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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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Z02---
Ihr Vetter noch Offizier, und ich muß gestehen,"
fuhr Bernd errötend fort, „daß ich, der ich kein be-
sonderer Freund vom Militär bin, mich nicht sehr
entgegenkommend benahm, die Einladung auch
nicht erneuerte. Aber nun liegen die Dinge ja
anders —" er errötete noch stärker — „und ich habe
den herzlichen Wunsch, Herrn v. Thuren freund-
schaftlich näher zu treten. Ich hoffe, er wird diesen
Wunsch aus meiner Einladung erkennen und mir
keinen Korb geben."
„Gewiß nicht, wenn ich ihm schreibe, was Sie
mir soeben sagten."
Das Gespräch wurde durch die Aufforderung,
sich zu Tisch zu begeben, unterbrochen.
Einer der reichsdeutschen Herren, ein wort-
karger älterer Mann, kam, um Sibylle seinen Arm
zu bieten. Ihr zweiter Tischnachbar war der alte
Graf Werdern, der dafür bekannt war, daß er bei
Tisch überhaupt schwieg, weil er Sprechen während
des Essens für ungesund hielt. Und da Sibylle
selbst sich viel zu gedrückt fühlte, um eine lebhafte
Unterhaltung in Gang zu bringen, so herrschte um
sie herum sehr bald eine fast frostige Schweigsam-
keit, die nur durch spärliche Bemerkungen unter-
brochen wurde.
Desto lebhafter ging es am unteren Ende der
Tafel zu, wo Lulu neben Bernd saß und Meta
v. Testen zwischen Degenwart und dem Bezirks-
hauptmann Baron Fohnsacker.
Die Gräfin war vielleicht nie im Leben von
so bezaubernder Liebenswürdigkeit gewesen. Sie
sprühte förmlich von Geist und Witz. Ihr Helles
weiches Lachen drang Sibylle wie Messerspitzen ins
Ohr. Zwischen den schmalen grünen Schilfblättern
hindurch sah die junge Frau das leuchtende Weiß
ihrer Arme und die feingeschwungene Nackenlinie.
Der sanfte Glanz kostbarer Perlen mit den
dazwischengefaßten Diamanten strahlte mit den
blitzenden dunklen Augen um die Wette. Sie sah
die verführerischen roten Lippen, die so anmutig
lächelten, die schimmernden kleinen Zähne, die wie
an die Schnur gereihte Perlen aussahen, sie hörte
den lockenden Klang der Stimme, die sich immer und
immer nur an den einen zu richten schien, der zu
ihrer Linken saß, an Degenwart.
Und dieser schien ganz in ihrem Bann. Nie
hatte Sibylle ihren Mann so lustig, so gesprächig
gesehen. Auch seine Augen blitzten, auch sein Mund
lachte, und seine Stimme hatte einen aufgeregten
lauten Klang. Nur manchmal, wenn sein Blick auf
die schweigsame Gruppe oben am Tisch fiel, ver-
stummte er jäh, und ein ärgerlicher Ausdruck glitt
über sein Gesicht.
Sibylle fühlte genau: „Er ärgert sich über mich,
schämt sich meiner gesellschaftlichen Ungewandtheit
und empfindet es peinlich, daß ich inmitten dieser
fröhlichen Gesellschaft eine so traurige Rolle spiele!"
Aber sie konnte nicht anders! Was hätte sie reden
sollen mit diesen Leuten, die ihr so fremd waren, mit
diesem Bild vor Augen, das sie quälte bis zur Ver-
zweiflung !
Und dann erwachte trotziger Stolz in ihr. Nein,
sie wollte auch nicht! Mochte die andere trium-
phieren! Gesiegt hatte sie ja doch längst, noch ehe
ihr Opfer überhaupt auf der Bildfläche erschienen
war.
So blieb sie schweigsam. Auch dann noch, als
nach Tisch die Herren sich für eine Weile ins Rauch-
zimmer zurückzogen, die Damen im anstoßenden
Salon sich plaudernd um den Kamin gruppierten.
Stumm starrte sie in die lodernden Flammen,
deren Schein das trauliche Halbdunkel des Ge-
machs flackernd belebte, und hörte nur mit halbem
Ohr auf das lebhafte Geplauder um sie her.
