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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 4.1869

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Heft 13
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https://doi.org/10.11588/diglit.45566#0388
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-o 388 o-

den Herzen in den Wagen. Neben ihr »ranzte
im neuen Turban Madame Mutter. Stolzer
war vielleicht die Herzogin von Kent nicht, als
sie neben ihrer Tochter der jungfräulichen Königin
am Krönungstage durch die Straßm von Lon-
don fuhr.
Im Gefühle ihrer Schönheit trat Laura in
den Saal, neben ihr stand siegesgewiß Madame
Kragen. Aus dem Nebensaale erschienen die
tanzenden Herren, in schwarzem Frack und in
blitzender Uniform, um auf die jungen Damen
zuzueilcn, welche mit Ungeduld ihrer geharrt
hatten.
Laura blickte vergnügt um sich, und siche,
der Fähnrich von Poißclt stürzte auf Donna Laura
zu, verbeugte sich tief, und bat um den ersten
Walzer. Er wurde ihm huldvoll zugesagt, der
Fähnrich verbeugte sich abermals und wandte
sich dann zu anderen Damen. Dem kleinen
Fähnrich folgte der riesenhafte Auditor, dem
Juristen der Adjutant, und diesem wieder die
Lieutenant Streiter, v. Glattwitz, Reuter und
Hallendorf, der blonde Ulrice und der brünette
Märtens, sogar Graf Ruthiger, der älteste Ober-
lieutenant ; und jeder dieser Herren bat in seiner
angenehmsten Weise: „Mein Fräulein, darf ich
um den ersten Walzer bitten," und Jeder erhielt
die Antwort: „bcdaure sehr, ich bin schon cngagirt,"
worauf Lieutenants, Adjutant und Auditor ihrer-
seits bedauerten, ja sogar unendlich, daß sie
bereits für alle anderen Tänze schon gebunden
seien. Der Auditor versicherte sogar auf seine
Ehre, daß er große Lust spüre, den glücklichen
Fähnrich auf Degen oder Pistolen zu fordern;
dann verschwand auch er.
Laura wußte nicht, was für ein Gesicht sie
jetzt der Gesellschaft zeigen sollte. Obgleich noch
unerfahren und eben nicht mit glänzenden GeisteS-
gaben gesegnet, schien ihr doch dies Benehmen
der Offiziere allzu wunderlich. Sic empfand
plötzlich große Lnst mit dem Fähnrich gar nicht
zu tanzen und heimzufahren. Ob Stenzner sic
dann vermisse, galt ihr gleich. Jetzt nahte sich
ihr der, den das Loos getroffen hatte, der kleine
Fähnrich. Laura gab ihm mechanisch ihre runde
Hand. Mechanisch wirbelte sie im Saale herum
und war froh, wie sic neben ihrer Mutter saß,
welcher sie mit fliegenden Worten ihre Erleb-
nisse in das Ohr rannte.
„Unmöglich!" flüsterte Madame Kragen, „das
wäre ja schändlich!"
„Laß uns fort von hier, Mama, ich will
heim!" bat Laura.
„Aber Stenzner ist mit Dir engagirt und
cs werden noch andere Herren kommen, die mit
Dir tanzen möchten," tröstete Madame Kragen.
„Ich bitte Dich, liebste Mutter, ich fange
an zu weinen, ich —"
Thränen erstickten Laura's Stimme. Was
blieb ihrer Mutter anders übrig, als den Wunsch
der Tochter zu erfüllen.
Während die Paare im Saale herum wir-
belten, nach den berauschenden Klängen eines
Straußischen Walzers, schlüpften Madame Kra-
gen nebst Tochter aus dem Saale. Als sie sich
in der Garderobe die Mäntel umhängcn ließen,
hörten sie den vorübergehenden Auditor zu einem
andern Herrn sagen: „auf Ehre, es war Geld
werth, die große, dicke Kragen mit unserem
kleinen Fähnrich tanzen zu sehen."
Ans der Treppe vernahmen die Damen noch
eine Bemerkung, welche zwei ältere Männer mit
einander auslauschten. Ter Oberbürgermeister
sagte: „Wie mag nur der sonst vernünftige
Mann, Kragen, seine süllrciche Tochter auf den

