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Beutler, Christian [Bearb.]; Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm [Ill.]
J. H. W. Tischbein - Goethe in der Campagna — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 83: Stuttgart: Reclam, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.65314#0009
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Es müssen verwandte Naturen gewesen sein. Denn
die Freundschaft ist unmittelbar und sehr herzlich. Die
Sehnsucht und Liebe beider zu Italien war darüberhin-
aus ein einigendes Band. Wie Goethe die Ewige Stadt be-
reits aus den vom Vater mitgebrachten Stichen im Eltern-
haus her kannte, so war Tischbein Italien durch die Bil-
der seiner niederländischen Lieblingsmaler vertraut. Als
dieser zum ersten Mal in Rom einfuhr, war es ihm nicht
mehr fremd: „Den Ponte Molle erkannte ich augenblick-
lich, weil ich ihn so oft von verschiedenen Malern gesehen
hatte, von Both, Berchem, Asselyn u. a., und immer be-
kannter wurde mir, je weiter wir kamen, die Gegend.
Die Begierde, Rom selbst zu sehen, stieg nun immer hö-
her. Über die Brücke der Tiber zu fahren setzte mich in
Begeisterung!“
Doch nicht nur die Liebe zu Italien, auch die Liebe
zur Dichtung war beiden gemeinsam. Es sind die glei-
chen Werke, denen Tischbein und der Dichter aus Wei-
mar huldigen, die antike Poesie, allen voran die Gesänge
Homers. Ilias und Odyssee haben den gefühlvollen
Mann im Innersten gerührt. Mit unnachahmlichen Worten
hatte er bereits Jahre vor seinem Zusammentreffen mit
Goethe in Rom, am 29. Juli 1782, diesem seine tiefe Zu-
neigung zu Homer bekannt. „Ich habe das Buch so lieb,
daß wen ich mich nichts Sünde forchtete, der werld
ein Exemplar zu rauben, so wolte ich, wen ich sterbe,
die bitten, welche om mich sind, das sie mir die jllias
auf die Stirne legen und die Odisse auf die Brust, den
ofte hat er mir trenen aus dem Auge gebrest und sind
mir auf die Brust gefallen, daß sie naß Worte, so lange
ich lebe, führe ich ihn bey mir so wie ein Wanderer Brot
in der tasche, der sich auf seinen unbekanden wegen
nicht an allen Orden speise vermuthet.“ So ist es nicht
verwunderlich, daß Goethe in dem Maler einen verstän-
digen, anteilnehmenden Zuhörer fand, als er im Freun-
deskreis seine Iphigenie vorlas, deren Umarbeitung
von der Prosafassung in die Versform ihn in Rom be-
schäftigte. „Die sonderbare, originale Art wie dieser das
Stück ansah und mich über den Zustand in welchem ich
es geschrieben aufklärte, erschreckte mich,“ berichtet

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