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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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Vas Luch fülMe
Illustnette fgmilienreitung
1. liest. 1914.

ver werrvolf.
l^oman von fnednch jacobsen.

_ lNschdruck oei-voten.)
4 Rechtsanwalt Dr. Frank Groote fuhr mit
MI//M Bahn über den uordschleswigschen Höhen-
U //il/M rucken. Er kam aus dem dänischen Seebad
Skagen, wo er einige Wochen verbracht hatte,
und wollte über Hamburg nach Berlin zu-
rückkehren. In Hamburg gedachte er einen kleinen
Aufenthalt zu nehmen, um seinem Univerfitätsfreund,
dem Polizeirat Krause, einen Besuch abzustatten.
Es begann schon ein wenig zu Herbstein, das Ende
der Gerichtsferien stand vor der Tür, und der Blick auf
Heide und Moor, die rechts und links den Bahnkörper
umrahmten, war nicht gerade überwältigend. Desto
williger wanderten die Gedanken des jungen An-
walts in die letzte Vergangenheit zurück, und er lächelte,
als ihm beim Blättern in der Brieftasche ein kleines
Bild zwischen die Finger kam.
Ein Bild, wie der Kodak es festgehalten hatte, der
oben zwischen anderen Gepäckstücken lag und in Skagen
sehr gute Dienste geleistet hatte; in diesem lustigen See-
bade hatte es ja vielfach Gelegenheit gegeben, auch
lustige Bilder auszunehmen.
Übrigens war das Bild harmlos. In dem weichen
Schoß hochanfstrebender Dünen lag ein junges Weib.
Man ahnte, wie sie sich unmittelbar vor der Aufnahme
lässig und sorglos hingeworfen hatte und ihr lachen-
des Gesicht der Mündung des Apparats zuwendete.
Da war nichts Heimliches und Abgelauschtes, sie wollte
in ihrer ganzen Schönheit ausgenommen werden, und
der, dem diese Gunst zuteil wurde, hatte wohl nicht
lange darum betteln müssen.
Die ganze Umgebung verriet das gemischte Bad,
und die Dame selbst trug ein durchaus dezentes, aber
dennoch raffiniert kokettes Kostüm; die Wachstuchhülle
hatte sie vom Kopf genommen, und ihre üppigen
schwarzen Haare ringelten sich wie Schlangen um die
runden Schultern.
Das war Fran Veronika Sellentin aus Berlin,
die junge Gattin eines angesehenen Chemikers, der
schon mehrere Erfindungen gemacht hatte und der in
der Reichshauptstadt hinter seinen Retorten saß. Frau
Veronika behauptete, daß er da ganz gut aufgehoben sei.
. Groote hatte ihre Bekanntschaft bei der Mittags-
tafel im Hotel gemacht. Sie saß zufällig neben ihm
und zeichnete sich durch ihre Vorliebe für französischen
Sekt aus; es verging kein Tag, an dem sie nicht eine
halbe Flasche des mussierenden Weins herunter-
nippte, und da der junge ledige Anwalt auch kein
Kostverächter war, so kam bald eine lebhafte Unter-
haltung in Gang.
Frau Veronika trug ihr Herz aus der Zunge. Aber
doch mit Unterschied, denn mitten im lebhaften Ge-
spräch konnte es geschehen, daß sie plötzlich abbrach und
in tiefes Grübeln versank. Dann ging ein rätselhafter
Zug über ihr Gesicht, um die süß lächelnden Lippen
gruben sich zwei tiefe Falten, die mit ihren fünfund-
zwanzig Jahren schlecht in Einklang zu bringen waren.
Sie stammte aus Budapest - und war seit vier
Jahren kinderlos verheiratet. Ihre Eltern lebten nicht
mehr, ein Oheim hatte sie erzogen, der aber auch
schon vor mehreren Jahren verstorben war. Was
Groote durch gelegentliche diskrete Fragen über diesen
Mann erfuhr, blieben dunkle und abgerissene Andeu-
tungen. Joseph Stefany hatte in der Hauptstadt
Ungarns eine Apotheke besessen und war einem schweren
körperlichen Leiden, anscheinend der Rückenmark
schwindsucht, erlegen. Dieser traurige Fall erklärte
wohl auch hinreichend die Zurückhaltung der jungen,
lebenslustigen Frau, und Groote schonte selbstverständ-
lich ihr Gefühl.


I. 1S11.
 
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