Ball gehen lassen, begreifen Sie das, lieber
Doktor?" Worauf Doktor Haller entgegnete:
„Elternliebe macht blind. Uebrigens ist das
Mädchen brav und sieht im dunkelsarbigcn Haus-
kleide gar nicht übel aus."
Am Tage nach dem Balle wurde Familien-
rath gehalten, Laura wollte nicht in einer Stadt
bleiben, wo sie so Schreckliches erlebt hatte, die
tückischen Ungeheuer von Offizieren nicht vor
ihrer Eltern Hause vorbeigehen sehen. Es wurde
beschlossen, Laura auf einige Zeit zu einer Tante
in die Residenz zu schicken, bis Blüthenglanz
und frisches Grün in der Natur den Kerzenglanz
und die künstlichen Ballblumen in Vergessenheit
gebracht hätten.
Laura reiste ab, vorher sagte sie dem guten
Stenzner, welcher sie nie verspottet hatte, son-
dern ihr aufrichtig ergeben war, ein herzliches
Lebewohl.
Zwei Monate später verließ Stenzner das
Kragen'sche Haus, und es war jetzt recht still in
demselben, da auch der jüngste Sohn fort kam,
nach Tharandt aus die Forstakademie.
Jetzt erst erkannte Herr Kragen klar, wie viel
Stenzner durch Umsicht und Thäligkeit dem
Geschäft genützt hatte. Er sprach dies auch
zuweilen gegen Madame Junge aus, welche nicht
verfehlte, es ihrem Schützlinge brieflich wieder
zu erzählen.
Laura hatte vier Monate bei der Tante
verweilen sollen, aber die gute Dame erkrankte,
und die Nichte hielt es für Pflicht, bei ihr
zu bleiben und die geliebte Verwandte zu
pflegen.
Bei dieser Gelegenheit entwickelte Laura alle
ihre liebenswürdigen Eigenschaften, und das
Nachtwachen schadete ihr ebenfalls nicht, sie wurde
etwas schlanker. Der Oheim, ein vielseitig ge-
bildeter Mann, beschäftigte sich eifrig mit der
Ausbildung seiner Nichte. Er sorgte dafür, daß
sie einen guten Musiklehrer erhielt, der ihren
runden Fingern nicht zumuthcte, eine schwierige
aber undankbare Komposition einzuüben, sie lernte
den richtigen Anschlag und bildete durch Wahl
guter Musikstücke ihren Geschmack Als Laura
nach Jahresfrist zu ihren Eltern heimkehrte, fand
Jeder, der sie sah und sprach, daß sie zwar kein
schönes, aber ein liebenswürdiges Mädchen ge-
worden war. Sie kleidete sich paffend und blieb
den Bällsälen fern, nahm aber an musikalischen
Kränzchen Theil, ihr Klavierspiel, ihre hübsche,
gut geschulte Altstimme, machten sie bald zu
einem der nützlichsten Mitglieder, ihre Bescheiden-
heit zum Lieblinge des Direktors.
„Ich wollte, einer meiner Söhne würde
Kaufmann," sprach eines Tages Herr Kragen
und seufzte. „Mein Geschäft, das sich jetzt recht
vergrößern ließe, braucht eine frische Arbeits-
kraft."
„Sehen Sie sich nach einem Schwiegersöhne
um, lieber Kragen," sagte lächelnd Madame
Junge.
„Hm, das ist leichter gesagt, als gethan.
Ich wünsche für meine herzensgute Laura einen
Mann von gediegenem Kharakter, welcher sie
wirklich liebt, und für mich einen Mitarbeiter,
der mit der Zeit vorwärts geht, ohne das gute
Alte zu verwerfen, nemlich ohne Alles besser
wissen zu wollen."
„Da wäre so mein Florentin der rechte
Mann," sagte die treue Hausfreundin.
„Gewiß, wenn er nemlich Laura nicht ver-
gessen hätte und wenn —"
„Wenn Laura ihn gern hätte, o, das be-
zweifle ich nicht!"

„Das wollte ich nicht sagen; etwas Ver-
mögen wünsche ich doch an dem Manne zu er-
halten, welcher mein Kompagnon und meiner
Tochter Mann zu werden gedenkt."
„Sehr natürlich. Reich bin ich nicht, aber
Florentin wird dereinst mein Erbe. Gespart
habe ich seit Jähren sür ihn und zehntausend
Thaler zahle ich sür ihn in Ihr Geschäft, wenn
aus meinem Florentin und Ihrer guten Laura
ein Paar wird."
Wahrscheinlich mußte Herrn Kragens Antwort
der Madame Junge sehr wohl gefallen haben,
sie stand aus und reichte dem alten Freunde mir
feuchten Augen die Hand.
Vier Wochen später erhielt die Handclswclt
gedruckte Briefe mit der Unterschrift:
L. A. Kragen pnd F. Stenzner,
und als abermals vier Wochen verstrichen waren,
trat Laura mit Stenzner zum Altar. Sie trug
bei dieser feierlichen Handlung, zum stillen
Schrecken ihrer Jugendfreundinnen, nicht die
übliche weiße Robe, aber ein violettes Ge
wand von schwerem Seidenstoff und der frische
Myrtenkranz in dem blonden Haar, machten
Laura zu einer recht angenehm ausschenden
Braut.
Acht Tage vor der Hochzeit äußerte Madame
Kragen: „Sollten wir nicht einen Hochzeitsball
geben, mit der Braut wird doch —"
„Jeder Gast tanzen, liebe Maua," fiel Laura
lachend ein. „Ich danke für solche Pflicht- und
Höflichkeitstänze."
Laura und Stenzner wurden ein glückliches
Paar, an dem Madame Junge ihre herzinnige
Freude hatte.
Als Frau Stenzner tanzte Laura mehr,
denn als Fräulein Kragen, a-er daheim mit
ihren Kindern. Ihre Stimme wurde immer
voller und schöner, dcßhalb besrchte sie auch als
Frau noch immer das musikalische Kränzchen
und sang sogar mit dem Anditor zu Zeilen
Duette. Sie hatte diesem Herrn den malitiösen
Streich längst verziehen, denn ohne jenen Ball,
wo die Offiziere sie so schmihlich sitzen l-eßen,
hätte Laura vielleicht nicmols ihre guten An-
lagen ausgebildet und des treuen Stenzners
aufrichtige Zuneigung würdizen gelernt.


Auflösung folg! im erstcnHcfl des Jahrgang» IS70.

Auflösung des Bilder-ILthscls im zwölften heft:
Eifersucht macht blind.

! Nedliction, Druck II. Belag v. Hermann Schöalcin.

HWU
 
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