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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 4.1869

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Heft 13
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https://doi.org/10.11588/diglit.45566#0387
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—387

dcutige Weise zu verstehen, daß er mit seinen
Nachbarn keinen Umgang haben wolle. Gesell-
schaften besuchte er nie. Seine Buchhalter, Kas-
sierer, Gehülsen, zehn an der Zahl, waren, gelind
gesagt, Menschen von schlechtestem Ton, sie tanzten
nicht mit Fräulein Kragen, da sie sämmtlich nicht
nöthig hatten, auf die Familie Kragen Rücksicht
zu nehmen. Mit dem anderen Nachbar, dem
Hotclwirth, standen Laura's Eltern im nachbar-
lichen Verkehr, Auguste Thalsilber besuchte Laura
und diese ging ost zu Thalsilbcrs.
Die unvcrheiralhcten Offiziere speisten täglich
im Thalsilber'schcn Hotel, und wenn zusällig
die Damen Kragen an der Thür ihres Hauses
oder am Fenster standen, hielten die Kriegs-
männer cs für Pflicht der Höflichkeit, Dame
Kragen und Donna Laura respektvoll zu grüßen.
Madame Kragen hielt cs für paffend, in diesen
jungen Herren, weil sie täglich in den goldenen
Mond gingen, Nachbarn zu sehen. Ihr Plan
ward entwerfen, durchdacht, ihrem Gemahl mit-
getheilt. Herr Kragen billigte es nicht nur, er
fand ihn vcrtrefflich. Als Laura davon hörte,
fiel sie entzückt ihrer Mutter um den Hals, Herr
Stenzner, der natürlich auch darüber Kunde er-
hielt, seufzte beweglich, Madame Junge lächelte
fein und daäte: „Narrheit!"
Am Chrisabende, nach dem Mittagsmahle,
saßen die jüngeren Offiziere noch bei ihrem Kaffee
und plaudcrtcr über Dieses und Jenes, einige
von den älteren Herren hatten sich zum Schach-
spiel oder Zeitingslcscn hingesetzt.
propo^" sagte Lieutenant Streiter, „Herr
Thalsilber ich bmmc morgen nicht zum Speisen,
ich hoffe, Mamme Thalsilber wird mir mein
Stück Weihnaotsgebäck ausheben, ich bin zu
Ihrem Nachbar dem Kaufmann Kragen, zum
Speisen geladen"
„Du, Streier?" bemerkte Lieutenant von
Glattwitz, das ist ja schön, ich habe eben-
falls eine Eiriadung erhalten und werde
mich bester untrhalten, wenn ich Dich in
einem Hause aureffe, wo ich noch ziemlich
fremd bin."
„Ich bin cbenalls eingeladen," riefen gleich-
zeitig die Lieutenmts von Reuter und Ulrici,
der Adjutant Mätens und Baron von Hallen-
dorf, welcher berciti aggregirter Hauptmann war,
auch der baumlaigc Auditor und der kleine
Fähnrich von Poißlt erklärten, sie gingen zu
Kragens, wo cs sicerlich an guten Weinen nicht
fehlen würde. Judin die Offiziere ihre Bemer-
kungen über diese „erwartete Einladung unter
einander anstauschtn, fiel wie eine geplatzte
Bombe das schallene Gelächter des Hauptmann
v. Ruhberg in die Unerhaltung der jungen Vater-
landsvcrtkeidigcr.
„Es ist gut, cs st gut!" schrie der Haupt-
mann, nach kirschrothvom Lachen, „o ihr un-
schuldigen Lämmer, d? ihr schon an Fasan und
Nehrücken, an italieischcn Salat und Cham-
pagner denkt, vielleict gar an Eröffnung einer
stillen Anleihe bei E.A. Kragens Kaffe, merkt
Ihr denn nicht, daßnn Attentat auf euch be-
absichtigt wird?"
„Ein Attentat? yolle icköa, man eher
oapitnine," sagte erstant der Baron Hallendors,
welcher nicht schnell va Begriffen war.
„Tanzen sollen Sie meine-Herren, tanzen
ans dem Balle, wclcheram zweiten Festtage im
Kasino stattfindet, mit de pompösen Donna Laura
Kragen," antwortete de Hauptmann und lachte
auj's Nene.
„Verflucht, ich glabe, Sie haben Recht,
Herr Hauptmann," riejder Adjutant, welcher

