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«Thales, ein Mann aus Milet, der seiner
Herkunfi nach Phöniker war ...»
Herodot I 170; Übersetzung J. Feix

Es wird heute allgemein akzeptiert, daß
die griechische Schrift von den Phöni-
kern entlehnt und die babylonische Ma-
thematik von den Griechen rezipiert
wurde. Aber die These, die M. Bernal in
seiner Arbeit <Black Athena> vertritt, daß
bereits das Griechenland der Minoer und
Mykener von Ägypten und dem Orient
massiv beeinflußt gewesen sei, wird von
einigen Archäologen heftig bestritten.
Wie aber soll man sich z. B. die Stau-
dämme der Mykener ohne die Kenntnis

Die Phöniker in Ephesos

Ägyptische Luxusartikel und ihre Nachahmungen im Artemision

der Wasserbaukunst der Kulturen am Nil
und in Mesopotamien vorstellen? Durch
die Thesen Bernals jedenfalls ist die Dis-
kussion um die Beziehungen Ägyptens
und Phönikiens zur griechischen Kultur
neu belebt worden.

Die Phöniker waren die Bewohner der
Stadtstaaten an der syrisch-libanesischen
Mittelmeerküste. Sowohl als Seefahrer
als auch als Handwerker hatten sie im
gesamten Mittelmeerraum im 8. und 7. Jh.
v. Chr. großen Einfluß, und so waren sie
auch in Ionien sehr aktiv, wie in Milet,
Priene, Erythrai und natürlich Ephesos.

Die im folgenden vorgestellten Funde
lassen sich in drei Gruppen teilen:

Erstens Importe aus Ägypten, zweitens
griechische und phönikische Nach-
ahmungen ägyptischer Objekte und drit-
tens ägyptisierende Produkte der griechi-
schen und phönikischen und (oder) syri-
schen Kunst. Zu diesen Funden, die unter
dem Begriff <Aegyptiaca> bekannt sind,
gehören besonders viele Amulette, wel-
che speziell der Volksreligion in bestimm-
ten lokalen Gebieten der griechischen
Kultur angehören. Die Objekte sind in
Frauen- und Kindergräbern sowie Votiv-
depots von Heiligtümern weiblicher Gott-
heiten im 8. und 7. Jh. v. Chr. zu finden.
Häufig handelt es sich dabei um Objekte
aus Fayence, wie Skarabäen oder Dar-
stellungen von Gottheiten.

Importe aus dem nordsyrisch-
phönikischen Raum

Zu den sicheren Importen aus dem nord-
syrisch-phönikischen Raum gehört eine
Tridacnamuschel (Abb. 103). Die Mu-
scheln selbst stammen aus dem Indischen
Ozean und dem Roten Meer und wurden
von ägyptischen und orientalischen
Handwerkern um die Mitte des 7. Jhs.
v. Chr. mit Ritzzeichnungen dekoriert.
Das stark gewellte ephesische Beispiel
zeigt außen eine Lotosblüte und gegen-
ständig eine Lotosknospe, am rechten
Rand enden die Federn eines Greifen
oder Vogels. Links liegt ein Blütenkol-
ben, der seitlich von Triglyphenfeldern
begrenzt wird.

Im Jahre 1984 wurde an der Nord-
grenze des Kroisostempels unterhalb sei-
ner Fundamente ein Beinplättchen mit
einer Ritzzeichnung in ägyptisierendem
Stil gefunden (Abb. 101). Dargestellt ist
hier eine stehende weibliche, im Profil
nach links gewandte Figur, die mit einem
weiten halblangen Mantel bekleidet ist.
Sie trägt eine dreiteilige ägyptische
Perücke und darüber eine pilzförmige
Lotosblüte mit einem vorne angesetzten
spitzen geäderten Lotosblatt. Der linke,
nach vorne angewinkelte Unterarm hält
eine Löwinnenprotome, das Zeichen der
ägyptischen Göttin Sachmet oder Bastet.
Der Löwinnenkopf ist von einer Sonnen-
scheibe bekrönt, in der rechten erhobe-
nen Hand trägt die weibliche Figur ein

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