Inhalt des Romans im zweiundzwanzägsten und dreiundzw anzigsten Heft
Der Oberkellner und Geschäftsführer des „Baltischen Hofes" in Hamburg war durch den Krieg aus seiner Bahn geworfen. Als unehelicher Sohn einer Gutsmagd
und des jungen Gutsherrn geboren, wurde er vom Pflegevater für den Lehrerstand bestimmt. Der Weltkrieg brachte ihn als Gefangenen nach England. Ent-
lassen, suchte er sein Glück in wechselnden Stellungen in Amerika. Als er einigermaßen vorwärtsgekommen war, führte ihn die Sehnsucht nach der Heimat
übers Meer zurück, und als Oberkellner fand er seine Existenz. In einer Nacht hört er auf Zimmer 15 einen Knall, dann ein Röcheln und findet eindringend
einen Gast, der einen fehlgegangenen Selbstmordversuch gemacht hat. Ein lebensmüder, verarmter Baron von Langkerke, nach dem kein Angehöriger, kein Mensch
mehr fragt; sein einziger Bruder ist in Australien verschollen. Da schießt dem Geschäftsführer Willi Kerner ein Gedanke durch den Kopf. Wenn doch dem mittel-
losen Baron an seinem adligen Namen nicht mehr viel liegt und er Geld viel nötiger braucht, warum sollte der Baron nicht für eine anständige Summe
sein Adelsprädikat abtreten? Bei einer lebensmutweckenden Flasche Wein werden die beiden handelseinig. Als Mr. Sidney Lhapman aus Chikago fährt einige
Tage darauf der ehemalige Baron von Langkerke auf einem niederländischen Dampfer von Rotterdam nach Australien, und einige Tage später steigt im Hotel
Adlon in Berlin der neue Baron Langkerke, der ehemalige Oberkellner, ab, spielt seine angenommene Herrenrolle gut und findet bald Anschluß an führende
Kreise. Zu gleicher Zeit trifft im Hotel Adlon ein führender Großindustrieller, der Geheimrat Frohwein, mit seinen beiden Töchtern ein, von denen besonders die
ältere, eine verwitwete Frau von Ellwangen, auffallend schön ist. Von dem Sohn eines Bremer GroßeXporteurs und Reeders Norgall wird er in einen vor-
nehmen Klubsalon mitgenommen und gewinnt sechzigtausend Mark im Spiel. Allmählich wird man in den Kreisen der Gäste des Hotels Adlon auf ihn aufmerk-
sam. So erzählt die burschikose Rosemarie, die jüngere Tochter Frohweins, ihrem Vater, daß Norgall ihr im Tattersall den Baron Langkerke vorstellen wolle;
über die Pläne des Vaters, der Frau von Ellwangen gern wieder glücklich verheiratet wüßte, spottet sie keck wie eine Drossel. Fortsetz
^^^^illi und Norgall warten in der baumgeschmückten, wundervollen
e)' Sommerreitbahn des Zootattersalls auf die Pferde undaufRose-
marie Frohwein. Oie junge Oame kommt zuerst. In ihren hohen,
braunen Reitstiefeln, den taubengrauen Breeches Und dem gleichfarbigen,
langen Reitjackett, den breiten grauen Filz auf die blonde Lockenmähne ge-
stülpt, ist sie die Verkörperung der Jugend und lachender Lebenslust.
„Guten Morgen, meine Herren! Eigentlich bin ich durchgebrannt, Herr
von Norgall. Aber was man mir verbietet, das macht mir den meisten
Spatz. — Also das ist der Baron Langkerke?" Und ihm ebenfalls die Hand
drückend: „Na, Sie wissen ja, wer ich bin."
Eben kommen die Pferde, von zwei Stallburschen geführt. Rosemarie
schwingt sich schnell Und leicht in den Sattel, natürlich Herrensitz, und blickt
belustigt auf Norgall, der schwieriger in den Sitz seines etwas nervösen
Pferdes kommt. Oer belgische Baron hüpft förmlich hinauf. Er hat das
Reiten zuerst im Krieg gelernt, als Ordonnanz, und später in einem
amerikanischen Wanderzirkus geübt, mit dem er als Stallmeister und
Voltigierreiter einige Monate umhergezogen ist. Das kann er freilich nicht
sagen, als Rosemarie ihm in ihrer lebhaften, ungenierten Art ein Kom-
pliment darüber macht.
