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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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Heft 14 -- . -v38 Luch für fille

!vllte ihre Schweigsamkeit nicht
^chr Mrßfallen, sondern eher Ihre Bewunderung
erregen. Es liegt der Mut ehrlicher Wahrhaftigkeit
dann, zu zeigen, wne Ihre Frau es heute tut: Ich
will gar nicht gefallen, weil all diefe Leute mir im
Grunde gleichgültig sind!"
Gegenwart starrte finster vor sich hin. „Nein —
sie kann mcht heucheln, das ist wahr," sagte er nach
emer Pause gereizt. „Dennoch ist jede Frau ihrem
Manne gewisse Rücksichten schuldig. Mögen Nei-
gung und Gedanken sie sonst auch wohin immer
drangen, in Gesellschaft dürfte sie sich nicht so gehen
lassen!"

„Sie ist noch so jung —"
„Leider!"
„Leider?"
„Ja," rief er heftig, „denn nur die Jugend ist
urteilslos und Migerecht genug, um starrköpfig nur
auf jenen einen Punkt zu starren, wo ihre Ein-
bildungskraft sich den Himmel träumt, uud dann
bitter enttäuscht zu sein, wenn das Leben sie viel-
leicht plötzlich vor ganz andere Tatsachen stellt!"
Er verstummte, erschrocken über die Worte, die
seine Bitterkeit ihm entrissen hatte.
In der Gräfin Augen aber blitzte es trium-
phierend auf. Ohne daß er es ahnte, wurden seine
Worte ihr zur Offenbarung.
Das also quälte ihn! Verletzte Eitelkeit! Der
„Punkt", nach dem Sibylle träumend starrte, war
ein anderer Mann! Wer konnte es sein? Leo
v. Thuren natürlich! Ein anderer hatte ja auf
Neuthuren nicht verkehrt! So hatte ihr Instinkt
sie also nicht betrogen, als damals in der Residenz
aus allerlei Klatsch, dem sie begierig nachgespürt
hatte, diese Vermutung in ihr aufgetaucht war!
Nun wußte sie den wahren Grund seiner ehelichen
Zerwürfnisse! Wie sie ihn kannte, vergab sein
Selbstgefühl Sibylle diese Demütigung nie!
Sie hätte jubeln mögen über diese Entdeckung.
Aber sie bezwang sich und sagte nachlässig, mit dem
Brillantanhänger ihres Perlenkolliers spielend: „Sie
sind heute furchtbar schlechter Laune, lieber Freund,
und Ihre arme Frau soll es nun entgelten! Lassen
Sie doch diese kleine Enttäuschung heute endlich
beiseite. Ich werde Sibylle die Adresse meiner
Schneiderin geben, und bei der nächsten Gesellschaft
wird sie die eleganteste Erscheinung sein!"
„Sie sind sehr liebenswürdig," murmelte er.
„Ich wollte, Sibylle hörte auf Sie und lernte auch
sonst mit — Ihren Augen sehen!" Sein Blick suchte
plötzlich warm den ihren. „Wie gut und selbstlos
Frauen doch sein können!" sagte er wie in Nach-
denken versunken. „Ein Mann könnte das nie!"
„Ach, wozu so viele Worte um eine so einfache
Sache? Wenn ich die Freundin Ihrer Frau seiu
will, so geschieht das im Grunde doch nur, weil ich
mich seit jeher zu den Freunden ihres Mannes
zählte und Ihr Glück mir vor allem am Herzen liegt."
„Sie beschämen mich, Gräfin! Ich war zuweilen
ein recht unfreundlicher, wenig liebenswürdiger Nach-
bar, der es gar nicht verdient, daß Sie nun so gut
zu ihm sind!"
Sie lachte leise auf, uud ihre druckten Augen
senkten sich mit lockendem Blick in die seinen. „So
wissen Sie nicht, daß es die besten Freundschaften
werden, die durch Sturm und Feuer gegangen sind?
Und gut soll ich sein? Nein, das bin ich gar nicht!
Es ist reiner Egoismus, wenn ich wünsche, daß —
Sie glücklich sind! Was singe ich in unserer länd-
lichen Einsamkeit an, wenn unser nächster Nachbar
ein unzufriedener Brummbär würde?"