Plötzlich aber horchte sie gespannt auf. Man
sprach von der Ehescheidung des jungen Bennewitz,
deren Ursache die schöne Hofopernsängcrin Klaudius
sein sollte.
Irgend jemand erzählte, daß Bennewitz schon
vor seiner Heirat die Klaudius geliebt habe und nur
in einer vorübergehenden Verstimmung gegen sie,
die seine Verwandten geschickt benützten, sich dazu
drängen ließ, um seine jetzige Frau zu werben. Nun
habe die alte Flamme ihn wieder in ihre Netze ge-
lockt, und er wolle sie sogar nach erfolgter Scheidung
heiraten.
Die Generalin Rohrbach schüttelte mißbilligend
den Kopf. „Es ist ein ganz abscheulicher Skandal, der
von Rechts wegen gar nicht geduldet werden dürfte,"
sagte sie energisch. „Die arme junge Frau! Ich hoffe
nur, daß die Gesellschaft Takt genug besitzen wird,
die zweite Frau v. Bennewitz nach Verdienst zu
behandeln, während man alles tun muß, um die
arme geschiedene Frau, die, wie ich höre, nun wieder
bei ihrer Mutter auf Kragburg leben will, von der
allgemeinen Sympathie aller rechtlich denkenden
Menschen zu überzeugen."
Man stimmte ihr lebhaft bei. Die meisten

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Damen erklärten sofort, die neue Frau v. Bennewitz
nicht empfangen zu wollen, falls sie den Versuch
machen sollte, gesellschaftlich die Stellung ihrer Vor-
gängerin einzunehmen.
Nur die Gräfin Testen verzog spöttisch die Lippen.
„Ich begreife wirklich nicht, meine Damen," sagte
sie lächelnd, „warum Sie so erpicht darauf sind, in
der Klaudius eine ,Schuldige' und in der jetzigen
Frau v. Bennewitz einen ,Engel" zu erblicken? Das
Recht einer Frau liegt in ihrer Liebe. Die Klaudius
liebt und wird wieder geliebt, ihr Recht ist das ältere,
und ich finde es nur natürlich, daß sie sich nicht darum
betrügen läßt. Das alles ist ja so einfach und —"
„Oho — und die andere?" unterbrach sie die
Generalin scharf. „Hat die nicht mindestens ebenso-
viel Recht, da sie doch ihren Mann auch liebt."
Meta zuckte die Achseln, und ihr Blick ruhte schein-
bar zufällig auf Sibylle, die, bis in die Lippen er-
blaßt, sich jäh aufgerichtet hatte und die Sprecherin
entgeistert anstarrte. „Sie hätte Bennewitz eben nie
heiraten dürfen, da sein Herz bereits vergeben war!"
„Wenn sie es gewußt hat!" warf eine der Damen
ein. „Solche Dinge pflegen wohlerzogene Mädchen
eben nicht zu erfahren."
„Alle Welt wußte es ja! Und selbst wenn! Sie
muß es doch sehr bald gemerkt haben, daß er sie
nicht liebte, und dann war es eben ihre Pflicht —
zu gehen!"
„Eine etwas merkwürdige Ansicht, liebe Gräfin,"
brummte die Generalin ärgerlich und fuhr im nächsten
Augenblick erschrocken zusammen, denn Lulu, die
sie bei der im Nebenzimmer versammelten Jugend
geglaubt hatte, stellte sich plötzlich mit blitzenden
Augen vor die Gräfin Testen hin.
„O nein, Gräfin," sagte sie kampfbereit, „es
war durchaus nicht ihre Pflicht, zu gehen! Wenn ich
Frau v. Bennewitz wäre, würde ich nicht einmal
jetzt gehen. Erst recht nicht! Denn —"
„Lulu!"" unterbrach sie ihre Großmutter streng.
„Was fällt dir nur ein, dich in Dinge zu mischen,
die du noch gar nicht verstehst! Wie kommst du über-
haupt her?"
„Herr v. Römer und ich wollten nur Frau
v. Degenwart zu uns hinüberholen, weil es so lustig
ist und wir meinten, das würde sie zerstreuen. Wir
spielen nämlich Gesellschaftspiele. Und dafür können
wir ja doch nicht, Großmama, daß du uns nicht
kommen sahst! Das macht der dicke Perser hier
und die roten Lampenschleier!"