ein graziöser Tänzer und sehr schöner Mann
war. Aber ehe ich mit dieser dicken Person
tanze —
„Halt, Freund, mir kommt ein guter Ge-
danke," sprach der Auditor.
„Hört, hört!" bat Streiter, „der Auditor
ist Jurist und hat als solcher die Verpflichtung,
im Nothfall Kniffe, wollte sagen Witz, für das
ganze Regiment zu haben. Er wird uns schon
sagen wie wir, ohne unhöflich zu sein, unsere
Füße, aus der Schlinge ziehen können."
Und die lustigen Offiziere rückten zusammen
und flüsterten.
Was die Herren mit einander gesprochen
haben, erfuhr niemals eine sterbliche Seele. Nur
der kleine Kellner erinnerte sich später, daß er
einmal am Christabend dem Auditor des ersten
Infanterieregimentes Papier und eine Scheere
gebracht habe, und daß er gesehen habe, wie
der Fähnrich das längste Papier aus einem
Hute herausgczogen und darauf einen zwanzig-
silbigen Fluch ausgestoßen habe.
Am Abende, vor der Beschecrung im Kragen-
schcn Hause, kam Florentin Stenzcr, wie er jedes
Jahr zu thun pflegte, zu seiner mütterlichen
Freundin, Madame Junge, aus ein Plauder-
stündchen.
„Bauer und Weilbach, nemlich Herr Weil-
bach selbst, der gestern hier durchreiste, bot mir
eine Stelle in seinem Hause," sagte Stenzner.
„Ich bekomme fast noch einmal so viel, und bin
als mittelloser Mann mir selbst schuldig, dieses
Anerbieten nicht abzulchnen. Ich habe bereits
mit Herrn Kragen darüber gesprochen, am ersten
März gehe ich fort von hier."
„Das ist Recht, Florentin, ein junger Mann
muß nicht immer in einer Stadt bleiben. Es
ist aber Thorheit von Dir, mein lieber Junge,
mich täuschen zu wollen, Du bist nicht der Mann,
den nur der höhere Gehalt zu locken vermag.
Du willst fort, um Dir Laura aus dem Sinne
zu schlagen. Vielleicht handelst Du klug, wenn
Du sie aufgiebst. Laura ist herzensgut, häus-
lich, bei ihrer Jugend würde sie, vernünftig
geleitet, eine vortreffliche Frau —"
„Gewiß, o gewiß, liebe Tante!"
„Aber ihre Eltern, besonders die Mutter,
pflanzen die thörichste Eitelkeit in das Gemüth
des siebzehnjährigen Mädchens. Wenn Laura
nicht in sich geht, ist sie meines braven Floren-
tins gar nicht werth," fuhr Madame Junge
fort.
„Es wird auch seit einiger Zeit viel mehr
ausgegeben, als sich mit der Klugheit vertrügt,"
sagte Stenzner. „Tie zwei Brüder Laura's sind
noch zu erziehen, Heinrich braucht etwas viel
auf der Universität, Otto wird nie ein tüchtiger
Kaufmann, Herr Kragen wäre weise, wenn er
dem Sohn den Willen ließe, er gäbe einen
wackern Forstmann. Die kleine Cäcilie ist schwach,
sic soll im nächsten Sommer in ein Bad. Das
Vermögen ist doch nicht so groß, daß es aus-
reicht, um die prachtvollen Balltoiletten und
die Diners zu bestreiten. Zu dem morgenden
sind Straßburger Pasteten verschrieben, ein
Koch engagirt und ein neues Tafelscrvice für
vierhundert Thaler angeschafft worden, und
warum?"
„Ja, warum? Damit Laura den Triumph
feiert, mit Lieutenants zu tanzen!" sagte Madame
Junge. „Kragen's werden sehen, was sie daran
haben. Du aber, mein guter Florentin, kannst
nichts besseres thun, als Dich von einer Familie
zu trennen, die nicht einsieht, was ein Mann
wie Du werth ist."

