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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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Illustrierte fsmillerireltung
28. kiest. 1914.
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Ve5 blinden Irost. Nach einem Semälde von ll. ernst. ölt)

zusammenbinden kann.
Gerne hätte Ilona der Schwe-
ster Brief Jürgen van der Leyen
gezeigt. Denn schließlich verdankte
sie seiner Großmut doch haupt-
sächlich diese guten Nachrichten.
Daß er trotz seiner eigenen großen
Verluste das Kapital hergab, um
Kaderzin den Lauensteins zu er-
halten und in dieser ganzen schwe-
ren Zeit diese Angelegenheit nicht
aus den Augen verloren hatte,
war wirklich anerkennens- und
dankenswert. Aber ihn um sein
Kommen bitten—das mochte sie
ebensowenig, als zu ihm in die
Aufseherwohnung gehen.
Nachdenklich rollte Ilona den
gelesenen Brief um ihre Finger.
Sie stand am Fenster. Der starre,
klirrende Frost war einem milden
Tauwetter gewichen. Alle Dächer
und Baume tropften. In der
dunklen, feuchtdunstigen Luft
stand schwer die grauschwarze Sil-
houette des Werkes. Die schwar-
zen Rauchfahnen an den Schloten
hingen tief herab, gedrückt und
traurig. Bleich blinkten hier und
dort Lichter aus den Werkstätten.
Eine niederziehende Traurig-
keit überkam Ilona. Wie wenn
sie einen rettenden Ausweg suchte,
irrte ihr Auge weiter über den
ganzen Hüttenplatz, der sich durch
den anhaltenden Regen der letzten
Woche zu einem Pfuhl von auf-
geweichtem Schmutz verwandelt
hatte. Trübselige, häßliche Ein-
drücke, wohin das Auge fiel!
Im dahinterliegenden Gru-
bendorf sah's nicht besser aus.
Alles war wie in Nebelgrau er-
trunken.
Aber Ilona war keine Natur,
die melancholischen Stimmungen
nachgab. Ihr altes Heilmittel,
die Arbeit, versagte nie.
Kurz entschlossen kehrte sie
dem Fenster mit dem traurigen
Ausblick den Rücken und suchte

lich bald nach seiner Ankunft in New York stattgefun-
den hatte. Die Hochzeit sollte schnell folgen.
Großmutter Ponikau verspürte die größte Lust,
. sich aufs Schiff zu setzen, um ihres geliebten Enkels
Glück mit eigenen Augen zu sehen. Trotz ihrer Vor-
liebe für standesgemäße Heiraten störte die Schweine-
schlächterei des Schwiegervaters sie gar nicht. Ihr
unverwüstlicher Optimismus trug sie über alles
schlank hinweg. Durch diese reiche Heirat machte der
Enkel in ihren Augen alles wieder gut, was er je-
mals durch Leichtsinn gegen seine Familie gefehlt
hatte.
Ilona dachte nicht so nachsichtig. Auf Drängen
und Bitten ihrer Mutter schrieb sie zwar auch einen
kurzen Glückwunsch nach New Pork an Bruder und
Schwägerin. Aber ihre Worte klangen kalt und
gezwungen. Was sie nicht fühlte, dem konnte sie
auch nicht Ausdruck geben. Nun, Großmutter Po-
nikau war dafür desto überschwenglicher in ihren
Freudenäußerungen. Sogar die bei dem Brande
mit zugrunde gegangene Perlenschnur verschmerzte
sie leicht in ihrer Siegerstimmung.
Auch in Kaderzin schien endlich in Lauensteins
Befinden eine Besserung einzutreten. Victoire
i schrieb, daß Hans Wieder hei Besinnung, wenn auch

