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Frimmel, Theodor von [Editor]
Blätter für Gemäldekunde — 1.1904-1905

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Heft 10
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Aus Anlass der Miniaturenusstellung in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.20640#0211
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Nr. io.

179

BLÄTTER FÜR GEMÄLDEKUNDE.

Miniaturmalerei wird heute emsig geübt.
Fangen wir in der Ferne an, so ist M. W. J. Baer
in New York als beliebter, geschickter Künstler
zu nennen, neben ihm Miß Riwotzky und ihre
Schülerin M. L. Seyer, ferner Amalie Küßner,
um nur wenige anzudeuten. In Chicago ist
Miß Reynolds die meist beschäftigte Miniatur
ristin, in Boston Laura Hills. Wohl nach dem
Muster der französischen „Societe des Minia-
turistes et Enlumineurs“, die sich in den 1890er
Jahren gebildet hat, trat 1899 eine „American
Society of Miniature Painters“ hervor, die all-
jährlich in New York ausstellt. In Italien
scheint jetzt Carlo Ferraris der feinste Klein-
maler zu sein. In Wien haben wir neben
mehreren Kräften im Kreise des Albrecht
Dürervereins unter den älteren Künstlern Pro-
fessor Eisenmenger, der vorzügliche Kleinbild-
nisse malt, unter den jüngeren Walter Hampel.
Sie lösen die Bitterlich, Friedrich und andere
ab. In Paris sind wohl an hundert Künstler
beiderlei Geschlechtes mit Miniaturmalerei be-
schäftigt. Hortense Richard hat Weltruf. Dann
gibt es noch unter vielen anderen die Isbert,
Pomey, Rossert, Vannetelle-Baucher, Guyard-
Charvet, Debillemont-Chardin. 1898 zählte
der Katalog der Pariser Miniaturenausstellung
schon 58 tätige Mitglieder auf. Miniaturmalerei
wird gegenwärtig auch beispielsweise in Berlin,
Dresden, Wiesbaden gepflegt. Trotz der schein-
bar allmächtigen Herrschaft der Porträtphoto-
graphie, deren berufsmäßige Ausübung die
ältere Miniaturmalerei eine Zeitlang, etwa von
1850 bis 1870, stark gedrückt hatte, und die
nun in allen Kreisen Vertreter gefunden hat,
ist die gemalte Porträtminiatur nicht aus-
zurotten; sie erlebt heute nahezu eine neue
Blütezeit, und schon melden sich Werkstätten
für Nachahmungen und Surrogate. Der Kunst-
handel steckt voll alter und neuer Miniaturen,
wozu ich bitte, einen Stoß neuer Versteige-
rungskataloge durchzublättern. Bei alledem
ist es nahezu erstaunlich, daß wir so wenig
Nachschlagebücher, darunter eigentlich nicht
ein einziges vorzügliches, zur Verfügung haben,
wenn über Miniaturisten etwas zu suchen ist.
Ebenso unbebaut ist das Feld der Entwick-
lungsgeschichte in bezug auf neuere Miniatur-
malerei im Gegensatz zur älteren. Die Verbin-
dungsglieder zwischen der Miniatur des Mittel-
alters und dem, was jetzt gesprächsweise Mini-
aturmalereiheißt, sind noch wenig gekannt.Denn
bei einem Holbein, beim älteren Clouet, bei
Corneille de Lyon, Giulio Clovio ist die Sache
eigentlich schon fertig. Das sind Meister, die
Bildnisse in auffallend kleinem Format ge-
malt haben. Ob nicht die Wurzeln bis in die

1905, Heft I, wo noch weitere Literatur genannt ist.
Auf Monographien über einzelne Miniaturisten gehe
ich heute nicht ein.

gemalten Bildnismedaillons zurückreichen, die
in der Karolingischen Miniaturmalerei Vor-
kommen und die ihrerseits wieder durch
Münzenvorbilder aus der Antike angeregt
worden sind? Wie dem auch sei: aus den
Zeiten eines Hans Bol, Frans Boels (um 1600)
haben wir kleine Malereien vor uns, die in
der Art alter Buchminiaturen hergestellt, aber
nicht für Bücher gemalt sind. Für den Prager
Hof waren um 1600 Feinmaler und Minia-
turisten neben Kalligraphen tätig. Geradewegs
modemäßig wurden Porträt miniaturen schon
in den Malergruppen der Miereveit, Pourbus
und der holländischen Gesellschaftsmaler ä la
Dirk Hals, A. Palamedes, J. A. Duck herge-
stellt. Man kann aber heute der Bestimmung
dieser vielen Plättchen noch nicht recht bei-
kommen. Das goldene Zeitalter der Porträt-
miniatur war das XVIII. Jahrhundert. Frank-
reich und England leisteten Großes. In Füger
haben wir für Wien einen wohl ebenbürtigen
Vertreter der Miniaturmalerei, der uns nun auch
noch ins XIX. Jahrhundert herauf geleitet.*)
Ganze Legionen von Namen wären zusammen-
zustellen, doch beschränke ich mich auf einen
Deffinger, Agricola, Anreiter, auf die Theer,
Ch. v. Saar, um nicht ins Lexikalische zu ver-
fallen. Man hat in Österreich wiederholt bei Aus-
stellungen auch auf Miniaturmalerei geachtet,
so 1877, als die Akademie der bildenden Künste
mit einer Kunstschau eröffnet wurde, 1888 in
der Kaiserin Maria Theresiaausstellung in
Wien, 1898 in der Kongreßausstellung, seither
wieder in Brünn und besonders vor kurzem
in Reichenberg. Als eine neue glänzende Kund-
gebung im Fache der Miniatur steht die
neueste Wiener Ausstellung da. Das Pro-
tektorat hat Frau Erzherzogin Maria An-
nunziata übernommen. Dem Komitee steht
Gräfin Stephanie Wenckheim vor. Fast drei-
tausend Nümmerchen sind zu sehen, zumeist
vorzügliche und interessante Stücke, deren
Studium und Genuß höchstens ein wenig
durch die gedrängte Anordnung und durch
Mangel an Licht leidet. Nun, die Freunde
der Kleinkunst setzen sich eben für die gute
Sache über manches hinweg und erfreuen
sich an dem Gebotenen. Wie schon angedeutet,
ist die Ausstellung reichlich beschickt. Nie-
mand dürfte über ein zu wenig klagen.

Von vielseitigem Interesse sind die zahl-
reichen Tableaux mit je sehr vielen Minia-
turen — zusammen sind es 615 — die, sonst in
der Hofburg aufbewahrt, dem Studium wenig
zugänglich waren. Für die Kunstgeschichte, für
die Bildniskunde sind sie von Bedeutung, aber

•I-) Zu den Schweizer Miniaturisten jener Zeit vgl.
FüOli: Zürich und die wichtigsten Städte am Rhein,
1, S. 145 ff., und die weitere Literatur über die ein-
zelnen Namen.
 
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