Frauen in Ephesos
31
nern an die Göttin handeln. Denn die
spärlichen Nachrichten über die Stifter
zeigen, daß anderswo auch Männer Ob-
jekte stiften, die dem weiblichen Bereich
zugeschrieben werden. So berichtet Hero-
dot (151) z. B., daß Kroisos in Delphi die
Gürtel seiner Frau stiftete.
Nicht vergessen darf man auch die
große Bedeutung der alten weiblichen
Fruchtbarkeitskulte sowie die matrilinea-
ren Strukturen in der Gesellschaftsord-
nung Kleinasiens, die uns Herodot über-
liefert. Für diesen feminin orientierten
Kultbetrieb müssen die Nachrichten über
die kriegerischen Amazonen etwas
Neues und auch Befremdendes gewesen
sein.
Amazonen in Griechenland
Im Athen des 5. Jhs. v. Chr. spielten die
Amazonen unter zwei Gesichtspunkten
eine große Rolle. Einmal benutzte Athen
die Darstellungen des Kampfes von Grie-
chen gegen Amazonen («Amazonoma-
chie»), die in persischer bzw. thrakisch-
skythischer Tracht erschienen, als wich-
tiges Propagandamittel gegen die Perser
(Abb. 25). Man identifizierte die kriege-
rischen Frauen mit den Barbaren, den
Feinden. Dies ist aber nur ein Aspekt der
Darstellung der Amazonen. Der zweite
hatte mit der Einstellung der griechischen
Männer ihren Frauen gegenüber zu tun.
Von der Überzeugung getragen, daß nur
ein intaktes Patriarchat das Fortbestehen
der griechischen Gesellschaft gewährlei-
sten kann, wurden in ganz Griechenland
die Griechen mit dem Hinweis auf den
Amazonenstaat wachgerufen.
Die Amazonen im Spiegel der Kunst
itn Artemision
Zum Artemision von Ephesos aber hatten
die Amazonen eine ganz andere Bezie-
hung: Sie galten - wie oben erwähnt -
nach einigen antiken Quellen als die
Gründerinnen dieses Heiligtums, so nach
Pindar (fr. 174 = Pausanias VII 2,7,) und
Kallimachos (Hymnus 3, 237 - 258 und
266 - 267). Nach Strabon (XIV 1,4) soll
nuch der ephesische Stadtteil Smyrna
°der Samorna nach einer Amazone be-
nannt sein. Pausanias (s. o. S. 29) berich-
teT daß zum Zeitpunkt der Einwande-
rung der griechischen Ionier noch einige
^niazonen um das Artemision gewohnt
haben.
Die Beziehungen dieser Frauen zum
Vrtemision sind aber auch durch Darstel-
lungen vielfältigster Art bezeugt. Auf
dem Simenfries des archaischen Tempels
findet sich die Darstellung einer Ama-
zone ebenso wie im 4. Jh. v. Chr. auf dem
Sockelfries des großen Hofaltares. Diese
zitiert eine Figur aus der Gruppe der gut
bekannten Amazonen, die auf hoch-
berühmte Bronzeoriginale des 5. Jhs.
v. Chr. zurückgehen, uns aber nur in
Marmorkopien der römischen Zeit erhal-
ten sind. Sie werden verbunden mit
einem bei Plinius (n.h. XXXIV 53) in
seinem Buch über Bronzeskulpturen
überlieferten Künstlerwettstreit der Bild-
hauer Phidias, Polyklet, Kresilas, Kydon
und Phradmon, von denen jeder für das
Artemision die Statue einer Amazone an-
gefertigt haben soll (vgl. u. S. 69 Abb.
81). Sie könnten zur Einweihung des im
5. Jh. v. Chr. fertiggestellten archaischen
Artemistempels dort aufgestellt worden
sein. Vielleicht waren sie sogar als politi-
sches Anathem gedacht, welches nach
Abschluß des sog. Kalliasfriedens (eines
Friedensvertrages zwischen Griechen
und Persern) in das Artemision geweiht
wurde.
Der Mangel an schriftlicher Überliefe-
rung für die archaische Zeit ist ein Grund
dafür, daß bis heute nicht sicher belegt
ist, daß die Amazonen mehr waren als
eine mythologische Erfindung, nämlich
das Gegenteil, die Mythologisierung
eines realen Volkes. In der letzten Zeit
wurde aber mehrmals die Frage gestellt,
ob sich das Volk der Kimmerer in den
mythischen Amazonen widerspiegelt.
Herodot (IV 110 - 117) berichtet, daß
aus der Verbindung der Amazonen mit
den Skythen die Sauromaten entstanden.
