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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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ve^Luch fülMe
Illustnette?gmilienreitung
5. kjest. 1914.
Ooxxrizdt IS13 dx lllliou Deutschs VsilLASASseNsoliLkt, 8tiittAÄrt.



Vas lviederhergestellte s^gt^us ru Posen. (5. 106)
N^ch einer phoiogr-ipftie von >. Lngeimnnn, ljolp^owgrapl; in Polen.

jetzt noch eiile dritte,
von Groote bisher nicht
bemerkte Tür offen,
und Veronika ginn vom
Speisezimmer herkom-
mend auf diese zu; sie
trug Glasscherben behut-
sam in der Hand, und als
Frank ihr folgte, sah er,

daß diese dritte Tür in das kleine Laboratorium
führte, in dem er schon einmal bei seinem ersten
Besuch gewesen war.
Auch dort brannte jetzt Licht, und Veronika warf
die Scherben in ein Behältnis, wo mehr dergleichen
lag. Es ist ja selbstverständlich, daß bei chemischen
Arbeiten sehr häufig Retorten zerspringen.
„Warum bemühen Sie sich selbst um den Plun-

ver Werwolf.
ssoman von Friedrich facodsen.
lrorlsehung.) ... , — lllgchdruck verboten.)
war nicht Zeit und Ort, über diese Dinge
Zu reden. Beronika deutete auf eine zweite
UWs Tür, aber sie
ging mcht wer- -
ter mit, son-
dern schlug den Rückweg
ein, noch immer stumm
und mit niedergeschlage-
nen Augen, als wenn sie
den Blick ihres Beglei-
ters vermeiden wollte.
Die zweite Tür führte
in das Sterbegemach.
Man hatte diesen Raum
zwar erhellt, aber nur
durch zwei Kerzen, die
rechts und links von einem
schmalen eisernen Feld-
bett standen und kaum
so viel Licht gaben, daß
die allernächsten Gegen-
stände erkennbar wurden.
Aber Frank sah doch, daß
er sich im Schlafzimmer
Sellentins befand, und
daß die Gatten sich wohl
schon längere Zeit ge-
trennt hatten.
Der große, starke Mann
ruhte entkleidet in den
Kissen. Er mußte einen
sehr leichten und schnellen
Tod gehabt haben, denn
sein Gesicht war vollkom-
men ruhig und glich mit
den geschlossenen Augen
dem Antlitz eines Schla-
fenden; aber Frank hatte
es immer nur in dem
vielleicht allzu blühenden
Rot der Gesundheit-ge-
sehen, und darum lief
ihm ein Schauer über den
Rücken, obwohl er sonst
keineswegs an Nerven-
schwäche litt.
An dieser Leiche war
nichts Auffälliges, und
der Arzt hatte sie mit
wissenschaftlichen Augen
betrachtet; aber es war
dennoch etwas dabei,
was mit einer stummen,
geheimnisvollen Sprache
redete.
Als Frank in das Ar-
beitskabinett des Haus-
herrn zurückkehrte, hatte
sich die Situation etwas
verändert. Es stand
jetzt noch eine

der?" sagte er hinter sie tretend. „Das kann doch
die Dienerschaft ebensogut."
Die junge Frau hatte ihn wohl nicht kommen
hören und fuhr nervös zusammen; dann säuberte sie
sich die Hände mit einer Karbollösung und schüttete
von der Flüssigkeit über die Scherben.
„Es war so häßlich," entgegnete sie hastig. „Die
Dienerschaft hat mich im Stich gelassen. Ich glaube,
wir sind ganz allein in:
- Hause — wir beiden, Sie
und ich."
Dann schaltete sie das
Licht aus.
Auch das konnte noch
ein Zufall sein, wie so
manches andere an die-
sem seltsamen Tage, denn
sie hatten doch nichts
mehr znnschen den Glä-
sern und Retorten zu
suchen Aber in dieser
jählings eingetretenen
Dunkelheit spürte Frank
Plötzlich die unmittelbare
Nähe Veronikas, wie wir
ein Glück ahnen oder
eine Gefahr oder das
Verderben.
Nur eine Sekunde
lang — dann waren sie
schon beide wieder im
Lichtkreis, und Veronika
strich sich die schwarzen
Locken aus der Stirn.
„Diese Einsamkeit ist
fürchterlich," sagte sie, an
ihr letztes Wort airknüp-
fend. „Ich weiß nicht,
ob meine Nerven sie er-
tragen werden. Sie wis-
sen ja, Frank, daß meine
Ehe nur ein Schatten
war, daß eine nichtige
Form sie aufrecht hielt,
und dieses Ende — es
zerreißt nur ein morsches
Band Aber ich stehe
so vollständig allein, es
gibt auf der ganzen Welt
keinen Menschen, der sich
^4 um mich uud meine Zu-
I kunft bekümmert. Sie
i sind ein Mann und ahnen
nicht, wie der Frau in
solcher Lage zumute ist.
Darf ich wenigstens auf
Sie vertrauen?"
Und nun wäre es viel-
leicht der richtige Augen-
blick gewesen, um ihr zu
sagen, daß sie über diese
Ehe, die wie ein morsches
Band zerrissen war, daß
sie über den Toten, der
da drinnen zwischen zwei
Kerzen lag, eine Lüge
ausgestreut hatte.
Aber das dünkte Frank
ganz unmöglich, denn er
stand noch" unter dem
Bann ihrer Nähe und
.«-S atmete noch immer den
süßen Duft.
„Ich will alles ord-
nen," sagte er gedämpft.

V. MN
 
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