Er zog bewegt ihre Hand an die Lippen und
küßte sie. Ihr scherzender Ton beruhigte und be-
glückte ihn sehr. —
Im Nebenzimmer hatte die Jugend ein Tänzchen
begonnen. Sibylle wollte zu den älteren Damen
zurück, kehrte aber wieder um, als sie durch die offene
Tür ihren Mann neben Meta v. Testen sitzen sah,
abseits von allen anderen, als wären sie beide allein
auf der Welt.
Nein, diesen Anblick vertrug sie jetzt nicht! War
doch alles in ihr noch stürmische Erregung über das,
was die Gräfin ihr so unzweideutig zu verstehen
gegeben hatte.
Leise schlüpfte sie in eine der tiefen, durch Samt-
vorhänge fast ganz abgeschlossenen Fensternischen
und preßte die Stirn an die kalten Scheiben.
Draußen lief der wässerige Schnee in große
Tropfen aufgelöst an den Fensterscheiben nieder,
und der Novembersturm rüttelte an den kahlen
Bäumen, die ihre nackten Arme zum Himmel reckten.
In dem Licht des Mondes, der ab und zu zwischen
Wolkenfetzen sichtbar wurde, sahen sie aus wie
tränenüberströmte, verzweifelte Gespenster.
So kalt und trostlos wie diese Nacht rst mem
Leben geworden!" durchfuhr es Sibylle. Und dann
dachte sie an die Gräfin, die ihr heute so offen den
Krieg erklärt hatte.

Wie groß mußte der Haß dieser Frau sem, daß
sie darüber sogar die Pflichten der Gastfreundschaft
vergessen konnte! Wie stark aber auch ihre Hoffnung,
daß sie es wagte, beinahe unverhüllt zu fordern:
„Verzichte, denn ich besitze ältere Rechte!"
Wußte er darum? Geschah es vielleicht in seinem
Auftrag? Er hatte sich den ganzen Abend über
kaum um sie gekümmert, hatte nur Augen gehabt
für — die andere! Vielleicht wartete er wirklich
nur auf das erlösende Wort! Vielleicht —
„Hier finde ich Sie also, Frau v. Degenwart?"
sagte plötzlich eine Helle Stimme hinter ihr, und
Sibylle sah sich, jäh sich wendend, Auge in Auge
mit ihrer bittersten Feindin.
Ein Strom von Licht, Musik und fröhlichen
Stimmen drang mit der Gräfin zugleich zwischen
den!dunklen Samtvorhängen in Sibylles Versteck.
Jetzt ließ Metas juwelengeschmückte Hand die
Portiere hinter sich zufallen. „Ich suche Sie schon
eine Weile, um irgendwo ein bißchen mit Ihnen
plaudern zu können," sagte sie, sich auf eine der
gepolsterten Seitenbänke der Nische niederlassend
und den schönen Kopf an die Täfelung lehnend.
„Ah — die Ruhe hier tut einem ordentlich wohl!
Auch wird man uns hier nicht stören."
Sibylle starrte noch immer stumm auf die Gräfin,
deren Antlitz, jetzt nur vom bleichen Schein des
Mondlichtes beleuchtet, gleichwohl in jedem Zuge
deutlich erkennbar war. Und als hätte es ihr jemand
zugeschrien, so sicher wußte sie es: Sie ist gekommen,
um die versteckten Forderungen von vorhin nun
deutlicher zu wiederholen. Was wir beide bisher
unter der Maske konventioneller Liebenswürdigkeit
verbargen, das soll nun endlich in seiner wahren
Gestalt zutage treten!
Und zugleich tauchten wie eine Vision Lulus
tapfere Worte in Flammenschrift vor ihr auf: „Um
einen Mann, den ich liebte, würde ich kämpfen wie
eine Löwin!"
Sie richtete sich hoch auf. Ihr geisterhaft weißes
Gesicht hatte plötzlich einen harten, entschlossenen
Ausdruck.
„Nun, warum setzen Sie sich nicht?" fragte Meta,
auf die zweite Seitenbank deutend.
Aber Sibylle, deren Atem infolge der inneren
Erregung rascher ging, blieb stehen und sagte kalt:
„Es lohnt sich wohl nicht für die wenigen Minuten.
