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Amazonen und Kimmerer
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wieder. Eine weibliche Figur, mit Chiton
und Mantel bekleidet, steht auf einer
Basis, aus der in vertikaler Richtung der
Kopf eines Raubtieres, eines Panthers,
herauswächst. Die Verbindung der Figu-
ren mit Raubtieren erinnert an das kon-
ventionelle Schema der von Tieren be-
gleiteten Pothnia Theron, der «Herrin der
Tiere». Die früheste Darstellung dieses
Typus aus dem Artemision von Ephesos,
findet sich auf einem Goldplättchen, das
aus dem 7. Jh. v. Chr. stammen dürfte.
Auf diesem ist eine Göttin dargestellt, die
von Löwen und Panthern flankiert wird,
welche größer sind als sie selbst. Die
Elfenbeinstatuette ist durch ihre Verbin-
dung mit dem Panther sowohl mit Kybele
als auch mit Artemis zu assoziieren.
Durch seine vertikale Ausrichtung ist der
Pantherkopf aus dem traditionellen ana-
tolisch-orientalischen Schema herausge-
rissen und in einen neuen Zusammen-
hang gestellt. Im Artemision kamen auch
Objekte aus Gold zutage, die in dieser
Tradition verstanden werden können,
wie etwa ein Goldanhänger mit Stier-Lö-
wenkopf-Komposition, der aus einem
großen Stierkopf besteht, zwischen des-
sen Hörner ein Löwenkopf mit geöffne-
tem Maul gesetzt ist.
Auch aus der Nomadenkunst Südruß-
lands, des Kaukasus und des Iran sind
zahlreiche Beispiele bekannt, bei denen
eine Umdeutung der Natur auf diese
Weise zum Ausdruck kommt. Oft werden
dabei auch nur einzelne Körperteile, wie
etwa der Kopf eines Tieres dargestellt,
die dann mit wieder völlig anderen Ob-
jekten ein Konglomerat bilden (Abb. 29).
Die Repräsentanten dieses Tierstiles, die
Kimmerer, kamen Ende des 8. Jhs.
v. Chr. über den Kaukasus nach Klein-
asien und bildeten dort im gesamten 7. Jh.
v. Chr. eine politische und militärische
Macht. Den Skythen wurde vom Lyder-
könig Alyattes Asyl gewährt, als sie als
Flüchtlinge - sie waren vom Mederkönig
Kyaxares zur Flucht gezwungen worden
- nach Kleinasien kamen. Die Kimmerer
waren nach dem Fall von Gordion in
Phrygien (696 v. Chr.) in Westkleinasien
präsent und haben dort auch kulturelle
Akzente gesetzt. Wenn - wie oben ange-
deutet - die Amazonen mythologische
Darstellungen der Kimmerer sind, dann
sind die Weihungen aus dem Artemision
ein Beleg mehr dafür, daß in diesem Hei-
ligtum nicht nur griechische und orienta-
lische Einflüsse zu beobachten sind, son-
dern sich auch Elemente dieser nomadi-
schen Kulturen finden lassen.
Die Sachlage ist aber nicht ganz ein-
fach. Die im Artemision gefundenen Ob-
jekte im Tierstil waren ebenso Votiv-
gaben wie alle übrigen Kleinfunde. Dies
bedeutet, daß sie vermutlich von Noma-
den gestiftet worden sind. Es muß also
Kimmerer gegeben haben, die einem
oder mehreren der im 7. Jh. v. Chr. exi-
stierenden Kulte positiv gegenüberstan-
den. In der Zentralbasis selbst wurden
auch keine Brandspuren festgestellt, die
zeitlich mit der Anwesenheit der Kimme-
rer zu verbinden wären. Nur im Ostbe-
reich des Tempelhofes existiert ein
Brandhorizont, in dem protokorinthische
Keramik gefunden worden ist und der
damit etwa 650/40 v. Chr., also in die
Zeit der Kimmerereinfälle, zu datieren
ist. Bei Kallimachos im «Hymnus an Ar-
temis» wird auf beide Ereignisse Bezug
genommen: einerseits gründen hier die
Amazonen das Heiligtum, andererseits
überfällt der Kimmererführer Lygdamis
den Tempel.
Die archäologische Evidenz könnte
man also dahingehend interpretieren, daß
es Kimmerergruppen gab, welche eine
der zahlreichen dort im 7. Jh. v. Chr. vor-
handenen Kultstätten gründeten oder be-
nutzten, aber auch eine Kimmererhorde,
welche unter der Führung des Lygdamis
das oder eines dieser Heiligtümer an-
griff. Das Bild, das wir aus der antiken
Literatur und der archäologischen Evi-
denz von den Kimmerern kennen, ist am-
bivalent und schillernd, in dieser Hin-
sicht ähnelt es dem, das uns über die
Amazonen überliefert ist.
Diese knapp gehaltene Darstellung der
Rolle von Amazonen und Kimmerern in
der geschichtlichen Entwicklung des
ephesischen Heiligtums kann also aufzei-
gen, daß sich gerade im Artemision reelle
historische Abläufe mit rein mythologi-
schen Aspekten vermengen.
Abb. 29 Glöckchen aus Bronze. Mittelteil
mit gitterähnlichen Stäben und Glöckchen,
an beiden Seiten Entenprotomen. Parallelen
beweisen, daß dieses Fundstück der Noma-
denkunst aus dem Kaukasus angehört.
