Aber diese Einzelheiten müssen im Zusammenhang gesehen werden mit der Gesamt-
komposition der Wandfläche zwischen den Türen bzw. den Emporen. Streng symmetrisch
und zweigeschossig, unten mit einem Wandbrunnen, flankiert von Kaminen, über denen
allegorische Stuckreliefs in breite, weiße Umrahmungen eingelassen sind, oben mit Karya-
tiden, Porträtbüsten, dem Wappen und der Freskomalerei wird der Aufbau als Komposit-
kunstwerk des Barock am leichtesten faßbar, wenn man ihn, wie bereits erwähnt, mit einer
Ehrenpforte vergleicht, deren Hauptdurchgang in diesem Fall durch eine Wasserkunst er-
setzt wird. Ihre technische Anlage war Sache des Architekten223, die künstlerische Aus-
gestaltung übernahm Kraus, der 1712, im Baujahr des Wandbrunnens, über einen Monat
in Schlobitten beköstigt worden ist. An Bildhauerarbeit waren anzufertigen: die „statues
hydrauliques" in Gestalt von zwei fast vollplastisch vergoldeten Sphinxen und drei
Delphinen, dazu eine kleinere und eine größere Auffangschale aus rötlichem Marmor, vorn
mit einer Fratze, von der nach beiden Seiten eine kräftige reliefierte, einfache Blütenkette,
die Wandung der Schale umfangend, nach hinten zurückläuft. Bekrönt wird der Brunnen
von einem stehenden, nackten Knaben mit Helm, der — das Gurtgesims mit Schultern und
Kopf überschneidend und die harten Abgrenzungen verwischend — die Verbindung zwi-
schen dem oberen und dem unteren Geschoß herstellt. Die schöne kleine Sandsteinfigur
läßt die Hand von Kraus erkennen; die Ausführung der übrigen Zierate hat er anscheinend
dem Gesellen überlassen. Ob Hindersin oder Kraus den Entwurf für die Verlegung der
verschiedenartigen Muscheln, Kiesel, Glas- und Steinsplitter in grauem Putz und Moos
gemacht hat, ist bei der Einfachheit der geometrischen Muster als Folie für den Wand-
brunnen ohne besonderen Belang. Hingegen freut man sich an einer Notiz, aus der hervor-
geht, daß Alexander sich persönlich mit um die Beschaffung der farblich so hübschen
Muscheln gekümmert hat224.
Wirklich interessant, auch vom Inhaltlichen her, sind die Stuckreliefs über den Kaminen,
bei deren Entwurf Kraus auch Daviliers Warnung vor vollplastischen, figurenreichen
Reliefs über Kaminen beachtet. Zarter im Relief und knapper in der Ausgestaltung des
Themas hätte er die Prodikos-Erzählung von Herkules am Scheidewege220 kaum dar-
stellen können, als er das in zwei verschiedenen Versionen über den Kaminen im Schlo-
bitter Saal getan hat. Die Bedeutung der einzelnen Figuren und der Sinn der Allegorie
waren dem zeitgenössischen Betrachter ebenso leicht verständlich, wie sie uns Mühe be-
reiten. Das moralische Gleichnis von der Entscheidung, die Herkules zwischen Virtus und
Voluptas, Tugend und Laster, trifft, stammt von dem Sophisten Prodikos und ist durch
den Sokrates-Schüler Xenophon überliefert226. Es wurde im Humanismus wieder auf-
gegriffen und ist vom 16. bis ins 19. Jahrhundert hinein in Wort, Bild und Schauspiel ein
sehr beliebtes Thema, besonders in Verbindung mit Ereignissen im Leben junger Fürsten
und Adeliger gewesen, die die Erzählung schon in ihrer Grammatik kennenlernten227.