Diese wurden manchmal auch Sarmaten
genannt und waren Nachbarn der Sky-
then bzw. Kimmerer im nördlichen
Schwarzmeergebiet. Es ist interessant,
daß auf den Vasenbildern des 6. Jhs.
v. Chr. die Amazonen in thrakischer und
skythischer Tracht erscheinen. Einen
Beleg dafür, daß diese Frauen mehr
waren als mythologische Gestalten und
ihnen damit tatsächlich eine historische
Realität zukommt, haben russische Ar-
chäologen entdeckt. In Südrußland wur-
den wahrscheinlich sarmatische Gräber
aus dem 4. Jh. v. Chr. ausgegraben, in
in denen sich Männer und Frauen mit
Waffen beigesetzt fanden, nämlich mit
Lanzen, Dolchen und Schwertern.
Die Kunst der Nomaden
Aber auch die Entdeckungen der letzten
Jahre im Artemision von Ephesos werfen
ein neues Licht auf die Verbindung Ama-
zonen - Kimmerer. Über das gesamte
28
Areal des Tempels hinweg existieren
Funde in einer Schicht, welche älter als
der archaische Tempel ist. Die überwie-
gend kleinformatigen Skulpturen oder
Reliefs im sog. Tierstil weisen eine Be-
ziehung zur Kunst der Kimmerer und
Skythen - deren Artefakte man archäolo-
gisch nicht voneinander trennen kann -
auf. Schon Hogarth fand Objekte in die-
sem Stil, wie einen Steinbock und einen
Eber aus Elfenbein. 1986 wurde bei der
nördlichen Kultbasis ein weiteres Stein-
bockrelief mit zurückgewendetem Kopf.
ebenfalls aus Elfenbein, gefunden (Abb.
26). Andere Tiere sind eine Ziege und
der Kopf eines Kameles, heute in einer
Privatsammlung. Der Widder mit dem
aufgebundenen Vorderbein (Abb. 27)
zeigt die Charakteristika des Tierstils
nicht so deutlich. An seiner Rückseite
sitzt ein kreuzförmiges Gelenk; dieses
könnte zur Befestigung an einem Pferde-
zierzügel gehören.
Der Tierstil zeichnet sich durch Ab-
straktion und Geometrisierung der gro-
ßen Partien des Tierkörpers, ein unorga-
nisches Aneinanderfügen von anatomi-
schen Teilen und durch eine filigrane
Ausführung der Extremitäten aus. Die
unorganische Verbindung zwischen
einem Pantherkopf und einer Statuette
deutet darauf hin, daß dieses Objekt
ebenfalls der Kunst der Steppenvölker
zuzurechnen ist. Diese Statuette (Abb.
28), die - wie Beifunde zeigen - zwi-
schen 630/20 und 560 v. Chr. entstanden
ist, gibt ein bis heute singuläres Motiv
31
nern an die Göttin handeln. Denn die
spärlichen Nachrichten über die Stifter
zeigen, daß anderswo auch Männer Ob-
jekte stiften, die dem weiblichen Bereich
zugeschrieben werden. So berichtet Hero-
dot (151) z. B., daß Kroisos in Delphi die
Gürtel seiner Frau stiftete.
Nicht vergessen darf man auch die
große Bedeutung der alten weiblichen
Fruchtbarkeitskulte sowie die matrilinea-
ren Strukturen in der Gesellschaftsord-
nung Kleinasiens, die uns Herodot über-
liefert. Für diesen feminin orientierten
Kultbetrieb müssen die Nachrichten über
die kriegerischen Amazonen etwas
Neues und auch Befremdendes gewesen
sein.
Amazonen in Griechenland
Im Athen des 5. Jhs. v. Chr. spielten die
Amazonen unter zwei Gesichtspunkten
eine große Rolle. Einmal benutzte Athen
die Darstellungen des Kampfes von Grie-
chen gegen Amazonen («Amazonoma-
chie»), die in persischer bzw. thrakisch-
skythischer Tracht erschienen, als wich-
tiges Propagandamittel gegen die Perser
(Abb. 25). Man identifizierte die kriege-
rischen Frauen mit den Barbaren, den
Feinden. Dies ist aber nur ein Aspekt der
Darstellung der Amazonen. Der zweite
hatte mit der Einstellung der griechischen
Männer ihren Frauen gegenüber zu tun.
Von der Überzeugung getragen, daß nur
ein intaktes Patriarchat das Fortbestehen
der griechischen Gesellschaft gewährlei-
sten kann, wurden in ganz Griechenland
die Griechen mit dem Hinweis auf den
Amazonenstaat wachgerufen.
Die Amazonen im Spiegel der Kunst
itn Artemision
Zum Artemision von Ephesos aber hatten
die Amazonen eine ganz andere Bezie-
hung: Sie galten - wie oben erwähnt -
nach einigen antiken Quellen als die
Gründerinnen dieses Heiligtums, so nach
Pindar (fr. 174 = Pausanias VII 2,7,) und
Kallimachos (Hymnus 3, 237 - 258 und
266 - 267). Nach Strabon (XIV 1,4) soll
nuch der ephesische Stadtteil Smyrna
°der Samorna nach einer Amazone be-
nannt sein. Pausanias (s. o. S. 29) berich-
teT daß zum Zeitpunkt der Einwande-
rung der griechischen Ionier noch einige
^niazonen um das Artemision gewohnt
haben.
