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Religionspolitik im Artemision

Artemis als Staatsgöttin der Lyder

«Um die Gunst des Volkes buhlend, das
er durch Aussichten aufErwerb und kar-
gen Lohngewinn verpflichtet, grausam
gegen den Adel, dessen Reichtum er ein-
zieht, um den Glanz seines Hofes zu erhö-
hen, zahlreiche Widersacher verfolgt er
in die Zufluchsstätten der Heiligtümer
und scheut nicht davor zurück, sie hier zu
töten, in das Häuptheiligtum der Stadt,
wohin sich die Tochter eines Gegners ret-
tet, wagt er zwar nicht einzudringen, hält
sie aber dort umzingelt, bis ihre Verzweif-
lung den Selbstmord einem Hungertode
vorzieht. Schließlich durch Ausbruch von
Seuche und Nahrungsnot in seiner Exi-

stenz bedroht, wendet er sich nach Delphi
um Hilfe und erhält die Weisung, die Er-
schlagenen durch Grabesehren, die Gott-
heit durch Errichtung eines Tempels zu
versöhnen.»

Suda s. v. Pythagoras nach Baton von Sinope;
Übersetzung O. Benndorf

In diesem Bericht über einen ephesischen
Tyrannen wird ein Heiligtum im Arte-
mision erwähnt, das offenbar zu jenen
zählte, die zugrunde gingen, als auf
Initiative des Lyderkönigs Kroisos im
Artemision große Bautätigkeit einsetzte.
Kroisos ließ insgeamt acht ältere Heilig-

tümer zerstören (vgl. S. 39 ff.), und er
schuf einen neuen <Staatskult>, in dem
Artemis eine an den Monotheismus semi-
tischer Völker erinnernde Ausschließ-
lichkeit der Verehrung errang. Dies ist
ein Resultat der Ausgrabungen im Arte-
mision.

Kroisos und der archaische
Artemistempel

Herodot beschäftigt sich in seinen Histo-
rien ausführlich mit der lydischen Dyna-
stie der Mermnaden. Die Könige von
Gyges bis Kroisos finden sein spezielles
Interesse. Eine besondere Rolle spielte
dabei die Politik der Lyderkönige im
Hinblick auf die griechischen Städte an
der Westküste Kleinasiens. Vor allem die
Bedeutung des Kroisos für den Bau des
archaischen Artemistempels wird immer
wieder hervorgehoben. Hatte Kroisos
daher religiöse Motive, dieses Projekt zu
fördern?

Die lydischen Könige, insbesondere
der Vater des Kroisos, Alyattes, führten
fast gegen alle griechischen Städte an der
Küste Westkleinasiens Krieg und ver-
suchten, sie in ihr Reich einzugliedern.
Nur gegen Milet waren diese Anstren-
gungen erfolglos, und auch Ephesos
konnte erst unter Kroisos eingenommen
werden. Da es den Lydern nicht gelungen
war, das bedeutende Orakel des Apoll
von Didyma in ihren Besitz zu bringen,
versuchte Kroisos, mit dem Bau des
großen Tempels für die Artemis von
Ephesos ein gleichbedeutendes Heilig-
tum zu schaffen. Die bei verschiedenen
antiken Autoren überlieferte Belage-
rungsgeschichte von Ephesos spiegelt
deutlich das Interesse des Kroisos an
Ephesos und belegt, daß es ihm darum
ging, Einfluß auf das Heiligtum zu erlan-
gen. Der von ihm belagerte Tyrann Pin-
daros, der sein Neffe war, rät den Ephe-
siern, die Stadt durch Seile mit dem Arte-
mision zu verbinden, und damit wird
auch die Stadt als unverletzbares Eigen-
tum der Artemis angesehen. Mit der In-
besitznahme und mit der Neuordnung des
Heiligtums wurde aber nicht nur der Bau
eines Großtempels in die Wege gelei-
tet, sondern auch die Kultrichtung nach

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