noch sehr schwach und apathisch sei. Doch hoffe der
Arzt zuversichtlich, ihn völlig wiederherzustellen.
Die Verhältnisse in Kaderzin besserten sich dank
der Aufsicht des Justizrats Krefeld bald, der dem
Inspektor scharf auf die Finger sah. Vor allem halfen
aber die von Herrn van der Leyen vorgestreckten
Gelder, mit denen die Wechselschulden bezahlt und
die notwendigen Bauten und Verbesserungen fort-
gesetzt werden konnten. Oblonsky sei wütend, daß
ihm sein Plan mißlungen sei.
Ilona staunte jedesmal über Victoires Briese.
Früher ärgerte sie sich immer über die sprunghafte,
hin und her huschende Schreiberei der Schwester.
Jetzt sah man der Handschrift, dem Stil und Inhalt
der Briefe Klarheit und Überlegung an.
Es mußte doch mehr in Victoire gesteckt haben,
als sie angenommen hatte. Jedenfalls hatten sie
die schweren Erfahrungen in der kurzen Zeit mehr
gereift, als lange inhaltsleere, mit unnützen Dingen
vertändelte Jahre es tun können. Auch die Ehe der
beiden würde sich bessern, vielleicht sogar noch eine
glückliche werden.
Gemeinsames Leid und gemeinsame Arbeit sind
ein starkes Band, das Wohl auch gelockerte Verhält-
nisse wieder fest

steffensecht.
koman von stenriette o. Meecheimb.
leoNsrhung und 8ch1uh.) - lNnchdiu» n-rdolen.)
ÄM^a, wenn ihr gleich jetzt heiraten wolltet, wär's
halt das ackergescheiteste!" sagte Frau van
iWn der Leyen, indem sie Ilona fragend anblickte.
! M Aber sie konnte den Ausdruck des jungen
Mädchens nicht enträtseln. „Aus dem
Jürgen ist auch net klug zu werden," schalt sie übel-
launig weiter. „In dem Aufseherstübl hockt er wie
ein Schreiber und rechnet, wenn er net mit seinem
Schnaufer! wie verhext Herumrast."
„Er muß doch alles wieder in Gang bringen.
Ich sprach ihn noch nicht-allein, seitdem wir das
Kind begraben haben."
Tränen traten in Ilonas Augen, als sie an den
bitterkalten Wintermorgen dachte, an dem man den
kleinen, von einer weißen Samtdecke verhüllten Sarg
auf dem Friedhof in Verviers in die hartgefrorene
Erde versenkte. Jürgen van der Leyens Gesicht sah
so regungs- und empfindungslos aus wie in Stein
gehauen. Aber Ilona wußte, welche Seelenqual
sich unter dieser erzwungenen
Ruhe verbarg. —
Es war ihr ei.ne wahre Er-
leichterung, als Frau van der
Leyen endlich mit vielen Tränen
und Entschuldigungen von ihr
Abschied nahm und mit Jungfer
und Kanarienvogel die Reise in
ihr geliebtes Vaterland Tirol an-
trat. Jetzt konnte Ilona ihre lieb-
gewordenen Beschäftigungen wie-
der aufnehmen.
Die noch gebliebenen Arbei-
terfamilien besuchte sie ' häufig.
Aber die neuen Leute waren noch
scheu. Sie wollten von der ihnen
unbekannten Schwester nicht viel
wissen.
VonJürgensah siesehrwenig.
Er schien sich mit rastloser Arbeit
betäuben zu wollen. Oft erst
tief in der Nacht erlosch das
Licht in seiner Stube in der Auf-
seherwohnung, deren Fenster !
Ilona von ihrem Zimmer aus
sehen konnte. Manchmal hörte
sie sein Automobil die Landstraße
herunterjagen. Das war alles;
hin und wieder ein flüchtiger
Gruß und ein paar kurze, gleich-
gültige Worte, die sie, wenn sie
sich zufällig trafen, miteinander
wechselten.
Ilona wagte es nicht, sich in
seinen Schmerz einzudrängen,
darum hielt sie sich ganz zurück,
obwohl ihr Herz sie stündlich zu
ihm hinzog, um ihm in seinem
Kummer beizustehen. Aber sie
wußte, seine stolze Natur ertrug
nur ein Mitleid, das schweigend
beiseite sieht.
In dieser trüben Zeit waren
die Briefe der Ihren, die sie sonst
der vielen Klagen wegen stets
gefürchtet hatte, immer willkom-
men.
Mutter und Großmutter schrie-
ben entzückt über Elgars Ver-
lobung mit Miß Tailor, die wirk-
 
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