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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 6.1871

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.44265#0050
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lag, daß die deutsche Nalür und deutsche Sprache
zum Hohn und Spott geworden war und sich
Hoch uno Niedrig in elender Nachäfferei vor dem
frivolen Franzosenthum beugte, das in Sprache,
Kunst, Wissenschaft, Sitte und Mode mit der Zeit
nicht bloß bedeutenden Einfluß auf die Fürsten,
sondern auch aus die Gesammtheit des Volkes
gewann. Bis zur Schlacht bei Roßbach lag der
deutsche Geist in diesen Fesseln und Banden, wo
er erst durch den großen Friedrich wieder in neuer
Glorie aufging.
Die ferneren Regierungsjahre Ferdinands III.
waren durch Billigkeit und Klugheit bezeichnet.
Er ordnete noch zahllose Wirren und regelte das
Reichskammergericht und den Reichshofra'th, wel-
cher letztere die competente Behörde für Ertheilung
der wenigen Privilegien war, die dem Reichsober-
haupte noch geblieben waren. Auch setzte er wich-
tige Veränderuugen in der Justizverfassung durch.
Er starb am 2. April 1657, längst schon kränk-
lich, vor Schreck, weil in seinem Schlafzimmer
Feuer ausgebrocheu war.

Nichts ist so fein gesponnen.
Eine Familiengeschichte
von
K. Zastrow.
Es war ein prächtiger Juli-Abend. Die er-
stickende Hitze, welche den Tag über Mensch und
Thier in die kühlsten Räume ihrer Wohnungen
und Höhlen zurückgescheucht hatte, war durch einen
heftigen Platzregen in wohlthuende Kühle ver-
wandelt worden. Neben den hohen, schlanken
Tannen des Forstes, welcher bis hart an den
Bahndamm vorsprang, zuckte von Zeit zn Zeit
Helles Wetterleuchten, während das blanke Zink-
dach des Stationsgebäudes im letzten rosigen
Schimmer der schwindenden Abendröthe glänzte.
In dem kleinen Garten, welcher sich vor dem Hause
ausdehnte und der nur durch einen niederen
Stacketcnzaun von dem Walde getrennt war, saß der
Stationsvorsteher Hillmann und las eifrig in der
Gerichtszeitung, die er einen Tag um den andern
aus der nächsten Kreisstadt bezog. Der Zug war
vor einer halben Stunde eingelausen und somit
war für heute der Dienst beendet. Zwar stand
noch der Schnellzug zn erwarten, der gleich nach
Mitternacht heranzubransen Pflegte. Derselbe
ging indeß ohne Aufenthalt weiter und der Bahn-
wächter Stein war für die kleine Funktion, ihn
vorüberjagen zu sehen und das vorgeschriebenc
Honneur zn machen, vollkommen ausreichend.
Der Stationsvorsteher hatte seine Lektüre zum
größten Theile beendet. Er war eben dabei, sich
eine Cigarre anzubrennen, um den langweiligen
Jnseratentheil mit größerer Behaglichkeit zu ver-
dauen, als seine Tochter Margarethe, ein blühend
schönes Mädchen von sechszehn Jahren durch die
Pforte in den Garten trat und sich mit schnellen
Schritten der Bank näherte, auf welcher er Platz
genommen hatte.
„Väterchen," begann sie eifrig, „drinnen ist
ein junger Mann, welcher sich Otto Werder nennt
und sich Dir vorstellen will. Er sagt, er käme
als Supernumerar und Hütte ein Schreiben von
der Direktion."
„Ah, der neue Civil-Supernumerar," murmelte
Hillmann, „laß ihn hereinkommen, Gretchen!"
Er legte die Zeitung zusammen und erhob sich,
um dein Ankömmling in tpürdiger Weise entgegen-
zutreten, während Gretchen sich in das Haus zurück
begab.
Nach einigen Minuten trat ein schlankgebauter,
ein wenig blasser junger Mann in den Garten.
Er mochte ungefähr 19 Jahre zählen. Die etwas
tief liegenden Augen, die leicht vorspringende Stirn,
der ein Wenig nach vorn gebeugte Oberkörper,

