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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 24
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522

öuch süi-fiüe

24

keine Ausstellung schicken wollte, einen Kunsthänd-
ler darauf aufmerksam zu machen. Vielleicht konnte
der unter der Hand einen Käufer ins Atelier schicken!
Allerdings war das eine unsichere Hoffnung, aber
Georg immer noch lieber als der Gedanke, über-
hebende Urteile oder abfällige Kritiken der Bekann-
ten ntitanhören zu müssen. Seine anfängliche
Siegeszuversicht war vollkommen in das Gegenteil
ümgeschlagen. Alles mißfiel ihm jetzt an dem Bilde.
Nur die erste Skizze, die Nadines Kopf mit gelösten
Haaren, in ganz matten Farben zart getönt, dar-
stellte, genügte ihm. Aber die wollte er nur für
sich behalten.
Wie hatten er und Nadine beim Beginn des
Bildes in dem Gedanken geschwelgt, welch Festtag
das werden sollte, wenn es endlich vollendet sein
würde! Und nun saßen sie einander bedrückt im
Atelier gegenüber! Auch wenn sie den Tag hätten
feiern wollen, es fehlte ihnen an Geld dazu.
„Wenn du das Bild verkauft hast, holen wir
alles nach," tröstete Nadine. „Und dann schreibst
du deinen Eltern, gestehst ihnen unsere Verlobung,
erzählst von dem Bilde und unserenZukunftsplänen."
„Ja — ja," antwortete er müde. Unlustig schob
er die Staffelei in den Hintergrund des Ateliers.
Er küßte Nadine zum Abschied, aber fein Kuß
kam ihr kalt, seine Liebesworte matt und gezwungen
vor. Sie nickte ihm freundlich zu, als er sagte, er
wolle sofort zu einem Kunsthändler gehen.
Ihr Herz war schwer, langsam stieg sie kurz nach
ihm die Treppe des Ateliers herunter.
Georg mußte sich gewaltsam zwingen, den Gang
anzutreten. Eine krankhafte Unlust zu allem lähmte
ihn förmlich. Wozu das alles?
War es nicht eigentlich albern, lächerlich von ihm,
hier in Paris freiwillig dies Hungerleben zu führen,
während seine Familie daheim im größten Behagen
schwelgte? Allerdings kostete es ihn nur ein Wort,
um alles wieder mit ihnen zu genießen, aber dies
Wort konnte und durfte er nicht sprechen, weil es
ihn von Nadine schied. Er wußte sehr genau, daß
sein Vater auf der Heirat mit Anne-Marie bestehen
würde. Ja, selbst wenn die ihn auf seine Bitten
freigab, so blieb er für seinen Vater stets ein Wort-
brüchiger, den er verachtete.
Georg seufzte tief auf.
Ein rascher Wetterumschlag ließ wieder milde
Lüfte über Paris hinwehen. Aber der sanfte Hauch,
die klare Sonne berührte Georg heute eher peinlich
wie wohltuend. Das bisherige trübe Grau paßte
besser zu seiner Stimmung, feinem ganzen Auf-
treten.
. Im Vorbeigehen sah er seine Gestalt in den
großen Spiegelscheiben der Läden und erschrak.
Vernachlässigt, sehr unvorteilhaft verändert kam er
sich vor. Der Anzug war vertragen, der Hut zer-
knifft, Haar und Bart wenig gepflegt, das Gesicht
eingefallen, die Augen übergroß, mit geröteten
Lidern, von dem beständigen scharf gespannten
Sehen angegriffen. Wirklich wie ein armer her-
untergekommener Maler sah er aus!
