ALICE FRIED
analog dem Gesamtvorgang, der hier die Elemente der Architektur ins Ornamentale
umbog. Der Sinn dieser Verselbständigung, die in der Abtrennung der figurentragenden
Säule vom eigentlichen Pfeilerkörper liegt, ist ein schmückender. Da der Bündelpfeiler
nicht wie ein Pilaster die Möglichkeit bot, ihn mit reliefiertem Ornament zu über-
ziehen, wurde ihm dieses vollplastisch vorgesetzt.
Der Entwurf zum Sebaldusgrab von 1488 zeigt die Aufgabe noch im Sinne der Bau-
plastik gelöst. Die Veränderung, die die Ausführung auch in diesem Detail zeigt, bedeutet
das gleiche wie alle Unterschiede des ausgeführten Werkes gegenüber dem Entwurf.
Der Reichtum der Dekoration soll gesteigert werden, die Klarheit des struktiven
Gesamtaufbaues jedoch gewahrt bleiben.
Die Apostelsäulen sind also vom Pfeiler losgelöste schmückende Form1. Beides wird am
klarsten an ihrer unteren Hälfte, also gerade dort, wo das graphische Vorbild bestimmend
gewesen ist. Eines erklärt sich nun aus dem anderen. Die Entwicklung hatte das Ziel
vorgezeichnet, das graphische Vorbild bot die Möglichkeit, es zu erreichen, und dies um
so eher, als dessen Abstammung noch genügend fühlbar war, um die abermalige Um-
setzung in die plastische Form zu erleichtern.
Hiezu kommt noch etwas. Die Kandelabersäulen in den Fenstern der Certosa haben
eine Funktion innerhalb des architektonischen Gerüstes: sie tragen. Daher die Sorgfalt,
mit der bei jedem neuen Teilstücke die tektonische Sicherheit klargelegt wird. Schon
Relief und Stich halten hieran nur bis zu einem gewissen Grade und letzterer nur in
der unteren Hälfte fest. Die Apostelsäulen des Sebald usgrabes haben aber eine auf das
direkte Gegenteil gerichtete Tendenz. Der Umriß ist so geführt, daß eine Form in die
andere überleitet, die Absätze also nicht betont, sondern verwischt werden. Eine Form
wächst gleichsam aus der andern hervor. Es ist dies, mit den Einzelelementen italienischer
Dekorationsweise ausgeführt, das Prinzip der deutschen spätgotischen Dekoration.
Jedoch nicht mehr bedingungslos, sondern modifiziert durch eben jene italienischen
Einzelelemente, die zu diesem Zwecke hier Anwendung gefunden haben. Denn außer
dem unerschöpflich reich wirkenden Gesamteindruck (der noch erstrebt wird) ist ein
weiteres Merkmal der spätgotischen Dekorationskunst das Verunklären der Struktur,
und eben auf dieser beruht dort die reiche Wirkung, denn die Zahl der verwendeten
Einzelmotive ist gewöhnlich klein. Beim Sebaldusgrab geht nun das Streben dahin, die
erstgenannte Wirkung zu erreichen, jedoch unter tunlichster Vermeidung jeder Un-
klarheit. In den Hochfüllungen Zoan Andreas war nun das Gesuchte enthalten: Reichtum
der Erscheinung, gewonnen durch eine Fülle von Motiven in klarer Gliederung und
logischer Folge.
1 Noch ist das verselbständigte Ornament der tektonischen Form gegenübergestellt. Später (nachdem eine Periode voll
ständigen Italienisierens überwunden war) baut sich die tektonische Form selbst aus dein Ornament auf.
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analog dem Gesamtvorgang, der hier die Elemente der Architektur ins Ornamentale
umbog. Der Sinn dieser Verselbständigung, die in der Abtrennung der figurentragenden
Säule vom eigentlichen Pfeilerkörper liegt, ist ein schmückender. Da der Bündelpfeiler
nicht wie ein Pilaster die Möglichkeit bot, ihn mit reliefiertem Ornament zu über-
ziehen, wurde ihm dieses vollplastisch vorgesetzt.
Der Entwurf zum Sebaldusgrab von 1488 zeigt die Aufgabe noch im Sinne der Bau-
plastik gelöst. Die Veränderung, die die Ausführung auch in diesem Detail zeigt, bedeutet
das gleiche wie alle Unterschiede des ausgeführten Werkes gegenüber dem Entwurf.
Der Reichtum der Dekoration soll gesteigert werden, die Klarheit des struktiven
Gesamtaufbaues jedoch gewahrt bleiben.
Die Apostelsäulen sind also vom Pfeiler losgelöste schmückende Form1. Beides wird am
klarsten an ihrer unteren Hälfte, also gerade dort, wo das graphische Vorbild bestimmend
gewesen ist. Eines erklärt sich nun aus dem anderen. Die Entwicklung hatte das Ziel
vorgezeichnet, das graphische Vorbild bot die Möglichkeit, es zu erreichen, und dies um
so eher, als dessen Abstammung noch genügend fühlbar war, um die abermalige Um-
setzung in die plastische Form zu erleichtern.
Hiezu kommt noch etwas. Die Kandelabersäulen in den Fenstern der Certosa haben
eine Funktion innerhalb des architektonischen Gerüstes: sie tragen. Daher die Sorgfalt,
mit der bei jedem neuen Teilstücke die tektonische Sicherheit klargelegt wird. Schon
Relief und Stich halten hieran nur bis zu einem gewissen Grade und letzterer nur in
der unteren Hälfte fest. Die Apostelsäulen des Sebald usgrabes haben aber eine auf das
direkte Gegenteil gerichtete Tendenz. Der Umriß ist so geführt, daß eine Form in die
andere überleitet, die Absätze also nicht betont, sondern verwischt werden. Eine Form
wächst gleichsam aus der andern hervor. Es ist dies, mit den Einzelelementen italienischer
Dekorationsweise ausgeführt, das Prinzip der deutschen spätgotischen Dekoration.
Jedoch nicht mehr bedingungslos, sondern modifiziert durch eben jene italienischen
Einzelelemente, die zu diesem Zwecke hier Anwendung gefunden haben. Denn außer
dem unerschöpflich reich wirkenden Gesamteindruck (der noch erstrebt wird) ist ein
weiteres Merkmal der spätgotischen Dekorationskunst das Verunklären der Struktur,
und eben auf dieser beruht dort die reiche Wirkung, denn die Zahl der verwendeten
Einzelmotive ist gewöhnlich klein. Beim Sebaldusgrab geht nun das Streben dahin, die
erstgenannte Wirkung zu erreichen, jedoch unter tunlichster Vermeidung jeder Un-
klarheit. In den Hochfüllungen Zoan Andreas war nun das Gesuchte enthalten: Reichtum
der Erscheinung, gewonnen durch eine Fülle von Motiven in klarer Gliederung und
logischer Folge.
1 Noch ist das verselbständigte Ornament der tektonischen Form gegenübergestellt. Später (nachdem eine Periode voll
ständigen Italienisierens überwunden war) baut sich die tektonische Form selbst aus dein Ornament auf.
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