Amazonen und Kimmerer
2»
wieder. Eine weibliche Figur, mit Chiton
und Mantel bekleidet, steht auf einer
Basis, aus der in vertikaler Richtung der
Kopf eines Raubtieres, eines Panthers,
herauswächst. Die Verbindung der Figu-
ren mit Raubtieren erinnert an das kon-
ventionelle Schema der von Tieren be-
gleiteten Pothnia Theron, der «Herrin der
Tiere». Die früheste Darstellung dieses
Typus aus dem Artemision von Ephesos,
findet sich auf einem Goldplättchen, das
aus dem 7. Jh. v. Chr. stammen dürfte.
Auf diesem ist eine Göttin dargestellt, die
von Löwen und Panthern flankiert wird,
welche größer sind als sie selbst. Die
Elfenbeinstatuette ist durch ihre Verbin-
dung mit dem Panther sowohl mit Kybele
als auch mit Artemis zu assoziieren.
Durch seine vertikale Ausrichtung ist der
Pantherkopf aus dem traditionellen ana-
tolisch-orientalischen Schema herausge-
rissen und in einen neuen Zusammen-
hang gestellt. Im Artemision kamen auch
Objekte aus Gold zutage, die in dieser
Tradition verstanden werden können,
wie etwa ein Goldanhänger mit Stier-Lö-
wenkopf-Komposition, der aus einem
großen Stierkopf besteht, zwischen des-
sen Hörner ein Löwenkopf mit geöffne-
tem Maul gesetzt ist.
Auch aus der Nomadenkunst Südruß-
lands, des Kaukasus und des Iran sind
zahlreiche Beispiele bekannt, bei denen
eine Umdeutung der Natur auf diese
Weise zum Ausdruck kommt. Oft werden
dabei auch nur einzelne Körperteile, wie
etwa der Kopf eines Tieres dargestellt,
die dann mit wieder völlig anderen Ob-
jekten ein Konglomerat bilden (Abb. 29).
Die Repräsentanten dieses Tierstiles, die
Kimmerer, kamen Ende des 8. Jhs.
v. Chr. über den Kaukasus nach Klein-
asien und bildeten dort im gesamten 7. Jh.
v. Chr. eine politische und militärische
Macht. Den Skythen wurde vom Lyder-
könig Alyattes Asyl gewährt, als sie als
Flüchtlinge - sie waren vom Mederkönig
Kyaxares zur Flucht gezwungen worden
- nach Kleinasien kamen. Die Kimmerer
waren nach dem Fall von Gordion in
Phrygien (696 v. Chr.) in Westkleinasien
präsent und haben dort auch kulturelle
Akzente gesetzt. Wenn - wie oben ange-
deutet - die Amazonen mythologische
Darstellungen der Kimmerer sind, dann
sind die Weihungen aus dem Artemision
ein Beleg mehr dafür, daß in diesem Hei-
ligtum nicht nur griechische und orienta-
lische Einflüsse zu beobachten sind, son-
dern sich auch Elemente dieser nomadi-
schen Kulturen finden lassen.
Die Sachlage ist aber nicht ganz ein-
fach. Die im Artemision gefundenen Ob-
jekte im Tierstil waren ebenso Votiv-
gaben wie alle übrigen Kleinfunde. Dies
bedeutet, daß sie vermutlich von Noma-
den gestiftet worden sind. Es muß also
Kimmerer gegeben haben, die einem
oder mehreren der im 7. Jh. v. Chr. exi-
stierenden Kulte positiv gegenüberstan-
den. In der Zentralbasis selbst wurden
auch keine Brandspuren festgestellt, die
zeitlich mit der Anwesenheit der Kimme-
rer zu verbinden wären. Nur im Ostbe-
reich des Tempelhofes existiert ein
Brandhorizont, in dem protokorinthische
Keramik gefunden worden ist und der
damit etwa 650/40 v. Chr., also in die
Zeit der Kimmerereinfälle, zu datieren
ist. Bei Kallimachos im «Hymnus an Ar-
temis» wird auf beide Ereignisse Bezug
genommen: einerseits gründen hier die
Amazonen das Heiligtum, andererseits
überfällt der Kimmererführer Lygdamis
den Tempel.
Die archäologische Evidenz könnte
man also dahingehend interpretieren, daß
es Kimmerergruppen gab, welche eine
der zahlreichen dort im 7. Jh. v. Chr. vor-
handenen Kultstätten gründeten oder be-
nutzten, aber auch eine Kimmererhorde,
welche unter der Führung des Lygdamis
das oder eines dieser Heiligtümer an-
griff. Das Bild, das wir aus der antiken
Literatur und der archäologischen Evi-
denz von den Kimmerern kennen, ist am-
bivalent und schillernd, in dieser Hin-
sicht ähnelt es dem, das uns über die
Amazonen überliefert ist.
Diese knapp gehaltene Darstellung der
Rolle von Amazonen und Kimmerern in
der geschichtlichen Entwicklung des
ephesischen Heiligtums kann also aufzei-
gen, daß sich gerade im Artemision reelle
historische Abläufe mit rein mythologi-
schen Aspekten vermengen.
Abb. 29 Glöckchen aus Bronze. Mittelteil
mit gitterähnlichen Stäben und Glöckchen,
an beiden Seiten Entenprotomen. Parallelen
beweisen, daß dieses Fundstück der Noma-
denkunst aus dem Kaukasus angehört.