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Bulletin du Musée National de Varsovie — 42.2001

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Scholz, Piotr O.: Wer war Merkurios, der "Bezwinger des Bösen" in der Wandmalerei aus Faras/pachoras?: Ikonizität des Drachentöters im Niltal$nElektronische Ressource
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https://doi.org/10.11588/diglit.18950#0174

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Aus diesen Erwagungen, die zwischen der Geistes- und Kunstgeschichte
oszillieren,40 resultiert die Antwort, warum der Bekampfer von Ubel, Satan
und Drachen, die Gestalt eines Engels, eines Heiligen oder eines geheiligten
Konigs, schlieblich sogar eines Heilands, annehmen mul?. Weil das Bose fur
den Menschen so uberwaltigend geworden ist, dal? nur Dimensionen, die das
Mai? einer irdischen Normalitat iibersteigen, in der Lagę sind, sich dem zu
widersetzen.

Aus der Auseinandersetzung mit den Phanomenen, die um das Bose kreisen,
ist eine yielfaltigste Ikonizitat entstanden, die zwischen Orient und Okzident
dominierende Stellung erlangt hat. Sie hat nicht nur im Christentum, in seiner
alltaglichen Frommigkeit und sakralen Visualitat ihren gebiihrenden Platz
errungen, sondern wirkt sich bis heute in allen nur erdenklichen bildhaften
Manifestationen des Geistes aus.

Das Bild des Merkurios ais den Bezwinger des Bósen wird verdeutlichen,
was man an diesem Beispiel erkennen kann: die Beschaftigung mit der
Ikonizitat der Vergangenheit eróffnet Torę zur Gegenwart, denn nur aus der
Erinnerung ais der Verinnerlichung der Vergangenheit kann Zukunft
erwachsen.41

Die Darstellung der reitenden Gestalt (H. 2,20 m), die heute im
Nationalmuseum in Warschau zu sehen ist (Inv.-Nr. 149672), stammt aus der
beruhmten Faras/Pachoras-Kathedrale, die Kazimierz Michałowski und sein
Team 1964 ausgegraben haben (Abb. 3). Er selbst publizierte das Wandbild, das
er in das 10. Jh. datierte, in seinen beiden allgemein bekannten Werken und
beschreibte es wie folgt:

40Dieser Grundsatz, der zum Prinzip der Ikonologie (Aby Warburg, Fritz Saxl, Erwin Panofsky

u. a.) geworden ist, ging von Ansatzen aus, die in Wien geboren worden und sowohl mit Josef
Strzygowski (1862-1941), ais auch Max Dvorak (1874-1921) zu verbinden sind (s. dazu P.O.
Scholz, „J. Strzygowskis ‘Die Krisis der Geisteswissenschaften’ 60. Jahre spater”, NUBICA et
AETHIOPICA, 4/5, 1994-1995 [1999], S. 39-58). Er wird heute unter neuen Vorzeichen weiter
diskutiert (A.Weissenrieder, F. Wendt, „Images as communication. The methods of iconography”,
in: Picturing the New Testament, hrsg. v. A.Weissenrieder, F. Wendt u. P. von Gemtinden,
Tiibingen 2005, S. 3-49), auch unter Beriicksichtigung der Semiotik (ebenda, S. 28-37; hierzu
schon P.O. Scholz, „Das ikonische Zeichen ais Ausdruck der gottlichen Realitat in einer religiosen
Gemeinschaft”, Liguistica Biblica, 51, 1982, S. 37-78; Kurzfassung in: Zeichen und Realitat, hrsg.

v. K. Oehler, Tiibingen 1984, S. 433—441), ohne aber die vorhandene Literatur ausreichend zu
beriicksichtigen und in Betracht zu ziehen. Welche Rolle in diesem Zusammenhang Religion
spielt, lafit sich gut an den umfangreichen Artikeln „Kunst und Religion” in: TRE (20, 1990,
S. 243-337; von mehreren Autoren) ablesen.

4IJ. Assmann, Das kulturelle Gedachtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identitat in friihen
Hochkulturen, Miinchen 1992; J. Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzuge einer
historischen Memorik, Miinchen 2004 (hierzu nahm ich Stellung in einem Vortrag: Vergleichende
Kunstgeschichte ais Kulturgeschichte an der Universitat Łódź /2005/, der demnachst /2006/ in
einem Sammelband, hrsg. vom Institut fiir Kulturwissenschaft der Universitat Łódź, veróffentlicht
werden soli). Aus dieser Spanne zwischen Vergangenheit und Gegenwart folgt die Frage nach der
kulturellen Kontinuitat, die auch die Rechtfertigung fiir das Vorhandensein der Museen liefert.
Von manchen wiirden sie eben gerne „gestiirmt”, sie haben aber ais Wissenschafts- und
Erinnerungsstatten eine besonders wichtige Funktion fiir die Bewahrung der Kunst und ihrer
Sprache, die die conditio humana ausmacht.

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