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Ionische Architektur aus der Zeit
Homers
Der geometrische Peripteros und sein Vorgänger
«Gleich unzähligen Scharen gefiederter
Vögel: wie Gänse,
Kraniche oder wie Schwäne mit langen
Hälsen im Schwarme
Über Asiens Feld, um die Wasser des
Flusses Kaystros
Hier und dort in stolzem Fluge die
Schwingen entfalten
Und mit Gekreische sich lagern, vom
Lärme dröhnen die Auen ...»
Ilias II 459 ff.; Übersetzung H. Rupe
Der geometrische Peripteros
Welche Vorstellungen können wir über
das Artemisheiligtum in der Zeit nach der
Ankunft der griechischen Kolonisten ge-
winnen? Homer erwähnt Ephesos selbst
nie direkt, an einer einzigen Stelle wird
der Fluß Kaystros (heute Küpük Mende-
res) genannt, der bei Ephesos ins Meer
fließt. Ob Homer Ephesos und das älteste
Abb. 30 Gesamtplan des Artemisions. Links
der Altar, zur Mitte zu schließt der Heka-
tompedos an. lm Zentrum des Tempels selbst
befmden sich die ältesten Anlagen mit dem
Peripteros des 8. Jhs. (Ringhallentempel)
und der sog. Tempel C. Eingetragen sind
auch die kleinen Kultbasen.
Heiligtum dort kannte, wissen wir nicht.
In der Vorstellung vom Artemision domi-
nieren vor allem die Marmortempel des
6. und des 4. Jhs. v. Chr., die in ihrem In-
neren einen großen Hof (Sekos) aufwie-
sen. Beiden dürfte die riesige, oben of-
fene Cella gemeinsam sein. Bereits im
8. Jh. v. Chr. aber befand sich an gleicher
Stelle innerhalb des Hofes, um den sich
später der große Marmorbau erhob, ein
schlichterer Tempel. Diese in der Baufor-
schung auch als «Peripteros» bezeichnete
oder dem «Peripteral-Typus» zugeord-
nete Form des antiken Sakralgebäudes
zeichnet sich durch ihre um den Kernbau
(Cella) laufenden Säulenreihen (Peristasis)
aus und wird deshalb auch bisweilen
«Ringhallentempel» genannt (Abb. 32).
Die schattenspendenden, seit geometri-
scher Zeit in der antiken Architektur
nachgewiesenen Ringhallen nannten die
Griechen auch «Peristasis». Die beson-
ders prächtige Variante des Peripteros
mit doppeltem Säulenkranz wird in der
Wissenschaft mit dem griechischen Ter-
minus «Dipteros» bezeichnet.
Hogarth hatte in der sog. Zentral-
basis - er spricht in der Publikation von
der «Central Base», was etwas unbehol-
fen als «Zentralbasis» ins Deutsche über-
setzt wurde, obwohl damit mehrere An-
lagen gemeint sind also in dem Areal
des Innenhofs, des Sekos, um den der
Dipteros stand, seiner Meinung nach drei
Heiligtümer ausgegraben: die Tempel A,
B, und C, wobei A der älteste, C der
jüngste Bau sein sollte. Tempel B ent-
spricht nach heutiger Interpretation den
Cellamauern des Peripteros (Abb. 30).
Es zeigte sich, daß der sog. Tempel A
von Hogarth das Fundament eines Nais-
kos, eines kleinen Schreins in Tempel-
form, ist, der zu dem von Kroisos gestif-
teten Bauwerk gehört (Abb. 31, 37).
Die Grabungen seit 1987 haben damit
ein völlig neues Bild des archäologischen
Befundes in der Zentralbasis ergeben. Es
stellte sich heraus, daß die Bauten A und B
keineswegs selbständige Tempel waren,
an deren Stelle aber ein Peripteros von
13,5 x 6,5 m existierte, dessen Cella dem
Tempel B entspricht. Niemand hatte bis-
her Ionien als Entstehungsort dieser Bau-
form in Betracht gezogen. Bei Tempel C
hatte Hogarth mit seiner Identifizierung
recht.
