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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 25
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0585
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598

Immer näher kam das Boot heran, aber die In-
sassen desselben bemerkten die Bedrängten nicht.
„Boot aho—i, aho-i!" schrie Jürgen jetzt aus
Leibeskräften, und der frische Westwind trug seinen
Ruf hinüber nach dem rasch dahinsegelnden Fahrzeug.
Nun wurden sie aufmerksam auf dem Boot- Das-
selbe änderte seinen Kurs und fuhr gerade auf die
Beiden los. Jürgen, der ein gutes Auge besaß, konnte
alsbald nach wenig Augenblicken den mit großen Buch-
staben an den Bug gemalten Namen „Alf Kolding"
erkennen, wie er auch den jungen Seemann mit blon-
dem Vollbart sofort erkannte, der vorn am Bugspriet
stand und mit der Hand herüber deutete.
„Klas Lürsen!" flüsterte der Alte leise, „Dich sendet
Gott!"
Das Boot rauschte heran.
„Holla—ho! Faßt die Leine!" rief der junge See-
mann, ein Seil den Beiden zuwerfend. „Ist Euch das
Morgenbad nicht zu kalt, Ihr Leute? Herrgott, was
seh' ich, Du bist's, Jürgen Pellworm? Und wer ist
denn da bei Dir?"
„Ich habe Dich hier mit Karen erwartet, Klas
Lürsen, da Du Deine Abreise durchaus nicht ver-
schieben wolltest," entgegnete der Schlickläufer trocken.
„Um Gottes willen, Karen, Du?" stieß der See-
mann erschrocken hervor. „Mein Gott, gib mir die
Hand!"
Im nächsten Augenblicke schon war sowohl das
Mädchen, als auch der Schlickläufer an Bord, und
wie zürnend schlugen die Wellen, die sich um ihren
sicheren Raub gebracht sahen, an das Fahrzeug, das
ihrer Ohnmacht spottete. Bald war Alles erklärt.
„Gott sei gelobt, der es so gelenkt hat," sprach
Klas Lürsen, und das Mädchen sorgsam in seinen
Mantel hüllend, setzte er sich neben dasselbe.
„Aber Karen," fuhr er dann im Tone zärtlichen
Vorwurfs fort, „aber Karen, dies Wagniß konnte Dich
Dein Leben kosten, wo dachtest Du hin?"
„O Klas," lautete die schlichte Antwort, „wo
dachtest Du gestern hin? Glaubst Lu, das Leben sei
mir noch lebenswerth gewesen ohne Dich?"
„Kannst Du mir vergeben, Karen? Sag', willst Du
nun meine Braut sein, mir Deine Hand anvertrauen
zur Fahrt durch das Leben?"
„Ja, Klas, ich will es!"
Der junge Seemann zog das leise erröthende Mäd-
chen an seine Brust, und ihre Lippen fanden sich zum
ersten beseligenden Kuß.
Der sichere Strand war glücklich erreicht. Jndcß
Alf Kolding mit seinem Boot wieder südwärts nach
Wyk segelte, schritt Klas Lürsen mit seiner Braut, ge-
folgt von Jürgen Pellworm, nach Rantum hinüber.
Als sie vor Uwe Helson's Haus anlangten, trat ihnen
Mutter Dorthe entgegen. Sie kam eben aus Karen's
Stübchen, wo sie das Bett unberührt fand und ihre
Pflegetochter nicht vorgefundcn hatte, und die Angst
drückte sich deutlich in ihren Zügen aus. Wenige Worte
genügten, die erste nothdürftige Aufklärung zu geben;
aber erst später, als die Ankömmlinge im Kreise der
Hausleute au dem wohlbesetzten Frühstückstische saßen,
kam durch die abwechselnde Darstellung aller Betheilig-
ten völlige Klarheit in die Sache, und nun wurde die
Verlobung der Pflegetochter des Hauses nicht minder
her stich gefeiert, als wenige Tage vorher die Erich
Helson's gefeiert worden war.
Sechs Wochen später segelte eine stattliche Bark
aus dem Hafen von Hoyer, geführt von Kapitän Lürsen,
den seine junge, ihm kurz vorher angetraute Gattin
auf der Fahrt über den Ocean begleitete.
Jürgen Pellworm aber durchläuft nicht mehr den
Schlick. Seitdem seine fixe Idee in jener Nacht zur
Wirklichkeit wurde, ist er ein anderer Mensch geworden
und jegliche Spur früherer Geistesstörung von ihm ge-
wichen.
