AUS GOETHES BRIEFEN
An den Freundeskreis in Weimar, Rom, 1. November 1786
Für mich ist es ein Glück, daß Tischbein ein schönes
Quartier hat, wo er mit noch einigen Malern lebt. Ich
wohne bei ihm und bin in ihre eingerichtete Haushal-
tung mit eingetreten, wodurch ich Ruh und häuslichen
Frieden in einem fremden Land genieße. Die Hausleute
sind ein redliches altes Paar, die alles selbst machen und
für uns wie für Kinder sorgen. Sie waren gestern un-
tröstlich, als ich von der Zwiebelsuppe nicht aß, wollten
gleich eine andere machen usw. Wie wohl mir dies aufs
italienische Wirtshausleben tut, fühlt nur der, der es
versucht hat. Das Haus liegt im Korso, keine dreihun-
dert Schritte von der Porta del Popolo.
An Charlotte von Stein, Rom, 7. November 1786
Rom ist nur ein zu sonderbarer und verwickelter Gegen-
stand, um in kurzer Zeit gesehen zu werden, man braucht
Jahre, um sich recht und mit Ernst umzusehen. Hätte ich
Tischbein nicht, der so lange hier gelebt hat und als ein
herzlicher Freund von mir so lange mit dem Wunsche
hier gelebt hat, mir Rom zu zeigen, so würde ich auch
das weder genießen noch lernen, was mir in der kurzen
Zeit beschert zu sein scheint; und doch sehe ich zum vor-
aus, daß ich wünschen werde anzukommen, wenn ich
weggehe. Was aber das Größte ist und was ich erst hier
fühle, wer mit Ernst sich hier umsieht und Augen hat zu
sehen, muß solid werden, er muß einen Begriff von So-
lidität fassen, der ihm nie so lebendig ward. Mir wenig-
stens ist es so, als wenn ich alle Dinge dieser Welt nie so
richtig geschätzt hätte als hier.
An Johann Gottfried und Karoline Herder
Rom, 10. November 1786
Wenn man so eine Existenz ansieht, die zweitausend
Jahr und drüber alt ist, durch die Wechsel der Zeiten
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An den Freundeskreis in Weimar, Rom, 1. November 1786
Für mich ist es ein Glück, daß Tischbein ein schönes
Quartier hat, wo er mit noch einigen Malern lebt. Ich
wohne bei ihm und bin in ihre eingerichtete Haushal-
tung mit eingetreten, wodurch ich Ruh und häuslichen
Frieden in einem fremden Land genieße. Die Hausleute
sind ein redliches altes Paar, die alles selbst machen und
für uns wie für Kinder sorgen. Sie waren gestern un-
tröstlich, als ich von der Zwiebelsuppe nicht aß, wollten
gleich eine andere machen usw. Wie wohl mir dies aufs
italienische Wirtshausleben tut, fühlt nur der, der es
versucht hat. Das Haus liegt im Korso, keine dreihun-
dert Schritte von der Porta del Popolo.
An Charlotte von Stein, Rom, 7. November 1786
Rom ist nur ein zu sonderbarer und verwickelter Gegen-
stand, um in kurzer Zeit gesehen zu werden, man braucht
Jahre, um sich recht und mit Ernst umzusehen. Hätte ich
Tischbein nicht, der so lange hier gelebt hat und als ein
herzlicher Freund von mir so lange mit dem Wunsche
hier gelebt hat, mir Rom zu zeigen, so würde ich auch
das weder genießen noch lernen, was mir in der kurzen
Zeit beschert zu sein scheint; und doch sehe ich zum vor-
aus, daß ich wünschen werde anzukommen, wenn ich
weggehe. Was aber das Größte ist und was ich erst hier
fühle, wer mit Ernst sich hier umsieht und Augen hat zu
sehen, muß solid werden, er muß einen Begriff von So-
lidität fassen, der ihm nie so lebendig ward. Mir wenig-
stens ist es so, als wenn ich alle Dinge dieser Welt nie so
richtig geschätzt hätte als hier.
An Johann Gottfried und Karoline Herder
Rom, 10. November 1786
Wenn man so eine Existenz ansieht, die zweitausend
Jahr und drüber alt ist, durch die Wechsel der Zeiten
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