„Lima ist noch so jung, ihr Herz ist unver-
dorben Tante."
„Das weiß ich, ich will sie schon im Auge
behalten, verlasse Dich darauf. Frau Lieute-
nantin wird sie nicht, dazu ist Kragen zu klng,
denn — nimm's nicht übel, aber ich glaube,
ein reicher Offizier wind sich nicht um Laura
bewerben."
So sprachen die Beiden noch eine Weile mit
einander fort, bis Stenzner sich daran erinnerte,
daß Tante Junge Ruhe bedürfe.
Das splendite Mittagsmahl war längst vor-
über, die Gäste hatten das Kragcn'sche Haus
verlassen. Mutter und Tochter schwatzten noch
vergnügt von den angenehmen, unterhaltenden
Stunden, welche sic soeben durchlebt hatte«.
Einige Freundinnen waren zum Besuch gekom-
men, der Weihnachtsabend wurde von jeder
geschildert, Laura zeigte das neue kostbare
Ballkleid von scharlachsarbenem Atlas, mit
Ueberkleid von Flor, das mit Rosen ausgenom-
men war.
„Der morgende Ball wird herrlich sein!"
rief vergnügt die hübsche Helene, „ich habe schon
alle Touren vergeben, den Cotillon tanze ich mit
Baron Hausen, er hat die neuesten Touren von
den Kofbällen mitgebracht.
„Ich tanze ihn mit Doktor Petersen, er tanzt
wie ein Gott. Mit wem bist Du engagirt,
liebe Laura?" sagte Emma Hayn.
Diese Frage war boshaft, denn Emma, eine
viel umworbene Tänzerin, hatte bereits zweimal
gesehen, wie wenig Glück die gute Laura auf
Bällen machte.
„Himmel! Das habe ich vergessen!" rief Fräu-
lein Kragen mit gut gespielter Zerstreuung. „Ich
bin von Streiter und Glattwitz, von Poißelt,
Ulrici, von Märtens und dem Auditor, ich glaube
sogar auch von Reuter um Tänze gebeten wor-
den, aber ich weiß nicht mehr, welchen Tanz
ein Jeder hat. Zwei Touren hat sich Herr
Stenzner ausgebeten, der empfindliche Mann
denkt gleich ich bin hochmirthig, wenn ich nicht
mit ihm tanze!"
Helene und Emma tauschten Blicke aus, Ma-
dame Kragen, welche diesen Blickwechsel bemerkt
hatte, sagte spitz: „Ich hoffe, Du wirst keine
Konfussion machen, Laura, damit der Ball uns
nicht verdorben wird."
„Und.daß es kein Duell gibt, denn Offiziere
haben immer gleich die Hand an der Waffe,"
warf Helene lächelnd ein.
Als Mutter und Tochter sich wieder unter
vier Augen befanden, sagte die erstere: „Aber,
Laura, hast Du die Tänze wirklich vergessen,
oder war Deine Rede nur eine kleine erlaubte
Prahlerei?"
„Ich weiß ja nicht, Mama, für welche Tänze
ich engagirt bin," entgegnete Laura, „jeder der
Herren sagte ja nur, als er sich von mir em-
pfahl, ich hoffe, morgen auf dem Balle die Ehre
zu haben, einen Tanz von Ihnen zu erhalten,
Fräulein Kragen."
„Ah so, dann bin ich zufrieden, mein Kind,
und ich kann wegen Deines morgenden Auftre-
tens ruhig schlafen!" sagte Madame Kragen und
schenkte sich vergnügt die Tasse zum Drittcnmale
voll Thce.
Der große Abend dämmerte herein. Obgleich
der Ball erst um acht Uhr seinen Anfang hatte,
saß Laura doch schon um vier Uhr auf ihrem
Tabouret und ließ sich ihr scmmclsarbencs Haar
in seine Flechten legen. Um sechs Uhr strahlte
sie gleich einer orientalischen Mohrblume, um
acht Uhr stieg sie mit einem vor Freude pochen-
 
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