Die Generalin blickte ärgerlich um sich. „Ja,
es sieht ja sehr stimmungsvoll aus, dieses Halb-
dunkel, aber ich lobe mir doch die Hellen Räume, wo
man vor derlei Überraschungen sicher ist! Hätte ich
geahnt, daß du in der Nähe bist —"
„Wärst du sicher sofort verstummt, wie immer,
Großmama, wenn etwas Interessantes verhandelt
wird!" rief Lulu lachend. „Aber ich bin wirklich
kein Kind mehr, wie du immer glaubst, und habe auch
meine Ansichten!"
„Zum Beispiel die, daß eine Frau sich ihrem
Manne auch dann aufzudrängen hat, wenn er sie
gar nicht mehr will!" bemerkte die Gräfin Testen
spöttisch. „Sie würden also das Feld in solchem
Falle nicht räumen?"'
Lulu fuhr herum und sah der schönen Frau
zornig ins Gesicht. „Nein," sagte sie dann nachdrück-
lich. „Wozu denn auch, wenn man noch Waffen hat,
mit denen der Sieg errungen werden kann?"
„Ah — Sie sind köstlich, kleine Lulu!" rief Meta
amüsiert. „Und welche Waffen würden Sie denn
in einem solchen Falle anwenden, wenn man fragen
darf?"
„Die, die meine Liebe und die Stellung als
rechtmäßige Frau mir geben! Um einen Mann, den
ich liebe, würde ich kämpfen wie eine Löwin. Den
sollte mir keine andere Frau entreißen!"
„Und er? Wenn er sich doch nichts machte aus
Ihnen?"
„Ich würde ihn schon zwingen, sich etwas aus
mir zu machen! Ich würde nicht ruhen, ehe ich mir
sein Herz zurückerobert hätte, und stieße er mich
tausendmal zurück, ich würde es immer wieder ver-
suchen, durch Liebe und Geduld oder durch Leiden-
schaft — was weiß ich? Das käme eben auf die Um-
stände an. Aber merken würde er es zuletzt doch, daß
ihn keine so sehr lieben kann wie ich!"
„Bravo!" sagte eine leise Stimme hinter ihr
bewundernd, und als sie sich umwandte, begegneten
ihre Augen einem leuchtenden Blick Bernd v. Römers.
„Himmel," rief sie ärgerlich, „Sie hatte ich jetzt
ja ganz vergessen! Wissen Sie, daß es gar nicht
schön ist, hier den Horcher zu spielen, wo wir Frauen
unter uns zu sein glauben?"
„Verzeihung, gnädiges Fräulein, ich kam doch
mit Ihnen herein, also —"'
„Na ja! Übrigens war ich noch gar nicht fertig.
Ich wollte noch sagen: Dies ist meine akademische
Ansicht von dem Fall Bennewitz, aber im Grunde ist

es überhaupt gar kein Mann wert, daß man sich
seinetwegen so viel Mühe macht!"
„Und ich denke, du behältst deine Ansichten über
derlei Dinge künftig lieber für dich," sagte die Gene-
ralin tadelnd. „Wenn du auch noch ein dummer
Backfisch bist, so ist es doch gar nicht angebracht,
deine Naseweisheit auch in Gesellschaft zu zeigen!"
Lulu schnitt ein so zerknirschtes Gesicht, daß alle
lachen mußten. Dann knickste sie vor Sibylle. „Liebste
Frau v. Degenwart, da wir heute einen glorreichen
Fischtag feiern, ist der Titel,Backfisch" eigentlich nur
aktuell, und ich safse ihn ausnahmsweise nicht als
Beleidigung auf. Darf also der ,dumme Backfisch'
Sie bitten, nun aus diesem Karpfenteich mit uns
hinüberzuschwimmen in die fröhliche Region der
jungen Lachse und Forellen?"
Sibylle erhob sich, während ein Lächeln um ihre
bleichen Lippen irrte. „Sehr gerne," sagte sie und
schob ihre bebende Hand unter den kräftigen jungen
Arm, der sich ihr bot.
Eine schwüle Pause folgte ihrem Verschwinden.