Denn wahrscheinlich sind Sie ja nicht wirklich ge-
kommen, um mit mir gemütlich zu plaudern, sondern
vielmehr, weil Sie mir etwas Bestimmtes sagen
wollen."
Die Gräfin unterdrückte ein Lächeln. Wie wenig
sich die Kleine verstellen konnte! Was sie selbst mit
ihrer gesellschaftlichen Gewandtheit ihr gleichsam
spielend hatte beibringen wollen, darauf stürmte
dieses unerfahrene Kind nun gleich blindlings los!
Aber vielleicht war es sogar besser so. Man kam
dann noch eher ins reine. Dennoch sagte sie, den
harmlosen Plauderton noch beibehaltend: „Gott
ja — ich wollte Ihnen verschiedenes sagen. Zum
Beispiel, daß es mir leid tut zu sehen, daß Sie sich
heute langweilen bei uns, und daß Ihr Mann
darüber verstimmt ist."
„Hat er sich bei — Ihnen beklagt?"
Der verächtliche Ton trieb nun auch Meta das
Blut rascher durch die Adern. „Beklagt Wohl nicht,"
antwortete sie spöttisch. „Wir sprachen nur von
seiner ersten Frau, die, wie Sie wissen, meine beste
Freundin war und es in Gesellschaft verstand,
immer die erste Rolle zu spielen. Natürlich kann
ihm darum ein Mißerfolg seiner zweiten Frau um
so weniger gleichgültig sein. Er bat mich deshalb,
daß ich mich künftig ein wenig um Sie annehme
und Ihnen die Adresse meiner Schneiderin gebe.
Sie müssen wirklich ein andermal besser ausgerüstet
sein für derlei Gelegenheiten."
„Hat mein Mann Sie beauftragt, mir dies zu
sagen?"
„Nein. Von einem Auftrag kann natürlich keine
Rede sein. Er bat mich als alte Freundin darum
und meinte, es könne auch für Sie nichts Ver-
letzendes darin liegen, wenn ich Sie ein wenig unter
meine Fittiche nehme."
Sibylles Hand suchte krampfhaft eine Stütze
auf der Fensterbank. „Mein Mann hat dabei nur
das vergessen," sagte sie mit bebender Stimme,
„daß ich mir keine Freundschaft aufdrängen lasse,
nach der ich kein Bedürfnis empfinde."
Sekundenlang blieb es stumm zwischen beiden
Frauen.
Meta war aufgesprungen. „Ah — das war
deutlich!" stieß sie danu endlich heraus. „Sie wollen
mich also durchaus zur Feindin?"
„Nicht durchaus. Sie selbst haben mir heute
zuerst Feindschaft angebvten. Und dazu sage ich:
Besser eine ehrliche Feindschaft als eine falsche und
unmögliche Freundschaft!"
„Und warum, wenn man fragen darf?"

---- - 3OZ
Ein langer Blick aus Sibylles Augen streifte
sie. .Sollten Sie sich diese Frage nicht selbst beant-
worten können, Gräfin, wenn Sw an die versteckten
Ratschläge denken, die Sie sich vorhin erlaubt
haben mir zu geben? Halten Sw eme Freundschaft
auch nur dem Namen nach denkbar zwischen mü
und der, die mir das Los einer — Frau v. Benne-
witz bereiten möchte?"
Ah — ich sehe, daß Sie mich doch verstanden
haben! Aber, da wir nun einmal die Masken fallen
lassen und offen reden — Hand aufs Herz, Frau
v. Degenwart, müssen wir deshalb wirklich not-
wendig Feindinnen sein? Wäre es denn nicht auch
Ihr eigenes Interesse, wieder frei zu sein?"
Sibylle starrte sie verständnislos an.
Die Gräfin aber fuhr, alle Überlegung ver-
lierend, leidenschaftlich fort: „Er liebt Sie nicht,
und Ihr Herz hat gleichfalls nichts mit dieser über-
eilt geschlossenen Ehe zu tuu. Wozu wollen Sie also
ein Band gewaltsam aufrecht erhalten, das allen
Beteiligten nur eine Fesfel ist?"
