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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 4.1869

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.45566#0079
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- -Mi 7 4 <Zo-

AuSführung wie nach Zierlichkeit und Kühnheit der
Wölbung zu dem Schönsten gehören, was die ganze
gothischc Baukunst aufzuweiscn hat. Tas Mittcl-
schloß umgibt mit drei Flügeln nach Westen, Nor-
den und Osten einen weiten, beinahe quadratischen
Platz, dessen offene Südseite von einem Graben be-
grenzt ist. Ter nördliche Flügel, erst in neuester
Zeit vollständig wicderhcrgestcllt, ist durch zahlreiche
Abbildungen bekannt und zeigt eine der schönsten
gothischen Faxadcn, die man kennt. Tas ganze
Miltelschloß enthält eine Reihe von schenswürdigen
Räumen, deren einzelne Aufzählung ohne bildliche
Darstellung unsere Leser nur ermüden würde. Wer sich
für diese herrlichen Denkmale gothischen Zicgclbaucs
näher intcressirt, dem empfiehlt sich das gründliche
WcrkvonA. Witt: „Maricnburg"(Königsbcrg 1854).
Daß die Marienburg erhalten und wiederher-
gestellt worden, ist das Verdienst des Obcrstburg-
grasen Freiherr» v. Schön und des höchstscligcn
Königs Friedrich Wilhelm IV., welcher 1822 als
Kronprinz eine Versammlung von preußischen No-
tablen berief, um sich mit ihnen an der Wiederher-
stellung und Ausschmückung dieses altehrwürdigen
Denkmals deutscher Kunst und Wehrhaftigkeit zu
bethciligcn, welches man nach den Befreiungskriegen
durch die Bemühungen des Freiherr» v. Scho» zu
rcstaurire» begonnen hatte. Nachdem nämlich die
Marienburg, auf welcher Winrich v. Kniprode zu
Ende des 14. Jahrhunderts eine hohe Schule für
die Ritter angelegt hatte, nach vielen Belagerungen
im Jahre 1457 in die Hände der Polen gefallen
und unter wcchselvollen Schicksalen über 300 Jahre
im Besitz derselben verblieben, und bald als Residenz
polnischer Starostcn, bald als Getraidespcichcr benützt,
ja selbst nachdem sic 1772 an Preußen gekommen, noch
gänzlich mißachtet geblieben und ebenfalls als Korn-
magazin gebraucht worden war, hatten endlich zu
Anfang dieses Jahrhunderts verschiedene einflußreiche
und hochgebildete Männer die wunderbare Schönheit
dieses Gebäudes hcrvorgchobcn und deren Restau-
ration und Erhaltung vorgcschlagen; so u. A. der
edle Tichicr Max von Schcnkcndorf. Aber der Druck
der Fremdherrschaft und die Unsicherheit des Besitzes
verhinderte Preußen, dieses Werk in Angriff zu
nehmen, bevor die Ruhe in Europa wieder hcrgc-
stellt war. Tic eigentlichen energischen Arbeiten zur
Restauration geschahen aus Veranlassung des kunst-
sinnigen, für die Romantik dcS Mittelalters be-
geisterten Kronprinzen, erst seit 1824, und haben
ihren Zweck erreicht. Gänzlich ausgcbaut und wicdcr-
hergestellt, mit den herrlichste» Glasgcinälden, Em-
bleme», Wasscnsammlungcn re. bereichert, steht die
Marienburg nun als das prachtvollste Tcnknial
einer ritterlichen fernen Vorzeit da, und ehrt das
Andenken ihres Beschützers und Wiederhcrstcllcrs.

Die Geißelung Christi,
in San Pictro in Montorio zu Rom.
(E. da« Bild auf Ecile Sl.)
In der eben genannten prächtige» Kirche hängt
der berühmten sogenannte» TranSfiguratioii
von Rasacl gegenüber eine Geißelung Ehristi, welche
ihre Entstehung cincr Regung von Eifersucht Michel
Angelo's auf seinen jüngeren und erfolgreicheren
Nebenbuhler Rasacl verdankt. Michel Angelo war
bekanntlich mehr Zeichner als Maler; der Formen-
sinn überwog bei ihm mehr den Farbensinn, obschon
er in Bezug aus titanische Großartigkeit der Erfin-
dungsgabe und Fülle der schöpferischen Phantasie
ganz unerreicht dastcht. Rafaebs Zauber der Farbe
und nnnachnhmliche Anmuth dagegen sind zu bekannt,
als daß wir hierüber noch etwas zu sagen brauch-
ten. Eifersüchtig aus die Erfolge Rnfael's, wollte
der große Florentiner nun ein Gemälde schaffen,
welches durch Energie der Zeichnung und Gluth der
Farbe Alles übertreffen sollte, was Rafael je geschaf-
fen; dcßhalb entwarf er die Zeichnung zu cincr
Geißelung Ehristi, und licß dieselbe durch Sebastian
dcl Piombo, cincn Venezianer aus der Schule Ti-
zian's, malen. Tie glübcndc Farbe del Piombo's
und der großartige Styl Michel Angelo's sollten,
tote dieser wähnte, eine Verschwisternng der höchsten

