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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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VarLuchfülMe
Illustrierte fÄmlllenreitung
12. liest. 1914.
OopxriFlit IS13 dx Illliou vsutseks VsrlLAsgsskIIsedLkt,

Del-Liede ewig wechselnd Lied.
vornan von krich Ldensteiii.
(roUsestung.). - (Nschvrucl! Eboten.)
o kam der Hochzeitstag heran, und kein
Wunder oder unvorhergesehenes Ereig-
nis, auf das Sibylle immer noch heimlich
gehofft hatte, trat hindernd dazwischen.
! Der alte Psarrer von Lambrechtstetten
gab ihre Hände zusammen, das Ja wurde gespro-
chen, die Ringe gewechselt und nun war sie Degen-
warts Frau!
Bleich saß Sibylle an der Hochzeitstafel, die
außer dem jungen Paar, Frau v. Thuren, Leo und
Bernd v. Römer, der Degenwarts Trauzeuge ge-
wesen, nur wenige Freunde der Familie Thuren
aus früheren Jahren versammelt hatte.
Degenwart, der sich alle Mühe gab, Sibylles
Trennungsstimmung — damit erklärte er sich ihr
Wesen — zu heben, mußte diese Versuche schließlich
als erfolglos aufgeben. Sibylle antwortete kaum.
So verlief das Mahl steif und ohne Stimmung.
Gleich nach Tisch, während Frau v. Thuren ihre
Gäste in den Gartensaal führte, wo der Kaffee ser-
viert wurde, zog sich die junge Frau unter dem Vor--
wand, sich für die Reise umkleiden zu müssen, zurück.
Degenwart benützte die Gelegenheit, der ihm
langweiligen Gesellschaft gleichfalls zu entfliehen,

und schlug vor, Bernd die Merkwürdigkeiten der
alten Ritterburg zu zeigen, für die Römer schon bei
der Ankunft lebhaftes Interesse gezeigt hatte.
Kurz nach ihnen entfernte sich auch Leo v. Thuren.
Seine Stimmung war nichts weniger als hochzeit-
lich. Aber man erklärte sich seine Schweigsamkeit
durch den Umstand, daß die Familie seiner Braut
im letzten Augenblick wegen Erkrankung des alten
Herrn Fröhlich abgesagt hatte. In Wahrheit
grübelte er beständig über eine Notiz nach, die er
heute unterwegs in einer Zeitung gelesen. Das
Bankhaus Ebermann hatte falliert.
In schwere Gedanken versunken wanderte der
Rittmeister durch den Park. Ebermann war ein
Schwager seines künftigen Schwiegervaters. Hatten
sie es bei Fröhlichs vielleicht schon gestern gewußt,
und fand er darum abends verschlossene Türen dort?
Der alte Herr sei leidend, hatte der Diener be-
richtet, und die Herrschaften seien sehr besorgt. Es
habe deshalb auch schon nach Neuthuren abtele-
graphiert werden müssen.
Wenn das nur eine Ausrede gewesen wäre? Wenn
Fröhlich durch des Schwagers Sturz selbst schwer
in Mitleidenschaft gezogen worden wäre?
„Es wäre schrecklich!" dachte Leo. „Womit soll
ich meine Gläubiger befriedigen, wenn aus der Heirat
nichts werden könnte? Und Tante Thuren, die auf
meinen Rat ihr Erspartes erst kürzlich bei Fröhlich
anlegte? Scheußliche Geschichten!"
Plötzlich stutzte er. Wie unterdrücktes Weinen

war es an sein Ohr geklungen. Er war auf seiner
Wanderung, ohne es zu merken, in den alten Schloß-
graben geraten.
Im nächsten Augenblick stand er vor Sibylle, die,
bereits im Reisekleid, hier auf der Steinbank saß
und bitterlich weinte.
Einen Augenblick lang starrte er sie sprachlos an,
dann setzte er sich neben sie, schlang wie in ihren
Kinderzeiten den Arm um ihre Schultern und ver-
suchte sie zu trösten.
Alle seine eigenen Sorgen waren wie ausgelöscht
vor der unbegreiflichen Tatsache, daß diejenige, die
er sich als glückstrahlende Braut gedacht, nun hier
so verlassen saß und weinte, als solle ihr das Herz
brechen.
„Sibylle, liebe kleine Sibylle, was gibt es denn?
Bist du denn nicht glücklich? Hast du ihn am Ende
nicht lieb?"
Sie blieb stumm, ihre Tränen flössen noch stärker.
Er legte ihren Kopf an seine Brust und streichelte
ihr Haar. „So sprich doch! War ich nicht immer
dein guter Kamerad, Billa? Hast du denn kein Ver-
trauen mehr zu mir?"
„Doch," stammelte sie schluchzend, „du warst ja
immer gut zu mir, und ich glaube, was auch Mama
gegen dich vorbringt, daß du es immer ehrlich mit
mir meintest. Aber was mich so namenlos elend
macht, das kann ich dir trotzdem nicht sagen, Leo!
Dringe nicht in mich! Ich kann es wirklich nicht!
Und geh jetzt, laß mich allein!"



ver Bürgerkrieg in Mexiko: Vie vüsilierung von lkedellen. (5. 262)

Zehntes Kapitel. -------—
Degenwart lehnte an der Brüstung des Balkons,
während sein Freund unter der Tür stand und die
Aussicht bewunderte.
Da beugte er sich plötzlich tief über die steinerne
Balustrade hinab. Es war ihm gewesen, als habe
er da unten im Schloßgraben Stimmen gehört.

Hatten sich etwa Gäste an die alte, von Klematis-
hecken so traulich umsponnene Stcinbank, ans der
er sich mit Sibylle damals verlobte, verirrt?
Lange verharrte er regungslos in der unbe-
quemen Stellung und starrte hinab.
Als er sich wieder aufrichtete, war sein Gesicht
leichenblaß.
„Was hast du denn?" fragte Bernd v. Römer,

„du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst ge-
sehen?"
Degenwart sah an ihm vorüber. „Vielleicht gibt
es dergleichen wirklich hier," murmelte er. Dann
zog er seine Uhr. „Willst du nicht meine Schwieger-
mutter ersuchen, sie möchte Sibylle mahnen, daß es
Zert zum Aufbruch ist? Unser Zug geht in einer
halben Stunde. Der Chauffeur wird bereits warten."

XII. I!>1t.
 
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