Ein unsäglicher Widerwille, ja Abscheu gegen
sein jetziges Leben stieg immer unbezwinglicher in
ihm hoch. Das Bild wollte er noch vorteilhaft zu
verkaufen suchen — gelang das nicht, dann war es
wirklich das beste, er reiste nach Rettershof, um sich
mit den Seinen auszusprechen und erst einmal
gründlich zu erholen. Freilich, der Gedanke an den
Triumph seines Vaters, an Anne-Maries sieges-
bewußte Miene, mit der sie den vermeintlich Be-
reuenden empfangen würden, brachte den kaum ge-
faßten Entschluß wieder ins Wanken. Aber ohne
Hilfe seiner Eltern konnte er Nadine unmöglich hei-
raten — das sah er ein, denn das Geldverdienen
ging augenscheinlich nicht so leicht wie er geglaubt
hatte! Sollte er, wie Nadine und Lucy O'Reilly,
Bilderbogen tuschen, Fächer abzeichnen, Tischkarten
entwerfen? Gehörten wirklich, wie Olhardt be-
ständig versicherte, viele Jahre Studium dazu, um
selbständig ein großes Gemälde zu entwerfen?
Maurice Roland, sein früherer Mitschüler, der
saß jetzt Tag für Tag im Louvre und kopierte, weil
er eine kränkliche Frau, ein kleines Kind zu Hause
hatte. Georg schüttelte sich. Einmal hatte er Ro-
land besucht. Diese Zigeunerwirtschaft! Eine
schlampige Frau, in ein Tuch eingewickelt, saß auf
dem gebrechlichen Sofa, neben ihr quarrte eine
grämliche, eigensinnige Kinderstimme aus einem
alten Waschkorb heraus. Roland präsentierte ihm
das kleine wimmernde Ding freilich nicht ohne Stolz,
aber Georg lief es eiskalt über den Rücken bei der
Vorstellung einer ähnlichen Zukunft.
Ja, wenn er so leben könnte, wie er möchte!
Ein schönes Heim mit kostbar eingerichtetem Atelier-
besitzen, ein Automobil, das ihn und Nadine mit
Blitzesschnelle in die wundervollen Schlösser und
Parks der Umgegend brachte, Toiletten, um die
Schönheit seiner reizenden Frau hervorzuheben,

einen Kreis bekannter Maler zum Umgang — dann
war es ein leichtes, bald eine hervorragende Per-
sönlichkeit zu werden, deren Bilder man besprach,
ausstellte, die der Stagt ankaufte. Dann hatte er
auch Zeit, um gründlich zu studieren, bis er das
wurde, was ihm jetzt so unsäglich erschwert war —-
ein frei schaffender Künstler. Wie konnte er dies
Ziel aber jemals erreichen, wenn er, eingeengt durch
Geldmangel, in beständiger Verlegenheit um das
Notwendigste blieb? Er war nun einmal abhängig
von Äußerlichkeiten, in einem kahlen, nüchternen
Atelier kamen ihm keine Gedanken.
Durch eine Heirat mit Anne-Marie würde er
zwar schnell zu Reichtum gelangen, aber diese Heirat
schied ihn wiederum auf ewig von Nadine und be-
reitete auch seinen ehrgeizigen Künstlerträumen ein
schnelles rühmloses Ende.
Aus diesem Kreis von Hindernissen gab es keinen
Ausweg!
Mit einer halblauten Verwünschung über sein
elendes Geschick betrat er den Laden des Kunst-
händlers.
Viele Bilder standen und lagen herum. Leute
kamen und gingen. Niemand achtete auf ihn.
Seine nachlässige Kleidung verriet dem Händler
schnell, daß er es mit einem, der etwas anbot, mit
keinem Käufer zu tun hatte. Danach richtete sich
sein Benehmen.
„Sie wünschen, mein Herr?" fragte er endlich,
nachdem er ein dickes Ehepaar mit vielem Dienern
hinauskomplimentiert hatte.
Georg brachte sein Anliegen vor. Der kurze,
fast herrische Ton, in dem er sprach, erstaunte den
Händler. Vielleicht hatte er es doch mit einem
großen Maler zu tun? Die Herren Künstler legten
ja oft wenig Wert auf ihr Äußeres.
„Kann ich das Bild sehen?" fragte er höflicher.
„Es könnte ja hier im Schaufenster ausgestellt
werden."
„Nein, das darf nicht geschehen," wies Georg
ab. „Das Bild ist ein Porträt — wenigstens stellt
es eine mir nahestehende Person dar. Wer es
kaufen will, muß sich schon in mein Atelier bemühen.
Ich kann Ihnen aber eine Skizze des Bildes zeigen."
„Ein hübsches Gesicht!" bewunderte der Händler.