Leistungen in der Malerei abgebcn, und die Farben-
pracht Tizian's um die erhabenen Gestalten Buona-
rotti's legen. Allein wie sehr auch dieser Versuch
imponirtc, so war er doch nicht ganz gelungen; und
weit entfernt, Rasacl cinzuschüchtcrn oder zu cnt-
muthigcn, war er ihm eher, ein Sporn zu neuen
gewaltigeren Anstrengungen. Ter geniale llrbincr
ließ sich nicht übertreffen, denn da er bald begriff,
daß hinter dem etwas weichlichen dcl Piombo sich
ein mächtigerer und energischerer Genius verbergen
müsse, und da er bald hinter dem zarten Pinsel des
Venezianers die Löwenklaue des Florentiners crrieth,
so machte er sich ebenfalls an heroischere Stoffe und
stellte die Bilder von Sebastiano del Piombo und
Daniel de Voltcrra, welchen Michel Angelo seine
Entwürfe zur Ausführung übergab, in den Schatten.
„Ich bin Michel Angelo sehr dankbar," sagte er,
„daß ein so großer Künstler wie er mich sür würdig
zzchalten hat, mit ihm um den Preis zu ringen."
Suwarow.
Ein Lebensbild von K. Ztlylius.
(Zu dem Bild S. es.)
Suwarow, der Eroberer von Rimnik, Ocza-
kow und Ismail, ist einer der größten Feld-
herren der Neuzeit und gleichsam ein geborener
Krieger, jedenfalls aber der ausgezeichnetste Ge-
neral, welchen die russische Armee jemals besaß,
uud daher bei derselbe» auch iu verdientem
Andenken, wahrend in der allgemeinen Welt-
geschichte seine Bedeutung einigermaßen zurück-
tritt vor den Feldherren der Napoleonischen Zeit,
welche unserem Andenken und Interesse näher
liegen. Allein unter allen Umständen gehört
Suwarow oder Suworow, wie die Russen seinen
Namen schreiben, unter die merkwürdigsten öffent-
lichen Charaktere der neueren Geschichte. Aus
einer ursprünglich schwedischen Familie abstam-
mend, Sohn eines Offiziers, war Peter Alexei
Wassiljewitsch Suwarow am 35. November 1730
in Finnland geboren und schon mit 13 Jahren
in die Stammliste eines Garde-Regiments ein-
getragen, erhielt die gewöhnliche Erziehung eines
Kadetten jener Zeit, verfolgte aber dabei emsig
das Studium der neueren Sprachen, der Ge-
schichte und der Mathematik. Der Ausbruch
des siebenjährigen Krieges fand ihn als Haupt-
manu in einem Linienregiment; er zeichnete sich
in den Schlachten von Zorndorf und Kuners-
dorf durch Tapferkeit und Umsicht aus, ward
1760 zum Major befördert, war 1761 bei der
Erstürmung von Schweidnitz durch Laudon mit
thätig, focht im Dezember desselben Jahres unter
Romanzow vor Kolberg und erstürmte an der
Spitze seines Bataillons eine Hauptschanze. Zur
Belohnung hierfür wurde er zum Obcrstlieute-
uant und Platzmajvr in Königsberg ernannt,
1763 aber nach dem Frieden mit Empfehlungs-
schreiben an die Kaiserin Katharina II. nach
St. Petersburg geschickt, welche den schönen
tapfcrn Offizier zum Obersten des astrachanischen
Garde-Regiments ernannte. Eine Aenßcrung der
Kaiserin, daß Jeder, welcher sein Glück machen
wolle, sich durch irgend etwas anszcichnen müsse,
veranlaßte ihn, forthin den Sonderling zu spie-
len und durch eine Menge der unvermitteltsten
Ucbergänge vom Cvnikcr, Posscnreißcr'uud Halb-
verrückten zum Schmeichler, zum Weisen oder
Stoiker die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Diese Rolle, welche er sich selbst auferlegt, war
ohne Zweifel auch die Veranlassung, daß er
später sich schon nach kurzer Ehe von seiner
jungen Gattin, einer Prinzessin Proscnrowska,
wieder trennte. Beim Ausbruch der polnischen
Revolution iui Jahre 1768 begann für ihn jene