In Klas Lürsen's Hause zu Morsum hat er eine
Heimstätte gefunden für den Rest seiner Tage; dort
waltet er mit Sorgfalt und Umsicht, damit, wie er
sagt, seine Leutchen, wenn sie nach Jahr und Tag
wiedcrkehren, ein Nest finden, in dem es sich warm
und behaglich ausruhen läßt.

Ein LruL er Krieg.
Episode aus der schwedischen Geschichte.
Von
Roderich Trcnkhorst.
(Nachdruck verboten.)
Hart an den Ufern des vielgerühmten Mälarsee's
ragen über dem kleinen Flecken Mariefred aus düsterem
Waldesgrün die romantischen Thürnie des Schlosses
Grigsholm empor. Ehedem eine gefährliche Raubburg,
war Grigsholm von den Bauern der Umgegend nieder-
gebrannt worden, und der Retter Schwedens, Gustav
Wasa, hatte auf den wüsten Trümmern ein Lustschloß
erbaut, welches bald sein Lieblingssitz wurde, in dessen
stiller Abgeschiedenheit er froh die drückende Last der
Königskrone abschütteln konnte. Wie oft tummelten

Das Buchfür Alle.
sich hier in den hallenden Gängen und auf den ein-
samen Waldwegen die beiden Königskinder Erich und
Johann, die ältesten Söhne Gustav Wasa's, im frohen
Spiel und in glücklicher Unkenntniß der Zukunft, die
gerade hier in den Mauern Grigsholms für beide
Brüder so traurig sich gestalten sollte.
Gustav Wasa war mit der Ruhe eines Weltweisen
am 29. September 1560 entschlafen. „Ein Mensch,
ein Mensch! Ist das Schauspiel aus, so sind wir
Alle gleich!" hatte er noch im Sterben lächelnd gesagt.
Der Entschlafene hatte in seinem Testamente seinen
jüngeren Söhnen erbliche Herzogthümer verliehen, da-
mit sie ihren älteren Bruder Erich nicht um die Kö-
uigskrone beneiden mochten, aber gerade diese gut-
gemeinte Maßregel sollte für die Ruhe Schwedens ver-
hängnißvoll werden.
Auf den neuen König Erich XIV. blickte man in
ganz Schweden mit wohlberechtigten Hoffnungen; sein
Vater hatte seine, wie seiner Brüder Erziehung selbst
sorgfältig überwacht, und Erich war wie sein jüngerer
Bruder Johann zu einem stattlichen Manne heran-
gereift, der in allen ritterlichen Hebungen Meister war,
bedeutende Sprachkenntnisse besaß und sich selbst als
Dichter, Komponist und Maler hervorthat; dazu war
er mild und gütig, und die Leutseligkeit, welche er als
Kronprinz gegen Arm und Reich gezeigt hatte, hatte
ihm im Fluge die Herzen seines Volkes gewonnen.
Nur seine große Leidenschaftlichkeit, die er schon in der
Jugend zeigte, hatte dem verstorbenen Vater Sorge
bereitet.
Kaum waren die sterblichen Ueberreste Gustav Wasa's
zur ewigen Ruhe bestattet, als man bereits die ersten
Anzeichen der Uneinigkeit zwischen beiden Brüdern zu
bemerken begann, der offene Ausbruch der Feindschaft
aber verzögerte sich noch einige Jahre. In diese fallen
König Erich's Bemühungen, sich unter den zeitgenössi-
schen Prinzessinnen des Auslandes eine Gattin zu
suchen, und es ist überaus bezeichnend für den wandel-
baren Sinn desselben, daß er zu gleicher Zeit um die
Hand Maria Stuart's und um die ihrer Todfeindin,
der Königin Elisabeth von England, werben ließ. Mit
eifersüchtigen Blicken betrachtete er den Grafen Leicester
als seinen Nebenbuhler bei der Letzteren, und es ist
überaus interessant, Ivie in dem Herzen des Königs
bald sein ritterlicher Sinn, bald wilde Mvrdgedanken
die Oberhand gewinnen. So schreibt er im März 1562
an seinen Gesandten Gyllenstierna in London, „er solle
den Liebling der Königin Elisabeth, den Grafen Lei-
cester, um's Leben bringen lassen, koste es auch zehn-
tausend Thaler," und im Juni desselben Jahres befiehlt
er demselben, „Leicester zu fordern, er, der König, wolle
im offenen Kampfe in Schottland oder Frankreich mit
ihm fechten!" Erich's Bewerbungen um die Hand einer
der beiden berühmtesten Frauen seiner Zeit, Maria und
Elisabeth, blieben ohne Erfolg, seine Gattin wurde
später Katharina Mans, ein Mädchen aus niedrigstem
Stande, eines Soldaten Tochter.