verriethcn beinahe einen jener schwächlichen jugend-
lichen Greise, die die schönste Zeit ihres Lebens
über Grammatiken und Ncchenexempeln verträumt
haben.
„Herr Stationsvorsteher," begann der Jüng-
ling mit einer ziemlich unbeholfenen Verbeugung,
„ich bin der Civil-Supernumerar Werder aus
Waldenburg und soll mich ausweislich dieses
Schreibens bei Ihnen zum Dienstantritt melden."
„Schön, schön!" rief Hillmann, das Schreiben
in die Hand nehmend und einen flüchtigen Blick
auf den Inhalt und die Unterschrift werfend;
„sind mit dem letzten Zuge eingctroffen, nicht?"
„Ja wohl, Herr Stationsvorsteher!" erwiederte
der junge Mann, „ich war erst nach dem Dorfe
hinunter gegangen, um mir ein Quartier zu suchen.
Nachdem kam ich sogleich hierher!"
„So — so?" murmelte der Stationsvorsteher
und sein großes braunes Auge nahm einen ernsteren
Ausdruck an, während cs sinnend an der vor ihm
stehenden Gestalt niederglitt; „Hütte Ihnen in
dieser Beziehung einen Rath geben können, wären
Sie zuerst bei mir eingetreten. Wo logiren Sie
denn?"
„Ich habe vorläufig im Gasthof zum weißen
Roß ein Zimmer gemiethet," erwiederte Werder
nicht ohne leichte Verlegenheit.
„In dem theuren Gasthofe können Sie nicht
bleiben. Sie wissen doch, daß Sie drei Jahre
lang unentgeltlich arbeiten müssen?"
„Gewiß, Herr Stationsvorsteher. Auch würde
ich jede Gelegenheit, die sich mir darböte, etwas
zu ersparen, mit Freuden begrüßen."
Die Züge des Beamten wurden ein wenig
freundlicher. „Sehen Sie," nahm er langsam das
Wort, „da ist hier unser Stationsassistent Liers,
der hat ein kleines, freundlich möblirtes Stübchen
übrig und sehnt sich schon lange nach einer Ge-
legenheit, es vermiethen zu können. Das wäre
Etwas für Sie. Nicht mehr als drei Thaler Hütten
Sie an monatlicher Miethe zu zahlen und essen
könnten Sie ja auch in der Familie. Sie wohnten
dann mit uns zusammen im Stationsgebäude und
hätten nicht nöthig, alle Morgen den weiten Weg
vom Dorfe bis hierher zu machen, was im Som-
mer zwar gar nicht übel ist, im Winter jedoch
zu einer grausamen Plage werden kann."
„Ich bin Ihnen für Ihren gütigen Vorschlag
sehr dankbar, Herr Stationsvorsteher," erwiederte
der junge Mann, „und wenn Sie nichts dagegen
einzuwenden haben, möchte ich sogleich mit dem
Herrn Liers sprechen, die Sache in Ordnung
bringen und mein Gepäck hierher schaffen lassen."
Der Angeredetc nickte. „Thun Sie das!" ver-
setzte er freundlich, „und finden Sie sich morgen
früh prücise 7 Uhr im Stationsbureau ein. Um
diese Zeit beginnt der Dienst. Die Dienststunden
sind von 7 bis 12 und von 2 bis 7, also zehn
Stunden täglich, und die pünktliche Einhaltung
derselben ist das Erste, was ich Von den Beamten
der Station verlange."
„Sic sollen sich über nichts zu beklagen haben,
Herr Stationsvorsteher!" rief Werder lebhaft.
„Gut, ich hoffe es!" sagte Hillmann mit wohl-
wollendem Kopfnicken, dem jungen Manne die
Hand reichend.
Dieser verließ den Garten und begab sich in
das Haus, in dessen erster Etage der Stations-
assistent Liers mit seiner Familie wohnte. Er traf
den Beamten beim Abendessen, das aus einer
Schüssel mit saurer Milch, Brod und Butter be-
stand. Beim Eintritt des jungen Mannes erhob
er sich und Werder konnte sich eines leichten
Schreckens nicht erwehren, als er zu der dünnen,
aber mächtig hohen Gestalt emporsah, die ihn um
zwei volle Kopslüugen überragte.
„Also Sie sind der neue Supernumerarius?"
fuhr er den schüchtern vor ihm Stehenden in gur-
gelndem Baßtaue an, „und wollen sich hier bei
uns für die Eisenbahn-Carriere ausbildeu?"

