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Bernoulli, Johann Jacob
Römische Ikonographie (Band 1): Die Bildnisse berühmter Römer — Stuttgart, 1882

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https://doi.org/10.11588/diglit.662#0069
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Kritik der Bezeichnung. 57

bindenartigen Tuch umwunden. Zu ihren Füssen wiederum eine
männliche Figur, dies eben die maassgebende mit dem kahlen Scheitel
(Scipio ?), von einem Diener gefolgt, und zwei sich unterredende Diene-
rinnen im Hintergrund. Alles in einer grossen, von Säulen gestützten
und mit Statuen geschmückten Halle. — Visconti deutete das Gemälde
bekanntlich auf die durch Scipio gestörte Hochzeitsfeier des Massi-
nissa und der Sophoniba, Jahn auf den etwas späteren aber tragi-
scheren Moment, wo Sophoniba den ihr von Massinissa gereichten
Giftbecher trinkt, hier ebenfalls in Gegenwart des Scipio.

Aus der uns vorliegenden Ueberlieferung kann diese historische
Beziehung freilich nicht begründet werden; denn Alle, welche über
die Sache berichten, sind, so sehr sie in Einzelheiten von einander
abweichen, darin einstimmig, dass weder Massinissa noch Scipio beim
Tode Sophoniba's zugegen waren. Nach Livius ' ist es ein Diener,
durch welchen der neuvermählte Numidierfürst seiner Gattin heimlich
Gift schickt, als das einzige Mittel sie vor der Gefangenschaft der
Römer zu bewahren. Nach Diodor und Appian2 bringt er es ihr
zwar selber, aber nur um ihr die Notwendigkeit des Todes vorzu-
stellen, nicht um Zuschauer desselben zu sein. Scipio vollends kommt
gar nirgends mit ihr in persönliche Berührung. Indes der Maler
brauchte sich nicht sklavisch an die historische Ueberlieferung zu
halten. Vielleicht lag ihm irgend eine abweichende poetische Bear-
beitung vor, oder er folgte seinem eigenen Gestaltungstrieb, indem er
«durch Vereinigung sämmtlicber Hauptpersonen das Ergreifende der
Situation zu erhöhen suchte».3 Immerhin aber müssen genügende
Gründe vorhanden sein um uns zu veranlassen, in einem historischen
Gemälde, das mit der Historie nicht stimmt, dennoch den vorausge-
setzten Gegenstand zu erkennen. Als solche werden die Aehnlichkeit
der am Fusse des Lagers stehenden Figur mit unsern Scipiobüsten
und der unmöglich anders zu deutende Vorgang bezeichnet. — Vom
Kopf der betreffenden Figur sind nur noch die vorderen zwei Drit-
teile erhalten, und die Stirn ist allerdings kahl. Auch das zur Fettig-
keit neigende Gesicht ist mit dem Scipiotypus unleugbar nahe ver-

Ellenbogen stützen, während sie, wie man freilich auf dem Original jetzt kaum
mehr erkennt, den linken Vorderarm gesenkt hat, mit der Handfläche nach vorn
gekehrt. Heibig hat daher doch wohl recht, dass er die Figur als stehend fasst.
Nur möchte ich ihre Stellung noch dahin präcisieren, dass sie soeben herbei-
geeilt ist, und den Oberkörper vorgebeugt hat, während die Beine noch im Aus-
schritt begriffen sind; daher die geringere Scheitelhöhe des Kopfes.

1 Liv. XXX, 15.

a Diod. XXVII. 10 p. 571 Wess.; App. Pun. VIII, 28.

3 Jahn a. a. 0. p. 8.
 
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