Im Jahre 1563 brach die offene Zwietracht zwischen
beiden Brüdern aus, nicht ohne die größere Schuld
von Seiten Herzog Johann's, der sich zum selbstständigen
Fürsten zu machen gedachte und im Bunde mit Preuflen
und Polen gegen den König den Schild erhob. Erich'
ließ den rebellischen Bruder von den schwedischen Reichs-
ständen in Stockholm zum Tode verurtheilen, zerstreute
in einem glücklichen Feldzuge die Streitkräfte desselben
und schloß ihn in seiner Festung Abo ein. Herzog
Johann wehrte sich in verzweifeltem Kampfe, als aber
Hungersnot!) unter den Verteidigern der Feste aus-
brach, mußte er sich auf Gnade.und Ungnade ergeben.
König Erich's Anhänger forderten den Tod des
Gefangenen, wodurch allein die Ruhe des Reiches sicher-
gestellt werden könnte, aber die Bruderliebe behielt die
Oberhand. Schloß Grigsholm, die friedliche Stätte sei-
ner Kinderjahre, wurde Herzog Johann zum Aufenthalte
angewiesen, wohin ihm auch seine Gattin folgen durfte.
Die edle Frau wurde bestürmt, ihr Schicksal von dem
ihres Gatten zu trennen, aber anstatt jeder Antwort
wies sie nur ihren Trauring vor, dessen Aufschrift
„Allein der Tod" lautete. Dem Touristen werden in
Grigsholm noch heute die Zimmer Herzog Johann's
gezeigt; es sind freundliche Räume mit einem herrlichen
Blick über die umliegende Waldlandschaft, das Städt-
chen Mariefred und die Bucht des Mälarsee's. Des
Herzogs Gefängniß war nach den Ansichten der Zeit
ein sehr mildes, es wurde für alle seine Bedürfnisse
im reichsten Maße gesorgt, ja Erich selbst sandte seinem
Bruder oft Bücher, u. Ä. den Ovid, Plutarch und
Boccaccio zum Lesen.
Dagegen ließ der König seine volle Rache an den
unglücklichen Anhängern seines Bruders aus. „Ein
trauriges Schauspiel war es," erzählt ein Augenzeuge,
„dem Köpfen und Rädern zuzusehen, wie es in Stadt
und Land an den Dienern des Herzogs Johann voll-
zogen wurde; ich und Mancher mit mir konnten es
nicht ohne Thränen mit ansehen!"
Bei diesem Blutvergießen zeigten sich auch die ersten
deutlichen Anzeichen davon, daß der Geist des Königs
nicht vollkommen klar mehr war. Schon früher hatte I

Hest 23.
er unter Anfällen von Verfolgungswahn gelitten, hatte
sich von Mördern umgeben geglaubt und sich miß-
trauisch und scheu von jedem Verkehre fern gehalten.
Ein paar Diener, welche grüne Fichtenreiser in die
Gänge des Schlosses gestreut hatten, hatte er im No-
vember 1566 hinrichten lassen, weil Sterndeuter ihm
prophezeit hatten, daß Männer mit Fichtenreisern ihm
dereinst den Tod bringen würden. Astrologie wurde
König Erich's Lieblingsbeschäftigung, und die trügerische
Auslegung der Konstellation der Sterne kostete manchem
llnschuldigen das Leben. Mit jedem Jahre ward sein
Zustand schlimmer, zeitweise verfiel er in förmliche
Raserei und richtete dann seine Hand gegen seine besten
Freunde, um in lichten Augenblicken dann das gethane
Unrecht bitterlich zu beklagen.