Werder bejahte die Frage und gab dünn iü
verlegen klingendem Tone zu verstehen, daß ihm
daran gelegen sei, das Zimmer, welches der
Herr Stationsassistent zu vermiethen habe, zn er-
halten.
„Ja wohl, ja wohl!" rief Liers, indem er sich
mit der Rechten den langen schwarzen Bart strich,
welcher in üppigen Büschen an den beiden Seiten
des Kinnes niederhing, „das Zimmer bekommen
Sie, das ist keine Frage! was ich sagen wollte,
haben Sie sich schon dein Herrn Inspektor vorae-
stellt?"
„Ich komme soeben von ihm her. Er ist unten
im Garten."
„So! sagen Sie doch, wie gefällt Ihnen
eigentlich der Herr Stationsvorsteher?" fragte
Liers weiter, dessen Züge einen lauernden Ausdruck
angenommen hatten.
„Er scheint ein recht vernünftiger gutherziger
Mann zu fein, meinen Sie nicht auch?" gab der
Supernumerar zurück.
Das martialische Antlitz des Assistenten verzog
sich zu einem ironischen Lächeln. „Da können Sie
wohl recht hsben. Na, ich wünsche von Herzen,
daß Sie die gute Meinung über ihn behalten
mögen."
In diesem Augenblicke trat eine kleine, etwas
korpulent aussehende, rothwangige Frau in das
Zimmer. „Marie!" redete der Stationsassistent
sie an, „der junge Mensch hier wird bei uns
wohnen und hoffentlich auch mit uns essen, nicht?"
Werder nickte bejahend, während die Augen
der kleinen Frau mit einem halb gutmüthigen,
halb prüfenden Ausdruck an seiner Gestalt nieder-
glitten.
„Das ist nämlich meine Frau," fuhr Liers
fort; „und nun, Mutter, zeige unserem Gast einmal
das kleine Stübchen, in welchem er die wenigen
freien Stunden, die er in diesem abgelegenen
Winkel haben wird, zubringen soll."
Die Frau öffnete schweigend eine Nebenthüre
und Werder blickte in ein schmales, recht sauber
gehaltenes Gemach. Ein weiß überzogenes Bett nahm
die eine Wand des Zimmers ein. Vor demselben
standen ein Paar kiehnene Stühle. Außerdem sah
man einen birkenen Kleiderschrank, eine noch neue
Waschtoilette und einen alten wurmstichigen Tisch
von Tannenholz.
So sonderbar diese eigenthümliche Zusammen-
stellung von Möbeln dem Supernumerar auch
Vorkommen mochte, verlor er doch darüber keine
Silbe. Im Gegentheil sprach er seine Anerkennung
über die hübsche Einrichtung aus und fand es
namentlich allerliebst, daß das Fenster auf den
Bahnhof hinausging und man nun eine Aussicht
habe, in der die Natur mit der Industrie ab-
wechsle.
„Sie sind es gewiß besser gewöhnt," sagte
die Frau mit süß-saurer Miene, „aber wir können
cs einmal nicht anders geben. Bei einem Ein-
kommen von 300 Thalern jährlich kann man an's
Anschaffen nicht denken."
„Ich bin vollständig zufrieden!" rief Werder,
„sorgen Sie sich nicht. Ein Schelm gibt's besser
als cr's hat."
Wieder öffnete sich die Thüre und zwei blond-
lockige Kindergesichtchen guckten neugierig herein
und hefteten sich mit einem verwunderten Ausdruck
auf den Fremdling.
„Bleibt draußen, Wilhelm und Leuchen!"
herrschte die Mutter sie in scharfem Tone au.
„Jetzt habt ihr hier nichts mehr zu suchen.
Das Zimmer ist vermiethet an den Onkel hier
und der leidet's nicht, daß ihr noch ferner hinein-
kommt."
„O, ich bitte, stören Sie die Kinderchen nicht
in ihrem Vergnügen," bat der junge Aspirant in
freundlichem Tone; „lassen Sie sich überhaupt
durch meine Gegenwart in Ihrer gewohnten Lebens-
weise nicht in; Geringsten stören. Ich hoffe, Ihnen
 
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