Läßt sich hieraus Alexanders Wahl gerade dieser Allegorie erklären? Man möchte es
meinen. Als Schüler Bayles 228, Oberhofmeister und Gouverneur des Kronprinzen, dem er,
wie wir wissen, nach einem festgelegten Plan Moralunterricht erteilte 229, während sie
durch den Tiergarten nach Lietzenburg fuhren, selbst Vater von fünfzehn Kindern, mag
ihm dieses moralische Leitbild, auch im Hinblick auf den in den Jahren des Umbaues von
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komposition der Wandfläche zwischen den Türen bzw. den Emporen. Streng symmetrisch
und zweigeschossig, unten mit einem Wandbrunnen, flankiert von Kaminen, über denen
allegorische Stuckreliefs in breite, weiße Umrahmungen eingelassen sind, oben mit Karya-
tiden, Porträtbüsten, dem Wappen und der Freskomalerei wird der Aufbau als Komposit-
kunstwerk des Barock am leichtesten faßbar, wenn man ihn, wie bereits erwähnt, mit einer
Ehrenpforte vergleicht, deren Hauptdurchgang in diesem Fall durch eine Wasserkunst er-
setzt wird. Ihre technische Anlage war Sache des Architekten223, die künstlerische Aus-
gestaltung übernahm Kraus, der 1712, im Baujahr des Wandbrunnens, über einen Monat
in Schlobitten beköstigt worden ist. An Bildhauerarbeit waren anzufertigen: die „statues
hydrauliques" in Gestalt von zwei fast vollplastisch vergoldeten Sphinxen und drei
Delphinen, dazu eine kleinere und eine größere Auffangschale aus rötlichem Marmor, vorn
mit einer Fratze, von der nach beiden Seiten eine kräftige reliefierte, einfache Blütenkette,
die Wandung der Schale umfangend, nach hinten zurückläuft. Bekrönt wird der Brunnen
von einem stehenden, nackten Knaben mit Helm, der — das Gurtgesims mit Schultern und
Kopf überschneidend und die harten Abgrenzungen verwischend — die Verbindung zwi-
schen dem oberen und dem unteren Geschoß herstellt. Die schöne kleine Sandsteinfigur
läßt die Hand von Kraus erkennen; die Ausführung der übrigen Zierate hat er anscheinend
dem Gesellen überlassen. Ob Hindersin oder Kraus den Entwurf für die Verlegung der
verschiedenartigen Muscheln, Kiesel, Glas- und Steinsplitter in grauem Putz und Moos
gemacht hat, ist bei der Einfachheit der geometrischen Muster als Folie für den Wand-
brunnen ohne besonderen Belang. Hingegen freut man sich an einer Notiz, aus der hervor-
geht, daß Alexander sich persönlich mit um die Beschaffung der farblich so hübschen
Muscheln gekümmert hat224.
Wirklich interessant, auch vom Inhaltlichen her, sind die Stuckreliefs über den Kaminen,
bei deren Entwurf Kraus auch Daviliers Warnung vor vollplastischen, figurenreichen
Reliefs über Kaminen beachtet. Zarter im Relief und knapper in der Ausgestaltung des
Themas hätte er die Prodikos-Erzählung von Herkules am Scheidewege220 kaum dar-
stellen können, als er das in zwei verschiedenen Versionen über den Kaminen im Schlo-
bitter Saal getan hat. Die Bedeutung der einzelnen Figuren und der Sinn der Allegorie
waren dem zeitgenössischen Betrachter ebenso leicht verständlich, wie sie uns Mühe be-
reiten. Das moralische Gleichnis von der Entscheidung, die Herkules zwischen Virtus und
Voluptas, Tugend und Laster, trifft, stammt von dem Sophisten Prodikos und ist durch
den Sokrates-Schüler Xenophon überliefert226. Es wurde im Humanismus wieder auf-
gegriffen und ist vom 16. bis ins 19. Jahrhundert hinein in Wort, Bild und Schauspiel ein
sehr beliebtes Thema, besonders in Verbindung mit Ereignissen im Leben junger Fürsten
und Adeliger gewesen, die die Erzählung schon in ihrer Grammatik kennenlernten227.
Läßt sich hieraus Alexanders Wahl gerade dieser Allegorie erklären? Man möchte es
meinen. Als Schüler Bayles 228, Oberhofmeister und Gouverneur des Kronprinzen, dem er,
wie wir wissen, nach einem festgelegten Plan Moralunterricht erteilte 229, während sie
durch den Tiergarten nach Lietzenburg fuhren, selbst Vater von fünfzehn Kindern, mag
ihm dieses moralische Leitbild, auch im Hinblick auf den in den Jahren des Umbaues von
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