Der Peripteros im Artemision war an
den Fronten durch vier Säulen bestimmt,
deren Schäfte etwa gleich große Achsab-
stände (sog. «Joche») besitzen. An den
Seiten besteht die Ringhalle aus acht Säu-
len. Im Inneren der Cella sind sechs Säu-
ARTEMISION
GEZ.: U. ARIKAN 1
8. JH. v. CHR
7. JH. v. CHR
6. JH. v. CHR
4. JH. v. CHR
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Ionische Architektur aus der Zeit
Homers
Der geometrische Peripteros und sein Vorgänger
«Gleich unzähligen Scharen gefiederter
Vögel: wie Gänse,
Kraniche oder wie Schwäne mit langen
Hälsen im Schwarme
Über Asiens Feld, um die Wasser des
Flusses Kaystros
Hier und dort in stolzem Fluge die
Schwingen entfalten
Und mit Gekreische sich lagern, vom
Lärme dröhnen die Auen ...»
Ilias II 459 ff.; Übersetzung H. Rupe
Der geometrische Peripteros
Welche Vorstellungen können wir über
das Artemisheiligtum in der Zeit nach der
Ankunft der griechischen Kolonisten ge-
winnen? Homer erwähnt Ephesos selbst
nie direkt, an einer einzigen Stelle wird
der Fluß Kaystros (heute Küpük Mende-
res) genannt, der bei Ephesos ins Meer
fließt. Ob Homer Ephesos und das älteste
Abb. 30 Gesamtplan des Artemisions. Links
der Altar, zur Mitte zu schließt der Heka-
tompedos an. lm Zentrum des Tempels selbst
befmden sich die ältesten Anlagen mit dem
Peripteros des 8. Jhs. (Ringhallentempel)
und der sog. Tempel C. Eingetragen sind
auch die kleinen Kultbasen.
Heiligtum dort kannte, wissen wir nicht.
In der Vorstellung vom Artemision domi-
nieren vor allem die Marmortempel des
6. und des 4. Jhs. v. Chr., die in ihrem In-
neren einen großen Hof (Sekos) aufwie-
sen. Beiden dürfte die riesige, oben of-
fene Cella gemeinsam sein. Bereits im
8. Jh. v. Chr. aber befand sich an gleicher
Stelle innerhalb des Hofes, um den sich
später der große Marmorbau erhob, ein
schlichterer Tempel. Diese in der Baufor-
schung auch als «Peripteros» bezeichnete
oder dem «Peripteral-Typus» zugeord-
nete Form des antiken Sakralgebäudes
zeichnet sich durch ihre um den Kernbau
(Cella) laufenden Säulenreihen (Peristasis)
aus und wird deshalb auch bisweilen
«Ringhallentempel» genannt (Abb. 32).
Die schattenspendenden, seit geometri-
scher Zeit in der antiken Architektur
nachgewiesenen Ringhallen nannten die
Griechen auch «Peristasis». Die beson-
ders prächtige Variante des Peripteros
mit doppeltem Säulenkranz wird in der
Wissenschaft mit dem griechischen Ter-
minus «Dipteros» bezeichnet.
Hogarth hatte in der sog. Zentral-
basis - er spricht in der Publikation von
der «Central Base», was etwas unbehol-
fen als «Zentralbasis» ins Deutsche über-
setzt wurde, obwohl damit mehrere An-
lagen gemeint sind also in dem Areal
des Innenhofs, des Sekos, um den der
Dipteros stand, seiner Meinung nach drei
Heiligtümer ausgegraben: die Tempel A,
B, und C, wobei A der älteste, C der
jüngste Bau sein sollte. Tempel B ent-
spricht nach heutiger Interpretation den
Cellamauern des Peripteros (Abb. 30).
Es zeigte sich, daß der sog. Tempel A
von Hogarth das Fundament eines Nais-
kos, eines kleinen Schreins in Tempel-
form, ist, der zu dem von Kroisos gestif-
teten Bauwerk gehört (Abb. 31, 37).
Die Grabungen seit 1987 haben damit
ein völlig neues Bild des archäologischen
Befundes in der Zentralbasis ergeben. Es
stellte sich heraus, daß die Bauten A und B
keineswegs selbständige Tempel waren,
an deren Stelle aber ein Peripteros von
13,5 x 6,5 m existierte, dessen Cella dem
Tempel B entspricht. Niemand hatte bis-
her Ionien als Entstehungsort dieser Bau-
form in Betracht gezogen. Bei Tempel C
hatte Hogarth mit seiner Identifizierung
recht.
Der Peripteros im Artemision war an
den Fronten durch vier Säulen bestimmt,
deren Schäfte etwa gleich große Achsab-
stände (sog. «Joche») besitzen. An den
Seiten besteht die Ringhalle aus acht Säu-
len. Im Inneren der Cella sind sechs Säu-
ARTEMISION
GEZ.: U. ARIKAN 1
8. JH. v. CHR
7. JH. v. CHR
6. JH. v. CHR
4. JH. v. CHR
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