„Lassen Sie mir die Skizze hier, dann hoffe ich,
Ihnen bald einen Käufer schicken zu können. Ich
weiß jemand, der ganz närrisch auf derartige hübsche
Frauengesichter ist."
Georg wurde bleich vor Zorn und schwieg. Da
aber der Händler achselzuckend meinte, ohne die
Skizze könne er nichts machen, gab er sie doch her
im Hinblick darauf, daß nur noch vierzig Franken
in seiner Tasche klirrten.
Mehrere Tage vergingen, ohne daß er etwas
von einem Käufer hörte. Endlich, als er, völlig mut-
los sein letztes Zehnfrankenstück hin und her wen-
dend, in seinem ungeheizten Atelier auf und ab lief,
klopfte es an der Tür. Auf sein „Herein!" erschien
die elegante Gestalt eines etwa fünfzigjährigen
Herrn, der sich flüchtig verbeugte, seinen Namen
nannte und dann direkt auf das große Bild der
„Salome" lossteuerte, das noch uneingerahmt auf
der Staffelei stand. Das scharfgeschnittene, verlebte
Gesicht mit dem sichtlich schwarzgefärbten Bart er-
schien Georg vom ersten Sehen an unbeschreiblich
widerwärtig. Die Begrüßung des Herrn erwiderte
er daher sehr nachlässig und blieb apathisch in seinem
Stuhl sitzen, obgleich er sich sagte, wie viel für ihn
davon abhing, ob dieser Käufer das Bild nahm oder
nicht. Er konnte sich aber nicht überwinden, höflich
zu sein.
„Sie sind der Maler?" fragte Herr Marquard,
ohne sich nach Georg umzusehen. Er betrachtete
das Bild genau von allen Seiten, bald kopfschüttelnd,
bald beifällig nickend.
„Ja," antwortete Georg kurz.
„Die Skizze gefiel mir besser."
„Die ist nicht verkäuflich."
„Schade — ich wäre bereit, einen hohen Preis
dafür zu zahlen."
„Auch dann nicht."
„Hm! Dies Bild ist aber doch auch ein Porträt,
wie mir der Kunsthändler sagte."
„Es stellt die ,Salome', die Tochter des Herodes,
dar! Natürlich ist es nach einem Modell gemalt."
„Sehr idealisiert?"
„Nein. Übrigens sehe ich den Zweck dieser
Fragen nicht ein."
Herr Marquard lachte. Das Lachen trieb Georg
das Blut heiß ins Gesicht.
„Sie sind noch Anfänger!" meinte Marquard
wohlwollend. „Freilich einer, dessen Talent viel
verspricht. Aber natürlich hat das Bild noch Mangel,
große Mängel sogar. Der Kunstwert ist gleich Null."
„Ich verlange keine Kritik!" fuhr Georg auf.
„Wenn Sie das Bild kaufen wollen, so tun Sie es,
wenn nicht, so —" Er zuckte vielsagend die Achseln.

„Sachte — sachte, ich darf doch wohl meine An-
sicht äußern?"
„Gewiß, doch wenn ich bitten darf, nicht in
meinem Atelier. Sobald das Bild in Ihren Besitz
übergegangen ist, machen Sie es so schlecht wie Sie
wollen."
Der Käufer lächelte spöttisch. „Da Sie das Bild
nicht auf meine Bestellung gemalt haben, sind Sie
gewissermaßen im Recht, sich meine Kritik zu ver-
bitten," lenkte er dann ein. „Das Gesicht ist ent-
zückend. Ich bin ein eifriger Bewunderer und
Kenner von Frauenschönheit. Auch die Gestalt
muß reizend sein."
Der Ausdruck seines Gesichts mit den blinzelnd
zugekniffenen Augen wurde Georg immer unerträg-
licher.
„Ich würde das Modell gerne einmal sehen und
wäre bereit, ein modernes Porträt von dem jungen
Mädchen in einer von mir ausgewählten Toilette
zu bestellen," schlug Marquard vor.
„Ich bin kein Malermeister, der auf Bestellungen
arbeitet," entgegnete Georg schroff.
„Nun, wenn Sie es nicht tun wollen, tut das
eben ein anderer."
