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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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ve^Luch füsfM
Illustrierte fsmilienreitung
4. liest. 1914.
voxxriZkt ISIS dx Union voutsods VsrlnssAosoUsodLkt, 8tnttgnrt.

Der Weslvolf.
I^oman von friedlich jacodsen
lroNse^ung.) 7- —— (Nachdruck! oesboiro.)
Hotel Adlon war ganz englisch einge-
Ru!/sH richtet, und Frank ließ sich am nächsten
WWW Morgen auch ein echt englisches Breakfast
vorsetzen, denn der Polizeirat Krause hatte
angedeutet, daß es heute leicht ein Fast-
tag werden könnte.
Beim Essen gingen alsdann seine Gedanken
auch auf ein paar Minuten nach England, denn
wahrscheinlich saß Maud um diese Zeit ebenfalls
am Frühstückstisch und lauschte dem Winde, der
über das Dartmoor hinfuhr.
Solche Phantasiereise war heute früh sehr leicht
zu unternehmen. Aber gestern abend, als Frank
unhanseatisch früh ins Bett ging, da hatte er ver-
geblich den Versuch gemacht, an Blackhouse und
feine blonde Bewohnerin zu denken, obwohl er
sich sehr viel Mühe gab, damit nicht Veronika in
seinen Träumen herumspukte.
Aber sie tat das dennoch die ganze Nacht hindurch.

Sie trug ein schwarzes Gewand, das sich gleich
einer Schlangenhaut um ihren Körper schmiegte,
und es war bald jenes schillernde Badekostüm, in
dem er sie photographiert hatte, bald die seidene
Robe, die aber einen so tiefen Halsausschnitt hatte,
daß man die feine rote Narbe unter dem Schlüssel-
bein sehen konnte. Und sie forderte Frank auf,
sich zu überzeugen, daß dieses Mal nicht von einem
Dolchmesser, sondern einzig und allein von einer
brutalen Reitgerte herstamme. Es war ein ganz
toller Traum gewesen,, und Frank schüttelte jetzt
auch den Kopf darüber.
Dann kam der Ernst dieses Tages. Das Wetter
hatte sich geändert; es nebelte nicht mehr, aber dafür
fuhr ein schwerer Nordwestwind die Elbe herauf
und trieb dunkle Wolkenmassen vor sich her. Im
Hotel brannten überall die elektrischen Glühbirnen.
Wie mochte das erst im Schwurgericht notwendig
sein, das die Symbolik immer mit dunklem Eichen-
gebälk und ernsten Farben auszustatten liebt!
Der Weg bis an den Holstenplatz war ziemlich
weit. Frank fuhr durch einen belebten Teil Ham-
burgs, und da war natürlich nicht viel davon zu
bemerken, ob sich aus dem täglichen Getriebe der
Großstadt ein besonderes Ereignis hervorhob.

Aber an der breiten Eingangspforte des Justiz-
gebäudes wurde es deutlicher.
Das Publikum drängte sich in Haufen hinein,
und zwischen dem üblichen Auditorium eines
forensischen Dramas waren nicht wenige Damen
aus der Gesellschaft; ein Augur wie Frank konnte
unschwer erkennen, daß hier andere Sensationen
in Frage kamen, als sie durch einen gewöhnlichen
Einbrecher und Raubmörder ausgelöst zu werden
pflegen.
Es war noch eine halbe Stunde bis zum Beginn
der Sitzung, und Frank beschloß einstweilen das
Handwerk zu begrüßen; er ließ sich daher vom Boten-
meister das Anwaltszimmer zeigen und fand in dem-
selben einen sehr jugendlichen bartlosen Herrn, der
schon die Robe angelegt hatte und sich als Doktor
Wolff, Verteidiger des Angeklagten Heinz Krüger,
vorstellte.
„Natürlich Offizialverteidiger," sagte er lächelnd.
„Aber ich bin dem Zufall doch dankbar, der mich
an die Reihe kommen ließ, denn diese Sache ist
ganz außerordentlich interessant, wie Sie schon aus
der Menge und Qualität des Publikums ersehen
haben werden. Daran kann man seine Sporen ver-
dienen, Herr Kollege."

Vie lahrhundertseier in der SefreiungchaNe ru Kelheim. Nach einer lchotogrgphie von Kester 8 Lo. In München. (8. 84)


IV. 1914.
 
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