Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bulletin du Musée National de Varsovie — 37.1996

DOI issue:
Nr. 3-4
DOI article:
Klessmann, Rüdiger: Jan Lievens und die Utrechter Caravaggisten
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.18945#0206
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Charakteristisch für die ‘Utrechter Schule’ im dritten Jahrzehnt sind auch die
profanen Bilder in halber Figur von Hirten und Musikanten. Man kann
geradezu von einer Mode sprechen, die von Baburen, Ter Brugghen, Honthorst
und Bijlert gepflegt wurde. Ein erst vor kurzem entdecktes Gemälde eines
Violinspielers von Lievens im Kunsthandel (Abb.8)24 beweist, daß auch Lievens
schon früh dieser Spur gefolgt ist. Man kann ein um 1625 gemaltes Hirtenbild
von Jan van Bijlert (London, Kunsthandel, Abb. 9)25 zum Vergleich
heranziehen, um die Verwandtschaft in der Wahl des Ausschnitts und der Art
der Beleuchtung zu erkennen. In der Modellierung des Gesichts und der Hände
gehört der Violinspieler mit Lievens’ Gastmahl in Raleigh zusammen und
könnte demnach um 1625 entstanden sein.

Lievens’ Leistungen in diesem Stil haben schon früh zu offiziellen Ankäufen
geführt. Dazu gehört das prächtige, von Huygens ausdrücklich erwähnte
Gemälde eines orientalischen Fürsten (Potsdam, Schloß Sanssouci)26, das für
den Hof des Prinzen von Oranien erworben wurde. Es ist bemerkenswert, daß
Huygens nach seinem Besuch der beiden jungen Maler Lievens und nicht
Rembrandt den Auftrag erteilte, ihn zu porträtieren. Für die Vorarbeiten zum
Porträt wurde Lievens nach Den Haag eingeladen. Er war dadurch vor
Rembrandt am oranischen Hof als Künstler eingeführt und manche seiner
Bilder gelangten in die Häuser angesehener Bürger. Dennoch trieb Lievens der
Ehrgeiz, dem Freund und Rivalen Rembrandt nicht das Feld des
Historienmalers allein zu überlassen und er suchte Rembrandt bei der
malerischen Inszenierung historischer Stoffe zu übertreffen. Zwei verlorene,
um 1628 geschaffene Gemälde, die uns nur durch Radierungen von Joris van
Vliet überliefert sind, bezeugen, daß Lievens vor extremen dramatischen
Effekten nicht zurückschreckt. Bei seiner Susanna im Bade (Abb. 10)27 schildert
er einen brutalen Überfall, der genau genommen nicht dem Bibeltext
entspricht. Die Entblößung der Frau und die sexuelle Gier der Männer werden
mit ungewöhnlicher Drastik zur Schau gestellt. Diese Aggressivität der
Darstellung ist aus der Bildtradition Pieter Lastmans oder der
Auseinandersetzung mit Rembrandt nicht erklärbar, sondern muß eher auf
das neue Realismusverständnis der Utrechter Malerei zurückgeführt werden.

Das zweite Bild zeigt den erblindeten Isaak, der getäuscht worden ist und
gegen seinen Willen seinen zweiten Sohn Jacob gesegnet hat (Abb. 11). Isaaks
Frau Rebecca zieht wie auf einer Bühne den Vorhang des Alkovens zur Seite,
um den Blick des Betrachters auf die Verzweiflung des blinden Mannes zu
lenken. Man hat schon früher gesehen28, daß Lievens bei der Darstellung des

24 Galerie Noortman, Maastricht. Lw., 92,7 x 73,7 cm.

25 Vgl.Johnny Van Haeften, Dutch and Flemish Old Master Paintings, London 1992, Nr.3; P.Huys
Janssen, Jan van Bijlert (1597/98 - 1671), Schilder in Utrecht (Proefschnft), Utrecht 1994, Kat. Nr.73.

26 Sumowski (vgl.Anm.l), Nr.1236; Ausst.Kat. Leiden 1991 (vgl.Anm.16), S.118.

27 Ausst.Kat. Lievens (vgl.Anm.l), Nr.U2 (R.Klessmann); Sumowski (vgl.Anm.l), Nr.1183.

28 W Fraenger, Der junge Rembrandt 7, Heidelberg 1920, S.78 f; J. Michalkowa, “Les tableaux de
Jan Lievens dans les collections polonaises”, Biuletyn Historii Sztuki, XXVIII, 1956, S.393;
Ausst.Kat. Lievens (vgl.Anm.l), Nr.U 3 (R.Klessmann); Sumowski (vgl.Anm.l), Nr.1182.

196
 
Annotationen