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Bock, Franz
Die Werke des Mathias Grünewald — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 54: Straßburg, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.21965#0092
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sieht liegt der Horizont ganz hoch, treten rechts und links die
beliebten Kulissen vor, eine gebrochene Säule, ruinöses Gemäuer,
Bäume. Wir bemerkten schon auf der andern Anbetung und
dem Liebespaar, daß er jetzt leichtere, weichere Falten liebt
und sorgfältiges Feingefältel. So hier am Mantel Maria der
losere Fall, das Gekräusel am Boden; reiches Kleingefältel an
den Gewändern der Engel und dem Chorhemd des geistlichen
Stifters. So klein Grünewald die Stifter gibt, stets tief unter-
geordnet dem Göttlichen, nicht der selbstbewußte Ichmensch der
italienischen Renaissance, — immer sind es sehr lebendige,
ausdrucksvolle Porträts. Das Gebet brauchte nicht auf dem
Spruchband zu stehen, wir lesen die Inbrunst aus Blick und
Haltung.

Von den Flügeln ist in der Konzeption am bedeutendsten
utfPathmos. die Madonnenvision des Johannes auf Pathmos (Taf.

XXIV). Der visionäre Zug in Grünewald trat schon mehrfach
hervor. Hier kam ihm der Stoff entgegen. Johannes, ganz in
Rot, sitzt vorn in einer Landschaft, zwischen Felsen und
Bäumen leuchtet mitten in der Ferne eine Stadt am Wasser.
Voll fällt das Licht auf den prachtvollen Charakterkopf mit
markanten, scharfen Zügen. Im Augenblick der Inspiration
wirft er ihn zurück, das große glänzende Auge schaut begeistert
die Himmlische, der Mund ist vor Erregung geöffnet, die Hand
mit der Feder stockt erhoben. Das helle Licht über der Land-
schaft trifft auch die zarte Madonnengestalt auf der Sichel, die
vor Goldgrund erscheint. Ihr weißbläulicher Mantel umfängt
auch das nackte Kind auf ihrem Arm: es umhalst sie, wendet
das Köpfchen lebhaft zurück und blickt zu dem Evangelisten
hinunter. Die Kraft des inneren Schauens geht in dieser Kon-
zeption Hand in Hand mit dem durchgebildeten malerischen
Sehen in der Natur.
Hieronymus. Auf der anderen Seite der h. Hieronymus im Studier-
zimmer (nur ein Ausschnitt), am Pult am Fenster sitzend, ein
wunderbar ausdrucksvoller Typus, ein Gesicht voll leidvoller
Einsicht mit den Spuren durchwachter Nächte. Er wendet
sich herum zu dem Gefährten und befreit ihn von dem Dorn.
Der Löwe ist nicht nach dem Leben gemalt, halb Affe, halb
Hund, aber trotzdem lebendig, sein Auge spricht. Auch hier
 
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