„Sprechen Sie im Namen meines Mannes?"
fragte Sibylle mühsam.
„Wie können Sie ihn für so taktlos halten? Nie
würde er das erste Wort sprechen, und gälte es zehn-
mal sein ganzes Glück! Dieses Wort, das uns alle
erlösen würde, kann nur aus Ihrem Munde kommen.
Aber wenn Sie sich erst einmal klargemacht haben,
daß in der Tat sein Glück von Ihnen abhängt, daß
er unglücklich ist an Ihrer Seite, dann kann Ihnen
die Wahl nicht schwer werden!"
Sie hatte sehr eindringlich gesprochen. Die ganze
ungeduldige Leidenschaft ihres Wesens, die endlich
erzwingen wollte, was sie so lange schon vergebens
anstrebte, loderte aus ihrem Blick.
In Sibylle aber wurde es plötzlich merkwürdig
ruhig. Nein — diese Frau konnte sein wahres Glück
nicht sein, konnte überhaupt keinem Manne Ruhe
und Frieden geben! Wie ein schöner Dämon war
sie, der wohl Leidenschaft wecken, niemals aber die
reine Flamme einer hingebenden und selbstlosen
Liebe in die Wagschale werfen konnte. „Seien Sie
überzeugt," sagte sie, „daß ich keinen Augenblick
zögern würde zu gehen, wenn ich die Überzeugung
hätte, daß in der Tat eine — andere ihm das Glück
geben könnte, das er bei mir leider nicht finden kann.
Aber Frauen vom Schlage einer Klaudius sind in
ihrer Selbstsucht noch weit unfähiger dazu als ich.
Und damit, glaube ich, ist dieses Thema zwischen uns
erledigt."
Die Gräfin brach in schrilles Lachen aus. „Glau-
ben Sie? Nun, meine Liebe, wir werden ja sehen!
Vielleicht entschließen Sie sich eines Tages doch
noch anders."
Sibylle würdigte sie keiner Antwort mehr. Sic
schritt stolz an ihr vorüber.
Gleich darauf fuhr der Wagen mit den Herr-
schaften von Hagenbach aus dem Tor.
UchlielMe5 Kapitel. > ..-
„Wann soll es sein?" fragte Sibylle, Ilse v.
Römer ansehend, die zu Besuch nach Hagenbach
gekommen war.
„Am ersten Dienstag im Dezember."
„Werden viele Leute kommen?"
„Nein. Bernd will, glaube ich, nur ein paar
Jagdherren einladen, dann die alte Rohrbach mit
ihrer Enkelin und euch. Ich kümmere mich nicht
viel um die Sache, denn sie ist mir zuwider."
„Warum?"
Ilse schwieg und starrte hinaus in das Schnee-
treiben, das langsam ein weißes Tuch über die
ganze Landschaft breitete.
Sie saßen in einem behaglich durchwärmten
mittelgroßen Gemach, dessen hübsche Gobelins und
altertümliche Möbel es Sibylle angetan hatten.
Ein eingelegtes Betpult, ein ebensolcher Schrank
mit vielen kleinen Lädchen und Messinggriffen, ein
riesiger uralter Kachelofen mit bunten Verzierungen
und die braunen Ledertapeten erinnerten sie immer
so sehr an Neuthuren.
Auf dem erhöhten Fenstertritt stand ein Spinn-
rad mit einem bequemen Armstuhl davor, und diesem
Stuhl gegenüber hing ein prächtig gemaltes Knaben-
porträt Degenwarts, an dem Sibylle sich nie satt-
sehen konnte.
Sie saß auch jetzt in dem Armstuhl, während
Ilse neben ihr Platz genommen hatte und Roland
zu beider Füßen auf dem Teppich spielte.
„Werden die Reitzensteiner auch kommen?"
fragte Sibylle nach einer Pause beklommen.
„Nein. Wir stehen in keinem besonders leb-
haften Verkehr mit ihnen. Oder willst du, daß ich
sie einlade?"
„Durchaus nicht. Ich fragte nur. Es wäre mir
un Gegenteil peinlich. Die Gräfin und ich verstehen
uns nicht —"
„Du magst sie also auch nicht? Ganz mein Fall!
 
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