„Die Dame ist kein Modell, sondern meine
Braut!" Georg sprang auf. Er stand in so steifer
Haltung mit finster gefalteter Stirn und drohend
blitzenden Augen vor dem Käufer, daß der unwill-
kürlich zurücktrat.
„Nun — nur nicht so hitzig!" begütigte Mar-
quard etwas verlegen. „Die Adresse der jungen
Dame wüßte ich gern, wirklich nur, um zu sehen,
ob das Bild ähnlich ist."
„Es ist durchaus nicht geschmeichelt — die Dame
geht Sie übrigens nichts weiter an. Sie haben nur
mit dem Bilde zu tun. Wenn Ihnen das gefällt
— gut, wenn nicht, so zwingt niemand Sie zum
Kauf."
„Das ist Wohl das allererste Mal, daß Sie etwas
verkaufen? Alles will gelernt sein." Herr Marquard
zog seine Brieftasche hervor. „Nicht nur das Malen
muß man verstehen, auch das Verkaufen. Aber weil
mir das Gesichtchen wirklich ausnehmend gefällt, und
ich gern junge Talente unterstütze, so bin ich bereit,
vierhundert Franken für das Bild zu zahlen. Offen
gesagt — das ist ein Liebhaberpreis, denn man merkt
die Anfängerarbeit gar zu deutlich."
„Ich verkaufe das Bild für diesen Preis sicher
nicht."
Georg setzte sich auf den Diwan und drehte dem
Käufer und dem Bilde den Rücken.
„Nun, dann will ich noch hundert Franken zu-
legen. Fünfhundert Franken — das ist wirklich ein
anständiges Gebot! Hier — ich zähle das Geld auf
den Tisch. Bitte, mir das Bild heute abend oder
morgen früh auszuliefern. Ich schicke einen Dienst-
mann. — Sagten Sie noch etwas? — Nein? Sv
ist unser Handel wohl abgeschlossen? Ich habe die
Ehre!"
Die Ateliertür schloß sich. Georg saß immer noch
mit dem Gesicht in den Händen verborgen da. Er
wollte aufspringen, dem unverschämten Menschen
nachlaufen, ihm sein Lumpengeld vor die Füße
werfen. Fünfhundert Franken! Ja wirklich —
fünf schmutzige Scheine lagen da auf dem Tisch vor
ihm! Dafür sollte er sich monatelang abgequält
haben? Für dieses elende Geld mußte er ein Werk
hingeben, an dem er zuerst mit dem Feuer künst-
lerischer Begeisterung, dann mit zäher Ausdauer un-
ermüdlich gearbeitet hatte? Tränen der Wut, der
Enttäuschung stürzten aus seinen Augen. Er kam
sich gedemütigt, erniedrigt, zerschlagen vor.
Die Dämmerung kroch ins Atelier. Alle Farben
verblaßten in dem weichen, auflösenden Grau. Nur
das rote Gewand der Salome, das noch über der
Lehne des Diwans hing, hob sich leuchtend von der
verschossenen Decke ab.
Georg vergrub das Gesicht in der leise
raschelnden Seide. Nadine! Warum konnte er sie
nicht jetzt in seinen Armen halten, wie diese leere
Hülle, ihren roten Mund küssen und ihr und sein
jetzt so elendes Leben vergessen! —
Ein hartes Klopfen an der Tür ließ ihn auf-
fahren und das Kleid von sich werfen. Sollte das
noch einmal der unangenehme Kerl sein? Desto
besser, dann konnte er ihm die fünf schmierigen
Lappen in sein lächelndes Faungesicht mit dem
schwarz gewichsten Bart schleudern!
Es war aber nicht Herr Marquard, sondern die
Hauswirtin, die etwas verlegen eintrat und ihm
einen langen, mit Zahlen bedeckten Zettel hinhielt.
„Was gibt's? Ich habe nicht geklingelt, soviel
ich weiß!" fuhr Georg die Frau ungeduldig an.
„Sie wissen, daß ich in meinem Atelier keine Stö-
rungen liebe."
„Ich bringe die Wochenrechnung, mein Herr.
Diesmal find viele Extraauslagen dabei für Wäsche,
Petroleum, Frühstück —"
 
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