Es war an einem Mai-Abende des Jahres 1567,
als der König in größter Aufregung von einem längeren
Spaziergange in's Schloß zurückkehrte. Unruhig durch-
lief er die Zimmer und Gänge des Schlosses; endlich
ließ er einige Trabanten kommen und eilte mit ihnen
nach dem Gefängnisse, in welches das Haupt der Adels-
partei, Sture, mit seinen Söhnen und Anhängeru
wenige Tage vorher gesetzt worden war. Ohne ein
Wort zu sagen stürzte er sich, dort angekommen, auf
Niels Sture, den Sohn Swante Sture's, und stieß,
demselben den Dolch in die Brust. Dann eilte er in
das Zimmer Swante's, warf sich ihm unter Thränew
zu Füßen und bat ihn um Vergebung. Als ihm aber
der Greis antwortete, daß er ihm Alles vergeben wolle,
wenn er aber seinem Sohne Niels ein Leids zugefügt
habe, so würde er dies vor dem Richterstuhle Gottes
zu verantworten haben, sprang der König zornig auf
und rannte mit dem Rufe: „Euch muß dasselbe ge-
schehen!" zur Thüre hinaus. Erschöpft sank er draußen
auf einer Stcinbank am Wege nach Flötsund nieder,
schalt seine Begleiter Verräther, die seine bittersten
Feinde am Leben ließen, und befahl ihnen unter wilden
Drohungen, die Gefangenen im Schlosse niederzumachen.
Bestürzt eilten die Trabanten mit dem Befehle zurück,
und Swante Sture und seine Anhänger verbluteten
unter den Händen der Schergen. Als die Trabanten
zurückkehrten, fanden sie ihren Herrn nicht mehr; von
Verzweiflung über seine That ergriffen war der König
ohne Mantel und Hut davon gerannt. Erst nach drei
Tagen fand man ihn in Bauernkleidern in einem ent-
fernten Dorfe in einem Zustande tiefster Zerknirschung
wieder. Man wollte ihn hinweg führen, aber er wehrte
sich, indem er schrie, er wolle nicht mehr König sein,
denn er habe, wie Nero, seinen Lehrer umgebracht!
Endlich gelang es seiner Gattin Katharina, der Sol-
datentochter, ihn zur Rückkehr nach Stockholm zu be-
wegen, aber wie ein Büßender trat er in die Straßen
seiner Residenz ein, die Augen gen Himmel gerichtet,
und die Hände gefaltet.
Mit dem Morde des Sture'sehen Geschlechtes hatte
der Wahnsinn Erich's seinen Höhepunkt erreicht, es-
trat in seinem Befinden eine wesentliche Besserung ein.
Dafür sprechen seine Korrespondenzen, die nicht ohne
Geist geschrieben sind, seine militärischen Organisationen,
die Unternehmung neuer Kricgsznge, wenn sie auch
nicht vom Glücke begünstigt waren, und die gänzliche
Freigebung seines Bruders, des Herzogs Johann, der
schon seit längerer Zeit nicht mehr sein Gefängniß inr
Schlosse Grigsholm bewohnte. Es schien fast, als sollte
die Aussöhnung des Königs mit seinem Bruder eine
vollständige sein, denn Johann begleitete ihn auf seinen
Kriegszügen; aber dieser war ein zu rachsüchtiger, ver-
schlagener und herrschsüchtiger Charakter, um sich nicht
die Geisteskrankheit seines Bruders, die dann und wann,
wenn auch in milderer Form, wieder an den Tag trat,
zu Nutze zu machen.
Zunächst gewann der Herzog die erbitterten Ver-
wandten der ermordeten Adeligen für sich. Dann über-
redete er seinen jüngeren Bruder Karl unter dem
lockenden Versprechen, ihn selbstständig in seinem Her-
zogthume regieren zu lassen, zur Theilnahme an den
Verschwörung, und als er endlich glauben durfte, die
Maschen der llmgarnung um den König fest und sicher
genug gezogen zu haben, warf er die trügerische Maske-
der Unterwürfigkeit ab.
Bei Bjurkärn in dem heiligen Haine trafen die
beiden Brüder Johann und Karl mit ihren Anhängern
zusammen und verabredeten den Zug gegen König Erich.
Grüne Zweige an Helmen und Massen sollten die Ab-
zeichen ihrer Heere bilden, die sich bald in überlegener
Stärke aus Stadt und Land um die Herzoge versam-
melte. Nichts erschütterte König Erich so gewaltig,
als gerade dieses nebensächliche Moment des Abzeichens,
das an den Wald von Dunsinan in Shakespeare's
„Macbeth" lebhaft erinnert; es war ihm, wie oben be-
reits mitgetheilt worden ist, prophezeit, daß ihm grüne
Zweige Reich und Leben rauben würden; bei seinem
aufgeregten, abergläubischen Sinn zweifelte er keinen
Augenblick mehr daran, daß die Stunde des Verhäng-
nisses für ihn nahe. _ Von seiner verzweifelten Stim-
mung gibt cs Zeugniß, daß er seinen Leibarzt Lemnius
fragte, welche Ader man öffnen müsse, um am leich-
testen zu sterben, und ihn zu erwürgen drohte, als dew
 
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