Die Beziehungen dieser Frauen zum
Vrtemision sind aber auch durch Darstel-
lungen vielfältigster Art bezeugt. Auf
dem Simenfries des archaischen Tempels
findet sich die Darstellung einer Ama-
zone ebenso wie im 4. Jh. v. Chr. auf dem
Sockelfries des großen Hofaltares. Diese
zitiert eine Figur aus der Gruppe der gut
bekannten Amazonen, die auf hoch-
berühmte Bronzeoriginale des 5. Jhs.
v. Chr. zurückgehen, uns aber nur in
Marmorkopien der römischen Zeit erhal-
ten sind. Sie werden verbunden mit
einem bei Plinius (n.h. XXXIV 53) in
seinem Buch über Bronzeskulpturen
überlieferten Künstlerwettstreit der Bild-
hauer Phidias, Polyklet, Kresilas, Kydon
und Phradmon, von denen jeder für das
Artemision die Statue einer Amazone an-
gefertigt haben soll (vgl. u. S. 69 Abb.
81). Sie könnten zur Einweihung des im
5. Jh. v. Chr. fertiggestellten archaischen
Artemistempels dort aufgestellt worden
sein. Vielleicht waren sie sogar als politi-
sches Anathem gedacht, welches nach
Abschluß des sog. Kalliasfriedens (eines
Friedensvertrages zwischen Griechen
und Persern) in das Artemision geweiht
wurde.
Der Mangel an schriftlicher Überliefe-
rung für die archaische Zeit ist ein Grund
dafür, daß bis heute nicht sicher belegt
ist, daß die Amazonen mehr waren als
eine mythologische Erfindung, nämlich
das Gegenteil, die Mythologisierung
eines realen Volkes. In der letzten Zeit
wurde aber mehrmals die Frage gestellt,
ob sich das Volk der Kimmerer in den
mythischen Amazonen widerspiegelt.
Herodot (IV 110 - 117) berichtet, daß
aus der Verbindung der Amazonen mit
den Skythen die Sauromaten entstanden.
Diese wurden manchmal auch Sarmaten
genannt und waren Nachbarn der Sky-
then bzw. Kimmerer im nördlichen
Schwarzmeergebiet. Es ist interessant,
daß auf den Vasenbildern des 6. Jhs.
v. Chr. die Amazonen in thrakischer und
skythischer Tracht erscheinen. Einen
Beleg dafür, daß diese Frauen mehr
waren als mythologische Gestalten und
ihnen damit tatsächlich eine historische
Realität zukommt, haben russische Ar-
chäologen entdeckt. In Südrußland wur-
den wahrscheinlich sarmatische Gräber
aus dem 4. Jh. v. Chr. ausgegraben, in
in denen sich Männer und Frauen mit
Waffen beigesetzt fanden, nämlich mit
Lanzen, Dolchen und Schwertern.
Die Kunst der Nomaden
Aber auch die Entdeckungen der letzten
Jahre im Artemision von Ephesos werfen
ein neues Licht auf die Verbindung Ama-
zonen - Kimmerer. Über das gesamte
28
Areal des Tempels hinweg existieren
Funde in einer Schicht, welche älter als
der archaische Tempel ist. Die überwie-
gend kleinformatigen Skulpturen oder
Reliefs im sog. Tierstil weisen eine Be-
ziehung zur Kunst der Kimmerer und
Skythen - deren Artefakte man archäolo-
gisch nicht voneinander trennen kann -
auf. Schon Hogarth fand Objekte in die-
sem Stil, wie einen Steinbock und einen
Eber aus Elfenbein. 1986 wurde bei der
nördlichen Kultbasis ein weiteres Stein-
bockrelief mit zurückgewendetem Kopf.
ebenfalls aus Elfenbein, gefunden (Abb.
26). Andere Tiere sind eine Ziege und
der Kopf eines Kameles, heute in einer
Privatsammlung. Der Widder mit dem
aufgebundenen Vorderbein (Abb. 27)
zeigt die Charakteristika des Tierstils
nicht so deutlich. An seiner Rückseite
sitzt ein kreuzförmiges Gelenk; dieses
könnte zur Befestigung an einem Pferde-
zierzügel gehören.
Der Tierstil zeichnet sich durch Ab-
straktion und Geometrisierung der gro-
ßen Partien des Tierkörpers, ein unorga-
nisches Aneinanderfügen von anatomi-
schen Teilen und durch eine filigrane
Ausführung der Extremitäten aus. Die
unorganische Verbindung zwischen
einem Pantherkopf und einer Statuette
deutet darauf hin, daß dieses Objekt
ebenfalls der Kunst der Steppenvölker
zuzurechnen ist. Diese Statuette (Abb.
28), die - wie Beifunde zeigen - zwi-
schen 630/20 und 560 v. Chr. entstanden
ist, gibt ein bis heute singuläres Motiv