Sie traben jetzt im Ring
umher. Auch Norgall, sport¬
geübt seit Jugendzeit, wie
die meisten Patriziersöhne
seinerGeneration, machtjetzt
gute Figur im Sattel, trotz¬
dem er den Krieg nicht mit¬
gemacht. Und während das
Lustgefühl dieses sonnen¬
durchstrahlten, ganz unokto-
berlichen Tages, ihre unver¬
brauchte Jugendkraft und
die Beherrschung des edlen
Tieres Rosemarie berauscht
(auch ein wenig die bewun¬
dernden Blicke der beiden
jungen Männer), denkt sie
flüchtig: „Wer ist der In¬
teressantere?" — Denn sie
mutz immer jemand haben,
für den sie sich begeistern
und schwärmen kann. Im
Schweizer Pensionat war es
ihr Literaturlehrer mit sei¬
nem rotblonden Spitzbärt¬
chen. Und gestern noch war
es Norgall, schon weil er
offenbar ihrer Schwester
nachläuft. Welch ein Spatz,
ihn der hochmütigen und
überlegenen Gabi abspenstig
zu machen! Aber nun — er
weitz natürlich noch nichts
von dem verschleiertenKörb-
chen — nun kommt er ihr
plötzlich weniger interessant
vor. Abgelegte Sachen der
älteren Schwester hat sie schon als Kind nicht gemocht. Aber dieser Baron
hat etwas — etwas Geheimnisvolles, was ihr scharfer, unverbrauchter
Instinkt wittert. Und welche Augen — stählern, glitzernd von Kraft und
Willen! Dagegen ist Norgall als Produkt einer alten Patrizierrasse, die
ihren Ursprung bis ins fünfzehnte Jahrhundert belegen kann, trotz seiner
Jugend geradezu dekadent. Oie komische Sache mit der Türklinke hat sie
übrigens zuerst bemerkt.
Jetzt trabt ein Herr in den Ring, der sie mit abgezogenem Hut begrüßt
und ihr als Rittmeister Meiseke, Leiter des Reitinstitutes, vorgestellt wird.
Er schlägt vor, die Herrschaften nach dem Tiergartenhippodrom zu begleiten,
wo das gnädige Fräulein springen könnte.
„Keine Halle, meine Gnädigste, ein offener, großer Reitplatz mit allerlei
Hürdenspringen und Hindernissen, mitten im Tiergarten."
Sie reiten zwischen dem Zoologischen Garten und dem gleichnamigen
Bahnhof in einen kleinen Reitweg hinein und dann nach diesem Hippodrom.
Rosemarie will dann noch den Tiergarten vom Pferderücken aus sehen,
und man tut ihr natürlich den Gefallen. Als die kleine Kavalkade die große
Ouerallee hinuntertrabt, zügelt sie plötzlich ihren Fuchs. Ihr Vater in
Begleitung eines jungen
Mannes?
„Papa — wo kommst du
denn plötzlich her?"
Frohwein blickt erstaunt
auf.
„Rosemarie? Ich komme
von der Sitzung und gehe
lieber ins Hotel bei dem
schönen Wetter. — Weshalb
bist du nicht in der Kunst-
ausstellung?"
„Ich reite lieber bei dem
schönen Wetter. — Erlaube
übrigens..."
Und vom Pferde herunter
stellt sie ihm Willi und den
Rittmeister vor, der ihm
Komplimente über seine
Amazonentochter macht.
„Na ja—reiten kann sie!
— Übrigens, lieber Norgall,
wenn Sie nichts versäumen
... Ich hätte was Geschäft-
liches ..."
Oie anderen grüßen, rei-
ten davon. Willi ist entzückt,
daß er auf diese einfache Art
die Bekanntschaft des großen
Industrieführers gemacht,
und Rosemarie denkt: „Jetzt
versetzt er ihm den Korb. Ob
er sie wirklich liebt? — Un-
sinn — er nähme auch mich.
— Reine Familien- und Ge-
schäftsache ! Soll ich ihn mir
nehmen? — Aber ich habe
ja Zeit ... viel zu früh für
Dey Geigers Traum / Nach einer Zeichnung von Elfriede Wendtlandt
24. 1928