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Bulletin du Musée National de Varsovie — 37.1996

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Nr. 3-4
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Klessmann, Rüdiger: Jan Lievens und die Utrechter Caravaggisten
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https://doi.org/10.11588/diglit.18945#0198
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die Fäuste, erschreckt weicht Haman vor dem Zorn seines Herrn zurück.
Nicht zufällig hat Lievens der Gestalt Hamans einen Platz im Gegenlicht
zugewiesen, sodaß Haman als eine dunkle Figur mit bedrohlich bewegtem
Umriß erscheint. Dieses Silhouettenmotiv finden wir auch auf Bildern von
Baburen, Honthorst und Ter Brugghen, in der Regel zur Steigerung eines
dramatischen Vorgangs. Als Beispiele rufen wir in Erinnerung: Ter Brugghens
Berufung des Matthäus in Utrecht von 1621, bei der Christus als
Repoussoirfigur von links den Bildraum betritt, Honthorsts Verleugnung Petri
in Minneapolis oder Honthorsts Kupplerin in Utrecht, datiert 1625.

Das Thema des Gastmahls von Esther und Ahasver hat auch Pieter Lastman
behandelt (Warschau, Nationalmuseum)14. Das Bild war gerade in jener Zeit
entstanden als der junge Dievens um 1619 in Lastmans Werkstatt aufgenommen
wurde. Lastman schildert eine spätere Phase des Gastmahls, wie Haman auf die
Knie fällt und Esther um Gnade anfleht. Die theatralische Zuspitzung der Szene
wird Lievens sicher beeindruckt haben, aber der klemfigurige Erzählstil Lastmans,
der Rembrandts Anfänge wesentlich geprägt hat, war für Lievens’ Vorstellung
zu wenig. Man gewinnt den Eindruck, daß sich Lievens mit seinen großfigurigen
Kompositionen bewußt von Lastmans Stil absetzen wollte. Lievens’ Gastmahl in
Raleigh hat durch seine dramatische Kraft, die physiognomische Konzentration
der Szene und durch den farbigen Reichtum des Bildes stets Bewunderung
erregt. Seit dem ersten Bekanntwerden des Gemäldes nach 1936 wurde dieses
von der Rembrandt-Forschung lebhaft diskutiert. Trotz seiner engen Beziehung
zu Lievens’ Handwaschung des Pilatus, auf die Kurt Bauch nachdrücklich
hingewiesen hat, hielt man nur Rembrandt als Schöpfer des Werkes in Raleigh
für möglich. Die Zuschreibung an Lievens begann sich erst vor etwa zwanzig
Jahren durchzusetzen15, einerseits dank der besseren Kenntnis seines Oeuvres,
andererseits infolge der Einsicht, daß sich Rembrandt erst viel später als Lievens
dem großfigurigen Historienbild zugewandt hat.

Etwa zur Entstehungszeit des Gastmahls um 1625 hat Rembrandt seine Lehre
bei Pieter Lastman beendet und kehrte aus Amsterdam nach Leiden zurück. Es
mag in diesem Jahr gewesen sein, daß Lievens und Rembrandt beschlossen, ihre
Erfahrungen als Maler auszutauschen. Wahrscheinlich benutzten sie in Leiden ein
gemeinsames Atelier, weil anders der nun einsetzende enge künstlerische Dialog
nicht erklärbar ist16. Das früheste datierte Gemälde Rembrandts, das in Lyon
bewahrte Stephanus-Martyrium von 1625, hält sich noch eng an die kleinfigurigen
Massenszenen von Pieter Lastman. Auch bei Rembrandts Taufe des Kämmerers
von 1626 in Utrecht erkennt man an vielen Schwächen den Anfänger, der damals
noch allen Grund hatte, von Lievens zu lernen. Lievens ist seinem von Utrecht
inspirierten Stil der großen Figurenkomposition stets treu geblieben. Bei

14 Ausst.Kat. Europäische Malerei des Barock aus dem Nationalmuseuni in Warschau, Braunschweig
1989, Nr.l (J.Bialostocki).

15 vgl. R.E.O.Ekkart, in Ausst.Kat. Geschildert tot Leyden anno 1626, Leiden 1977, S.71 f.

16 vgl. E.van der Wetermg, “De symbiose van Lievens en Rembrandt”, in: Ausst.Kat. Rembrandt
& Lievens in Leiden, Redaktion C.Vogelaar, Leiden 1991, 5.39 - 46.

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