im Laufe der letzten Jahrzehnte. Es gab
Jahre, in denen die Grube im Sommer
trocken war, und solche, in denen im Juli
das Artemision noch ein See war (Abb.
16, 19). Sowohl die zahlreichen artesi-
schen Brunnen in der Ebene als auch die
Vakuumpumpe der Grabung waren nicht
unwesentlich daran beteiligt, daß der
Grundwasserspiegel sowohl im Sommer
als auch im Winter deutlich gesunken ist.
Aber beide Faktoren allein reichen als
Erklärung nicht aus. Auch das Klima hat
sich geändert. Es fehlen die starken Win-
terregen, und auch der Meeresspiegel ist
wahrscheinlich gesunken. Die Höhe des
Wasserspiegels im Artemision ist aber
für die Tierwelt verantwortlich. Zwar
nisten nach wie vor die Störche auf der

1973 wiederaufgebauten Säule, aber die
Wasserschildkröten, die Haubentaucher
und auch die Fische, die ständige Gäste
waren, sind selten geworden. Selbst die
Enten, für die das Artemision noch bis in
die Mitte der 80er Jahre ein beliebter
Aufenthaltsort war, sind wieder ver-
schwunden. Trotzdem macht auch heute
die Ruinenstätte nicht den Eindruck eines
für alle Zeit ruhig ausgebreiteten Zustan-
des, sondern sie wirkt so, als sei alles nur
vorübergehend sichtbar und würde dem-
nächst erneut vom Wasser verschlungen.

Wasser, Wasser und nochmals
Wasser ...

Bis zu Beginn der 60er Jahre haben sich
Archäologen wenig mit geomorphologi-
schen und küstengeographischen Proble-
men beschäftigt. Armin von Gerkan,
einer der Erforscher Milets, war einer
der ersten, die schon früh auf ihre Bedeu-
tung für die Archäologie aufmerksam ge-



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