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Grommelt, Carl; Mertens, Christine
Bau- und Kunstdenkmäler des Deutschen Ostens (Band 5): Das Dohnasche Schloss Schlobitten in Ostpreussen — Stuttgart: Kohlhammer, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.48962#0438
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und Schnecken-Formen eingehend betrachten. Bis auf die Matratze, die meine Eltern neu
polstern ließen, war das Barockbett noch in allen Teilen original erhalten.
Nicht nur Einzelpersonen, auch größere Gruppen folgten unserer Einladung zu kürzerem
oder längerem Aufenthalt. So besuchte uns für mehrere Tage das Musikseminar der Hoch-
schule für Lehrerinnenbildung in Hannover unter Leitung ihres im letzten Krieg gefallenen
Dozenten Walther Pudelko, mit dem mich alte Freundschaft verband. Dieser hochbegabte
Musiker hat bei seinem wiederholten Aufenthalt aus alten Lautenbüchern der Schlobitter
Bibliothek Tänze und Lieder, besonders von John Dowland und Mattheus Waissel in mo-
derne Notenschrift übertragen. Einige dieser Arbeiten sind im Bärenreiter-Verlag erschienen.
Jugendtreffen fanden statt, verbunden mit geschichtlichen, politischen und religiösen Vor-
trägen. Freizeiten für evangelische Geistliche zeugten von der traditionellen Verbindung zur
evangelischen Kirche. Unter den zahlreichen Lehrern meiner Vorfahren standen die Geist-
lichen an erster Stelle. Jahrelang bekleidete Schleiermacher die Stellung eines Hauslehrers
in Schlobitten. In dem von ihm bewohnten Zimmer, der „Schleiermacher-Stube" erinnerte
seine Büste an ihn. Die Schlobitter Besitzer waren sehr früh evangelisch geworden und
traten wenig später zum reformierten Glauben über. Daher sind auf den vielen Wand-
malereien im Schloß nie religiöse Themen abgebildet worden. Ein Kruzifix für die häus-
lichen Familienfeiern wurde erst vor ioo Jahren angeschafft.
Als 1939 der Krieg ausbrach, wurde ich zusammen mit vielen unserer Angestellten und
Arbeiter sofort zum Militärdienst einberufen. Damit war allen begonnenen Vorhaben ein
unwiderrufliches Ende gesetzt. Schon bei Kriegsbeginn ein dumpfer Alpdruck, wurde es uns,
als ich Ende Januar 1943 aus dem Kessel von Stalingrad auf längeren Urlaub heimkehrte,
erst recht klar, daß alles verloren sei. Da stand nun das Schloß scheinbar unvergänglich wie
seit Jahrhunderten. Nie zuvor hatte ich die erhabene Ruhe dieses Baues so eindringlich
empfunden. Die Unberührtheit der Räume in ihrem unveränderten Glanz ließen mich den
Krieg vergessen. Erinnerungen an die Zeit meiner Jugend tauchten auf. Ich sah Vater,
Großvater und die längst vergangenen Generationen der Dohnas vor mir, wie sie hier
durchs Leben wandelten, kämpften, liebten und litten, jeder einzelne auf seine Weise
mitschaffend an dem, was nun da war. Der Entschluß, diese Einheit auseinanderzureißen
in der Gewißheit, daß das Ganze niemals mehr zusammenkommen würde, fiel unsagbar
schwer. Für das, was danach kam, ist es gut gewesen, daß meine Frau und ich hier schon
von Schlobitten Abschied nahmen.
Das Verbot der Partei, irgendwelche Gegenstände aus Ostpreußen fortzuschicken, war
schwer zu umgehen. Eine Anzahl Koffer konnte meine Frau heimlich von benachbarten
Bahnhöfen absenden. Endlich erhielten wir über den Provinzialkonservator im Jahre 1944
die Erlaubnis „wegen der bestehenden Fliegergefahr" einen Teil des Kunstinventars aus-
zulagern. Etwa zehn Kisten mit kleineren Stücken gingen zu meinem Vetter nach Laubach
in Hessen. Inzwischen hatten jedoch die Verwandten im Westen keinen Platz mehr. So blieb
nichts anderes übrig, als zwei Waggons mit den besten Möbeln und einigen der wertvollsten
Archivalien bei dem Bruder meiner Frau in Muskau sowie einen weiteren Waggon mit Bil-
dern und Möbeln, dazu dem schönen Silber des 17. und 18. Jahrhunderts von meinem gefal-
lenen Vetter aus Schlodien in Bernburg an der Saale auszulagern. Die Berliner Tapisserien,
ferner mehrere kleinere Knüpfteppiche des 17. Jahrhunderts kamen zusammen mit Sachen

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