Ihr verstörtes Aussehen und die triumphierende
Haltung Metas, die ihr hohnvoll nachsah, brachten
es den Damen erst zum Bewußtsein, daß sich hinter
den Worten ihrer schönen Wirtin wohl eine ganz
besondere Absicht verbarg. Außer der Generalin,
die mit den Verhältnissen der Gegend noch zu wenig
vertraut war, wußten ja alle, daß Meta v. Tessen
früher nicht gleichgültig gegen Degenwart gewesen
war.
Sollte sie so vermessen sein, auch jetzt noch auf
ihn zu hoffen?
Es wäre einfach abscheulich, dachte die Baronin
Fohnsacker entrüstet und beschloß im stillen, alles
daranzusetzen, um diesen zweiten, noch viel ärgeren
Skandal zu verhindern.
Meta schien die frostige Stimmung, die plötzlich
im Kreis der Damen zutage trat, gar nicht zu merken.
Als sich später die Herren wieder einfanden, überließ
sie es diesen, die Damen zu unterhalten, und wußte
es so einzurichten, daß sie mit Degenwart abseits
von den anderen zu sitzen kam. Was kümmerten sie
diese albernen Weiber?
Die Damen waren einfach starr. Dann steckten
sie die Köpfe zusammen und begannen aufgeregt
zu flüstern.
War da wirklich etwas zwischen dem Hagenbacher
und der Gräfin?
5iedrestn1e5 Kapitel. —.-.-
„Sie ist reizend, Ihre kleine Frau," sagte Meta
zu Degenwart. „So unberührt von all den Finessen
des Weltlebens wie ein junges Mädchen! — Ich
wollte, ich könnte noch einmal mit so harmlosen
Kinderaugen in die Welt blicken!" setzte sie mit
melancholischem Lächeln hinzu. „Wissen Sie, daß
ich mir heute ganz alt neben ihr vorkomme?"
Degenwart sah sie verblüfft an. Wollte sie sich
lustig machen über ihn, indem sie Sibylle, die sich
heute entschieden von der ungünstigsten Seite zeigte,
so übertrieben lobte? Aber Metas Blick sah so ehr-
lich aus, daß er sich beeilte, zu erwidern: „Das kann
unmöglich Ihr Ernst sein, Gräfin! Wenn heute ein
unbefangener Mensch hier gefragt würde, auf wessen
Seite die strahlendste Jugend liegt, er könnte Wohl
nur Ihnen die Palme reichen! Sibylle sieht leider
gerade heute gar nicht vorteilhaft aus. Sie ist noch
ganz unerfahren in der großen Kunst der Frau, sich
in Szene zu setzen. Ich habe dies bedauerlicher-
weise übersehen, sonst würde sich ihr erstes Debüt
in der Gesellschaft entschieden weniger — bescheiden
gestaltet haben."
„Ach, das sind ja dann doch nur Schneiderkniffe,
die eine stolz angelegte Natur, wie Ihre Frau, wahr-
scheinlich verschmäht, weil sie sich an inneren Werten
desto überlegener fühlt."
Wieder sah er sie zweifelnd an, und wieder las
er zu seinem Erstaunen nichts in Metas Gesicht als
wohlwollendste Ehrlichkeit. „Sie sind ebenso gütig
als großmütig, Gräfin. Doppelt großmütig, als ich
gerade bei Ihnen eine solche Duldsamkeit gegen
meine Frau kaum voraussetzte !" sagte er trotzdem
gemessen.
Sie wechselte leicht die Farbe. „Sollten Sie
mich wirklich für so kleinlich gehalten haben, nicht
vergessen zu können?"
„Sie haben recht. Verzeihen Sie mir. Sie sind
Sibylle von allem Anfang an so herzlich entgegen-
gekommen, daß ich nur voll Dank sein kann."
„Ich wünschte bloß, ich dürfte ihre Freundin
sein, wie ich es Ada war! Leider verhält sie sich recht
ablehnend gegen mich. Oder — ist dies etwa auch
Ihr Wunsch?"
„Im Gegenteil! Es wäre mir sehr lieb, wenn Sie
Einfluß auf sie gewinnen würden. Wie viel könnte
sie von Ihnen lernen —- schon in der Kunst, gegen
alle Welt liebenswürdig zu sein!"
„Vielleicht tun Sie Ihrer Frau unrecht, lieber
 
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