Laufbahn als „Werkzeug einer mordenden mili-
tärischen Despotie" (wie Schlosser sagt), welche
er 31 Jahre lang mit dem entschiedensten Glück
verfolgte. Als Oberst mit einem Truppenkorps
nach Polen gesendet, nahm er Theil an der
Erstürmung von Krakau, verübte eine Reihe
glänzender Waffenthaten, und zeichnete sich durch
ungewöhnliche Energie, Thätigkeit und Umsicht
so aus, daß er 1770 zum Generalmajor ernannt
wurde. Er war der einzige russische Befehls-
haber, welcher in diesem Feldzuge gegen die
tapferen Polen niemals geschlagen worden war.
Mit Ruhm bedeckt kehrte er nach der ersten
Theilung Polens nach Petersburg zurück. Bei
Ausbruch des Türkenkriegs von 1773 ward er
erst im Kaukasus beschäftigt und dann nach dem
Balkan geschickt, um den schwierigen Rückzug der
Russen hinter die Donau zu decken; aber er
war Sieger in Turtukay und bei Hirsvwa ge-
blieben; 1774 befehligte er die zweite Reserve-
Division und siegte bei Korludsche. Im Jahr
1780 zum Generallieutcnant befördert, befehligte
er das Armeekorps, welches gegen die von den
Türken zum Krieg aufgehetztcn Völkerschaften
des Kaukasus ausgeschickt worden war, bezwang
sic, hals die Krimm erobern und ward dafür zum
General der Infanterie und Gouverneur jener
Provinzen befördert. 1787 machte er den Tür-
ken, welche die Krimm wieder erobern wollten,
dieses Land streitig, zeichnete sich bei Kinburn
aus, und vertheidigte das ihm anvcrtraute Ge-
biet mit der zähesten Energie, half im Juni
1787 dem Prinzen von Nassau-Siegen den Ka-
pudan-Pascha und die türkische Flotte in den
Gewässern von Oczakow schlagen, siegte 1788
in Verbindung mit den Ocstcrrcichcrn unter dem
Prinzen von Koburg bei Fockschani und 1789
am Rimnik, und ward dasür in den russischen
und österreichischen Rcichsgrafcnstand erhoben
und mit dem Namen Rimnikski belohnt. Er
war derjenige, welcher für den ehrgeizigen, hin-
terlistigen und undankbaren Potemkin die Schlach-
ten schlug, deren Verdienst sich dieser anmaßte,
und der um die Gunst der Kaiserin und ihres
Günstlings Tausende von Soldaten opferte, um
durch sein wildes Ungestüm und seine unauf-
haltsame Energie den russischen Fahnen den Sieg
zu erfechten. So erstürmte er am 32. Dezember
1789 die Veste Ismail unter furchtbaren Men-
schenopfern, wobei türkischerseits binnen vier Ta-
gen 33,000 Menschen uicdergemetzelt und 10,000
gefangen genommen wurden, und er sich von
der ungeheuren Beute der dreitägigen Plünde-
rung nichts aneigncte, nicht einmal ein Beute-
pferd, und allen Ruhm dieser Waffenthat in
serviler Schmeichelei seiner Kaiserin und ihrem
Günstling Potemkin zu Füßen legte. Nach dem
Fricdcnsschluß wurde Suwarow Gouverneur der
eroberten Provinzen und blieb mehrere Jahre
in Cherson, wo er sein Hauptaugcumeik aus
Errichtung einer guten Küstcnvertheidigung rich-
tete. Als 1794 der Krieg gegen Polen aus-
brach, erhielt er den Oberbefehl über die rus-
sische Armee, beendigte in drilthalb Monaten
diesen erbitterte» Krieg durch Gcfangcunehmung
Kosziusko's, durch die Erstürmuug von Praga
und die Besetzung von Warschau, und wußte
durch ein leutseliges Benehmen die Polen für
sich cinzuuehmeu. Zur Belohnung für diese
guten Dienste ward er Fcldmarschall. Katha-
rina II. blieb ihm bis zu ihrem Tode (17. No-
vember 1796) sehr gewogen, und gestattete ihm
nach dem Frieden gerne, daß er sich ans sein
Landgut Kautschausk im Gouvernement Nowgo-
rod zurückzog und im Kreise seiner Familie nud
 
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